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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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haben könnten, eine hinlängliche Ehrenerklärung thun.
Jeder Irrthum der aus dem Menschen und aus den
Bedingungen die ihn umgeben, unmittelbar entspringt,
ist verzeihlich, oft ehrwürdig; aber alle Nachfolger im
Irrthum können nicht so billig behandelt werden. Eine
nachgesprochene Wahrheit verliert schon ihre Grazie;
ein nachgesprochener Irrthum erscheint abgeschmackt und
lächerlich. Sich von einem eigenen Irrthum loszu-
machen, ist schwer, oft unmöglich bey großem Geist
und großen Talenten; wer aber einen fremden Irrthum
aufnimmt und halsstarrig dabey verbleibt, zeigt von
gar geringem Vermögen. Die Beharrlichkeit eines ori-
ginal Irrenden kann uns erzürnen; die Hartnäckigkeit
der Irrthumscopisten macht verdrießlich und ärgerlich.
Und wenn wir in dem Streit gegen die Newtonische
Lehre manchmal aus den Gränzen der Gelassenheit her-
ausgeschritten sind, so schieben wir alle Schuld auf die
Schule, deren Incompetenz und Dünkel, deren Faul-
heit und Selbstgenügsamkeit, deren Ingrimm und Ver-
folgungsgelüst miteinander durchaus in Proportion und
Gleichgewicht stehen.


Erste Schüler und Bekenner Newtons.

Außer den schon erwähnten Experimentatoren,
Keil und Desaguliers, werden uns folgende Männer
merkwürdig.

haben koͤnnten, eine hinlaͤngliche Ehrenerklaͤrung thun.
Jeder Irrthum der aus dem Menſchen und aus den
Bedingungen die ihn umgeben, unmittelbar entſpringt,
iſt verzeihlich, oft ehrwuͤrdig; aber alle Nachfolger im
Irrthum koͤnnen nicht ſo billig behandelt werden. Eine
nachgeſprochene Wahrheit verliert ſchon ihre Grazie;
ein nachgeſprochener Irrthum erſcheint abgeſchmackt und
laͤcherlich. Sich von einem eigenen Irrthum loszu-
machen, iſt ſchwer, oft unmoͤglich bey großem Geiſt
und großen Talenten; wer aber einen fremden Irrthum
aufnimmt und halsſtarrig dabey verbleibt, zeigt von
gar geringem Vermoͤgen. Die Beharrlichkeit eines ori-
ginal Irrenden kann uns erzuͤrnen; die Hartnaͤckigkeit
der Irrthumscopiſten macht verdrießlich und aͤrgerlich.
Und wenn wir in dem Streit gegen die Newtoniſche
Lehre manchmal aus den Graͤnzen der Gelaſſenheit her-
ausgeſchritten ſind, ſo ſchieben wir alle Schuld auf die
Schule, deren Incompetenz und Duͤnkel, deren Faul-
heit und Selbſtgenuͤgſamkeit, deren Ingrimm und Ver-
folgungsgeluͤſt miteinander durchaus in Proportion und
Gleichgewicht ſtehen.


Erſte Schuͤler und Bekenner Newtons.

Außer den ſchon erwaͤhnten Experimentatoren,
Keil und Desaguliers, werden uns folgende Maͤnner
merkwuͤrdig.

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[484/0518] haben koͤnnten, eine hinlaͤngliche Ehrenerklaͤrung thun. Jeder Irrthum der aus dem Menſchen und aus den Bedingungen die ihn umgeben, unmittelbar entſpringt, iſt verzeihlich, oft ehrwuͤrdig; aber alle Nachfolger im Irrthum koͤnnen nicht ſo billig behandelt werden. Eine nachgeſprochene Wahrheit verliert ſchon ihre Grazie; ein nachgeſprochener Irrthum erſcheint abgeſchmackt und laͤcherlich. Sich von einem eigenen Irrthum loszu- machen, iſt ſchwer, oft unmoͤglich bey großem Geiſt und großen Talenten; wer aber einen fremden Irrthum aufnimmt und halsſtarrig dabey verbleibt, zeigt von gar geringem Vermoͤgen. Die Beharrlichkeit eines ori- ginal Irrenden kann uns erzuͤrnen; die Hartnaͤckigkeit der Irrthumscopiſten macht verdrießlich und aͤrgerlich. Und wenn wir in dem Streit gegen die Newtoniſche Lehre manchmal aus den Graͤnzen der Gelaſſenheit her- ausgeſchritten ſind, ſo ſchieben wir alle Schuld auf die Schule, deren Incompetenz und Duͤnkel, deren Faul- heit und Selbſtgenuͤgſamkeit, deren Ingrimm und Ver- folgungsgeluͤſt miteinander durchaus in Proportion und Gleichgewicht ſtehen. Erſte Schuͤler und Bekenner Newtons. Außer den ſchon erwaͤhnten Experimentatoren, Keil und Desaguliers, werden uns folgende Maͤnner merkwuͤrdig.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/518>, abgerufen am 29.03.2024.