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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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"Die letzten Zeiten des bürgerlichen Kriegs und
der Verwirrung haben, zum Ersatz jenes unendlichen
Jammers, den Vortheil hervorgebracht, daß sie die
Geister der Menschen aus einem langen Behagen, aus
einer müßigen Ruhe herausrissen und sie thätig, fleißig
und neugierig machten. Und gegenwärtig, seit der
Rückkehr des Königs, ist die Verblendung vergangener
Jahre mit dem Jammer der letzten verschwunden. Die
Menschen überhaupt sind müde der Ueberbleibsel des
Alterthums und gesättigt von Religionsstreitigkeiten.
Ihre Augen sind gegenwärtig nicht allein offen und
bereitet zur Arbeit; sondern ihre Hände sind es auch.
Man findet jetzo ein Verlangen, eine allgemeine Be-
gierde nach einer Wissenschaft, die friedlich, nützlich und
nährend sey und nicht wie die der alten Secten, welche
nur schwere und unverdauliche Argumente gaben, oder
bittere Streitigkeiten statt Nahrung, und die, wenn der
Geist des Menschen Brodt verlangte, ihm Steine reich-
ten, Schlangen oder Gift."


Aeußere Vortheile
der
Societät
.

Der Theilnahme des Königs folgte sogleich die
der Prinzen und reichen Barone. Nicht allein Ge-
lehrte und Forscher, sondern auch Praktiker und Tech-

„Die letzten Zeiten des buͤrgerlichen Kriegs und
der Verwirrung haben, zum Erſatz jenes unendlichen
Jammers, den Vortheil hervorgebracht, daß ſie die
Geiſter der Menſchen aus einem langen Behagen, aus
einer muͤßigen Ruhe herausriſſen und ſie thaͤtig, fleißig
und neugierig machten. Und gegenwaͤrtig, ſeit der
Ruͤckkehr des Koͤnigs, iſt die Verblendung vergangener
Jahre mit dem Jammer der letzten verſchwunden. Die
Menſchen uͤberhaupt ſind muͤde der Ueberbleibſel des
Alterthums und geſaͤttigt von Religionsſtreitigkeiten.
Ihre Augen ſind gegenwaͤrtig nicht allein offen und
bereitet zur Arbeit; ſondern ihre Haͤnde ſind es auch.
Man findet jetzo ein Verlangen, eine allgemeine Be-
gierde nach einer Wiſſenſchaft, die friedlich, nuͤtzlich und
naͤhrend ſey und nicht wie die der alten Secten, welche
nur ſchwere und unverdauliche Argumente gaben, oder
bittere Streitigkeiten ſtatt Nahrung, und die, wenn der
Geiſt des Menſchen Brodt verlangte, ihm Steine reich-
ten, Schlangen oder Gift.“


Aeußere Vortheile
der
Societaͤt
.

Der Theilnahme des Koͤnigs folgte ſogleich die
der Prinzen und reichen Barone. Nicht allein Ge-
lehrte und Forſcher, ſondern auch Praktiker und Tech-

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[389/0423] „Die letzten Zeiten des buͤrgerlichen Kriegs und der Verwirrung haben, zum Erſatz jenes unendlichen Jammers, den Vortheil hervorgebracht, daß ſie die Geiſter der Menſchen aus einem langen Behagen, aus einer muͤßigen Ruhe herausriſſen und ſie thaͤtig, fleißig und neugierig machten. Und gegenwaͤrtig, ſeit der Ruͤckkehr des Koͤnigs, iſt die Verblendung vergangener Jahre mit dem Jammer der letzten verſchwunden. Die Menſchen uͤberhaupt ſind muͤde der Ueberbleibſel des Alterthums und geſaͤttigt von Religionsſtreitigkeiten. Ihre Augen ſind gegenwaͤrtig nicht allein offen und bereitet zur Arbeit; ſondern ihre Haͤnde ſind es auch. Man findet jetzo ein Verlangen, eine allgemeine Be- gierde nach einer Wiſſenſchaft, die friedlich, nuͤtzlich und naͤhrend ſey und nicht wie die der alten Secten, welche nur ſchwere und unverdauliche Argumente gaben, oder bittere Streitigkeiten ſtatt Nahrung, und die, wenn der Geiſt des Menſchen Brodt verlangte, ihm Steine reich- ten, Schlangen oder Gift.“ Aeußere Vortheile der Societaͤt. Der Theilnahme des Koͤnigs folgte ſogleich die der Prinzen und reichen Barone. Nicht allein Ge- lehrte und Forſcher, ſondern auch Praktiker und Tech-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/423>, abgerufen am 18.04.2024.