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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Tobias Mayer.

De affinitate colorum commentatio, lecta in
conventu publico, Goettingae
1758. in den kleinen,
nach dessen Tod, von Lichtenberg herausgegebenen
Schriften.

Der Newtonische Wortkram wurde nunmehr von
allen deutschen Cathedern ausgeboten. Man freute sich
die Urfarben aus dem Licht hervorgelockt zu haben; es
sollten ihrer unzählige seyn. Diese ersten homogenen,
einfachen Farben hatten aber die wunderliche Eigenschaft,
daß ein großer Theil derselben von den zusammengesetz-
ten nicht zu unterscheiden war.

Betrachtete man jedoch das sogenannte Spectrum
genauer, so konnte nicht verborgen bleiben, daß theils
der Natur der Sache nach, theils der Bequemlichkeit
des Vortrags wegen, sich diese unendlichen Farben
auf eine geringere Zahl reduciren ließen. Man nahm
ihrer fünf an, oder sieben. Weil aber das höchste, im
völligen Gleichgewicht stehende Roth dem prismatischen
Farbenbild abging; so fehlte auch hier die sechste oder
die achte Farbe; das Ganze blieb unvollständig und
die Sache confus.

Alle diejenigen, die von der Malerey und Färbe-
rey an die Farbenlehre herantraten, fanden dagegen,
wie uns die Geschichte umständlich unterrichtet, natur-

Tobias Mayer.

De affinitate colorum commentatio, lecta in
conventu publico, Goettingae
1758. in den kleinen,
nach deſſen Tod, von Lichtenberg herausgegebenen
Schriften.

Der Newtoniſche Wortkram wurde nunmehr von
allen deutſchen Cathedern ausgeboten. Man freute ſich
die Urfarben aus dem Licht hervorgelockt zu haben; es
ſollten ihrer unzaͤhlige ſeyn. Dieſe erſten homogenen,
einfachen Farben hatten aber die wunderliche Eigenſchaft,
daß ein großer Theil derſelben von den zuſammengeſetz-
ten nicht zu unterſcheiden war.

Betrachtete man jedoch das ſogenannte Spectrum
genauer, ſo konnte nicht verborgen bleiben, daß theils
der Natur der Sache nach, theils der Bequemlichkeit
des Vortrags wegen, ſich dieſe unendlichen Farben
auf eine geringere Zahl reduciren ließen. Man nahm
ihrer fuͤnf an, oder ſieben. Weil aber das hoͤchſte, im
voͤlligen Gleichgewicht ſtehende Roth dem prismatiſchen
Farbenbild abging; ſo fehlte auch hier die ſechſte oder
die achte Farbe; das Ganze blieb unvollſtaͤndig und
die Sache confus.

Alle diejenigen, die von der Malerey und Faͤrbe-
rey an die Farbenlehre herantraten, fanden dagegen,
wie uns die Geſchichte umſtaͤndlich unterrichtet, natur-

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[568/0602] Tobias Mayer. De affinitate colorum commentatio, lecta in conventu publico, Goettingae 1758. in den kleinen, nach deſſen Tod, von Lichtenberg herausgegebenen Schriften. Der Newtoniſche Wortkram wurde nunmehr von allen deutſchen Cathedern ausgeboten. Man freute ſich die Urfarben aus dem Licht hervorgelockt zu haben; es ſollten ihrer unzaͤhlige ſeyn. Dieſe erſten homogenen, einfachen Farben hatten aber die wunderliche Eigenſchaft, daß ein großer Theil derſelben von den zuſammengeſetz- ten nicht zu unterſcheiden war. Betrachtete man jedoch das ſogenannte Spectrum genauer, ſo konnte nicht verborgen bleiben, daß theils der Natur der Sache nach, theils der Bequemlichkeit des Vortrags wegen, ſich dieſe unendlichen Farben auf eine geringere Zahl reduciren ließen. Man nahm ihrer fuͤnf an, oder ſieben. Weil aber das hoͤchſte, im voͤlligen Gleichgewicht ſtehende Roth dem prismatiſchen Farbenbild abging; ſo fehlte auch hier die ſechſte oder die achte Farbe; das Ganze blieb unvollſtaͤndig und die Sache confus. Alle diejenigen, die von der Malerey und Faͤrbe- rey an die Farbenlehre herantraten, fanden dagegen, wie uns die Geſchichte umſtaͤndlich unterrichtet, natur-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/602>, abgerufen am 20.04.2024.