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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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deutet mehr auf ein Bestreben einer abnehmenden Na-
tur, als ihre Macht und Gewalt an; wie denn ein
einziges indisches Vögelchen eine größere Farbenman-
nigfaltigkeit leistet, als das sämmtliche Vögelgeschlecht,
das norwegische und schwedische Wälder bevölkert.
Eben so verhält sichs mit den übrigen Thieren, Pflanzen
und Blumen; denn in jenen Gegenden findest du nicht
einmal die Thäler mit leuchtenden und lebhaften Far-
ben geschmückt, man müßte sie denn durch Kunst her-
vorbringen, oder der Boden müßte von einer beson-
dern Beschaffenheit seyn. Gelangt man weiter nach
Norden, so begegnet einem nichts als Graues und Wei-
ßes. Deswegen nehmen wir an: die Ursache der Far-
ben sey das Verbrennen der Körper."

Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Die Materie der Farben rühre von der Eigenschaft des
Schwefels her.

"Der Grundstoff der Farben schreibt sich nirgends
anders her als von dem Schwefel, der einem jeden
Körper beygemischt ist. Nach dem verschiedenen Bren-
nen dieses Elements entstehen auch die verschiedenen
Farben: denn der natürliche Schwefel, so lange er weder
Wärme noch Feuer erfahren hat, ist durchsichtig; wird
er aufgelöst, dann nimmt er verschiedene Farben an
und verunreinigt die Körper, denen er beygemischt ist.
Und zwar erscheint er zuerst grün, dann gelb, sodann
roth, dann purpurfarb und zuletzt wird er schwarz.
Ist aller Schwefel erschöpft und verzehrt, dann lösen
sich die Körper auf, alle Farbe geht weg und nichts

deutet mehr auf ein Beſtreben einer abnehmenden Na-
tur, als ihre Macht und Gewalt an; wie denn ein
einziges indiſches Voͤgelchen eine groͤßere Farbenman-
nigfaltigkeit leiſtet, als das ſaͤmmtliche Voͤgelgeſchlecht,
das norwegiſche und ſchwediſche Waͤlder bevoͤlkert.
Eben ſo verhaͤlt ſichs mit den uͤbrigen Thieren, Pflanzen
und Blumen; denn in jenen Gegenden findeſt du nicht
einmal die Thaͤler mit leuchtenden und lebhaften Far-
ben geſchmuͤckt, man muͤßte ſie denn durch Kunſt her-
vorbringen, oder der Boden muͤßte von einer beſon-
dern Beſchaffenheit ſeyn. Gelangt man weiter nach
Norden, ſo begegnet einem nichts als Graues und Wei-
ßes. Deswegen nehmen wir an: die Urſache der Far-
ben ſey das Verbrennen der Koͤrper.“

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
Die Materie der Farben ruͤhre von der Eigenſchaft des
Schwefels her.

„Der Grundſtoff der Farben ſchreibt ſich nirgends
anders her als von dem Schwefel, der einem jeden
Koͤrper beygemiſcht iſt. Nach dem verſchiedenen Bren-
nen dieſes Elements entſtehen auch die verſchiedenen
Farben: denn der natuͤrliche Schwefel, ſo lange er weder
Waͤrme noch Feuer erfahren hat, iſt durchſichtig; wird
er aufgeloͤſt, dann nimmt er verſchiedene Farben an
und verunreinigt die Koͤrper, denen er beygemiſcht iſt.
Und zwar erſcheint er zuerſt gruͤn, dann gelb, ſodann
roth, dann purpurfarb und zuletzt wird er ſchwarz.
Iſt aller Schwefel erſchoͤpft und verzehrt, dann loͤſen
ſich die Koͤrper auf, alle Farbe geht weg und nichts

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[298/0332] deutet mehr auf ein Beſtreben einer abnehmenden Na- tur, als ihre Macht und Gewalt an; wie denn ein einziges indiſches Voͤgelchen eine groͤßere Farbenman- nigfaltigkeit leiſtet, als das ſaͤmmtliche Voͤgelgeſchlecht, das norwegiſche und ſchwediſche Waͤlder bevoͤlkert. Eben ſo verhaͤlt ſichs mit den uͤbrigen Thieren, Pflanzen und Blumen; denn in jenen Gegenden findeſt du nicht einmal die Thaͤler mit leuchtenden und lebhaften Far- ben geſchmuͤckt, man muͤßte ſie denn durch Kunſt her- vorbringen, oder der Boden muͤßte von einer beſon- dern Beſchaffenheit ſeyn. Gelangt man weiter nach Norden, ſo begegnet einem nichts als Graues und Wei- ßes. Deswegen nehmen wir an: die Urſache der Far- ben ſey das Verbrennen der Koͤrper.“ Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel. Die Materie der Farben ruͤhre von der Eigenſchaft des Schwefels her. „Der Grundſtoff der Farben ſchreibt ſich nirgends anders her als von dem Schwefel, der einem jeden Koͤrper beygemiſcht iſt. Nach dem verſchiedenen Bren- nen dieſes Elements entſtehen auch die verſchiedenen Farben: denn der natuͤrliche Schwefel, ſo lange er weder Waͤrme noch Feuer erfahren hat, iſt durchſichtig; wird er aufgeloͤſt, dann nimmt er verſchiedene Farben an und verunreinigt die Koͤrper, denen er beygemiſcht iſt. Und zwar erſcheint er zuerſt gruͤn, dann gelb, ſodann roth, dann purpurfarb und zuletzt wird er ſchwarz. Iſt aller Schwefel erſchoͤpft und verzehrt, dann loͤſen ſich die Koͤrper auf, alle Farbe geht weg und nichts

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/332>, abgerufen am 25.04.2024.