Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

So sah es mit der innern Verfassung eines Gerichts-
hofes aus, bey dessen Entscheidung über eine bedeu-
tende und weit eingreifende Theorie sich die wissen-
schaftliche Welt beruhigen sollte.


Isaak Newton

geb. 1642. gest. 1727.


Unter denen welche die Naturwissenschaften bear-
beiten, lassen sich vorzüglich zweyerley Arten von Men-
schen bemerken.

Die ersten, genial, productiv und gewaltsam, brin-
gen eine Welt aus sich selbst hervor, ohne viel zu fra-
gen, ob sie mit der wirklichen übereinkommen werde.
Gelingt es, daß dasjenige was sich in ihnen entwi-
ckelt, mit den Ideen des Weltgeistes zusammentrifft,
so werden Wahrheiten bekannt, wovor die Menschen
erstaunen und wofür sie Jahrhunderte lang dankbar
zu seyn Ursache haben. Entspringt aber in so einer
tüchtigen genialen Natur irgend ein Wahnbild, das
in der allgemeinen Welt kein Gegenbild findet, so kann
ein solcher Irrthum nicht minder gewaltsam um sich
greifen und die Menschen Jahrhunderte durch hinreißen
und übervortheilen.

Die von der zweyten Art, geistreich, scharfsinnig,

II. 26

So ſah es mit der innern Verfaſſung eines Gerichts-
hofes aus, bey deſſen Entſcheidung uͤber eine bedeu-
tende und weit eingreifende Theorie ſich die wiſſen-
ſchaftliche Welt beruhigen ſollte.


Iſaak Newton

geb. 1642. geſt. 1727.


Unter denen welche die Naturwiſſenſchaften bear-
beiten, laſſen ſich vorzuͤglich zweyerley Arten von Men-
ſchen bemerken.

Die erſten, genial, productiv und gewaltſam, brin-
gen eine Welt aus ſich ſelbſt hervor, ohne viel zu fra-
gen, ob ſie mit der wirklichen uͤbereinkommen werde.
Gelingt es, daß dasjenige was ſich in ihnen entwi-
ckelt, mit den Ideen des Weltgeiſtes zuſammentrifft,
ſo werden Wahrheiten bekannt, wovor die Menſchen
erſtaunen und wofuͤr ſie Jahrhunderte lang dankbar
zu ſeyn Urſache haben. Entſpringt aber in ſo einer
tuͤchtigen genialen Natur irgend ein Wahnbild, das
in der allgemeinen Welt kein Gegenbild findet, ſo kann
ein ſolcher Irrthum nicht minder gewaltſam um ſich
greifen und die Menſchen Jahrhunderte durch hinreißen
und uͤbervortheilen.

Die von der zweyten Art, geiſtreich, ſcharfſinnig,

II. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0435" n="401"/>
            <p>So &#x017F;ah es mit der innern Verfa&#x017F;&#x017F;ung eines Gerichts-<lb/>
hofes aus, bey de&#x017F;&#x017F;en Ent&#x017F;cheidung u&#x0364;ber eine bedeu-<lb/>
tende und weit eingreifende Theorie &#x017F;ich die wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftliche Welt beruhigen &#x017F;ollte.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">I&#x017F;aak Newton</hi> </head><lb/>
            <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">geb</hi>. 1642. <hi rendition="#g">ge&#x017F;t</hi>. 1727.</hi> </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Unter denen welche die Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften bear-<lb/>
beiten, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich vorzu&#x0364;glich zweyerley Arten von Men-<lb/>
&#x017F;chen bemerken.</p><lb/>
            <p>Die er&#x017F;ten, genial, productiv und gewalt&#x017F;am, brin-<lb/>
gen eine Welt aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hervor, ohne viel zu fra-<lb/>
gen, ob &#x017F;ie mit der wirklichen u&#x0364;bereinkommen werde.<lb/>
Gelingt es, daß dasjenige was &#x017F;ich in ihnen entwi-<lb/>
ckelt, mit den Ideen des Weltgei&#x017F;tes zu&#x017F;ammentrifft,<lb/>
&#x017F;o werden Wahrheiten bekannt, wovor die Men&#x017F;chen<lb/>
er&#x017F;taunen und wofu&#x0364;r &#x017F;ie Jahrhunderte lang dankbar<lb/>
zu &#x017F;eyn Ur&#x017F;ache haben. Ent&#x017F;pringt aber in &#x017F;o einer<lb/>
tu&#x0364;chtigen genialen Natur irgend ein Wahnbild, das<lb/>
in der allgemeinen Welt kein Gegenbild findet, &#x017F;o kann<lb/>
ein &#x017F;olcher Irrthum nicht minder gewalt&#x017F;am um &#x017F;ich<lb/>
greifen und die Men&#x017F;chen Jahrhunderte durch hinreißen<lb/>
und u&#x0364;bervortheilen.</p><lb/>
            <p>Die von der zweyten Art, gei&#x017F;treich, &#x017F;charf&#x017F;innig,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 26</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0435] So ſah es mit der innern Verfaſſung eines Gerichts- hofes aus, bey deſſen Entſcheidung uͤber eine bedeu- tende und weit eingreifende Theorie ſich die wiſſen- ſchaftliche Welt beruhigen ſollte. Iſaak Newton geb. 1642. geſt. 1727. Unter denen welche die Naturwiſſenſchaften bear- beiten, laſſen ſich vorzuͤglich zweyerley Arten von Men- ſchen bemerken. Die erſten, genial, productiv und gewaltſam, brin- gen eine Welt aus ſich ſelbſt hervor, ohne viel zu fra- gen, ob ſie mit der wirklichen uͤbereinkommen werde. Gelingt es, daß dasjenige was ſich in ihnen entwi- ckelt, mit den Ideen des Weltgeiſtes zuſammentrifft, ſo werden Wahrheiten bekannt, wovor die Menſchen erſtaunen und wofuͤr ſie Jahrhunderte lang dankbar zu ſeyn Urſache haben. Entſpringt aber in ſo einer tuͤchtigen genialen Natur irgend ein Wahnbild, das in der allgemeinen Welt kein Gegenbild findet, ſo kann ein ſolcher Irrthum nicht minder gewaltſam um ſich greifen und die Menſchen Jahrhunderte durch hinreißen und uͤbervortheilen. Die von der zweyten Art, geiſtreich, ſcharfſinnig, II. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/435
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/435>, abgerufen am 28.03.2024.