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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Farbenbenennungen
der Griechen und Römer
.

Die Alten lassen alle Farbe aus Weiß und Schwarz,
aus Licht und Finsterniß entstehen. Sie sagen, alle
Farben fallen zwischen Weiß und Schwarz und seyen
aus diesen gemischt. Man muß aber nicht wähnen,
daß sie hierunter eine blos atomistische Mischung ver-
standen, ob sie sich gleich an schicklichen Orten des
Wortes mixis bedienen, dagegen sie an den bedeuten-
den Stellen, wo sie eine Art Wechselwirkung beyder
Gegensätze ausdrücken wollen, das Wort krasis, sug-
krisis gebrauchen; so wie sie denn überhaupt sowohl
Licht als Finsterniß, als die Farben untereinander sich
temperiren lassen, wofür das Wort kerannusthai vor-
kommt; wie man sich davon aus den bisher übersetz-
ten und mitgetheilten Stellen überzeugen kann.

Sie geben die Farbengeschlechter verschieden, Ei-
nige zu sieben, Andre zu zwölfen an, doch ohne sie
vollständig aufzuzählen.

Aus der Betrachtung ihres Sprachgebrauchs, so-
wohl des griechischen als römischen, ergiebt sich, daß
sie generelle Benennungen der Farben statt der speciellen
und umgekehrt diese statt jener setzen.

Ihre Farbenbenennungen sind nicht fix und genau
bestimmt, sondern beweglich und schwankend, indem

Farbenbenennungen
der Griechen und Roͤmer
.

Die Alten laſſen alle Farbe aus Weiß und Schwarz,
aus Licht und Finſterniß entſtehen. Sie ſagen, alle
Farben fallen zwiſchen Weiß und Schwarz und ſeyen
aus dieſen gemiſcht. Man muß aber nicht waͤhnen,
daß ſie hierunter eine blos atomiſtiſche Miſchung ver-
ſtanden, ob ſie ſich gleich an ſchicklichen Orten des
Wortes μίξις bedienen, dagegen ſie an den bedeuten-
den Stellen, wo ſie eine Art Wechſelwirkung beyder
Gegenſaͤtze ausdruͤcken wollen, das Wort κράσις, σύγ-
κρισις gebrauchen; ſo wie ſie denn uͤberhaupt ſowohl
Licht als Finſterniß, als die Farben untereinander ſich
temperiren laſſen, wofuͤr das Wort κεράννυσϑαι vor-
kommt; wie man ſich davon aus den bisher uͤberſetz-
ten und mitgetheilten Stellen uͤberzeugen kann.

Sie geben die Farbengeſchlechter verſchieden, Ei-
nige zu ſieben, Andre zu zwoͤlfen an, doch ohne ſie
vollſtaͤndig aufzuzaͤhlen.

Aus der Betrachtung ihres Sprachgebrauchs, ſo-
wohl des griechiſchen als roͤmiſchen, ergiebt ſich, daß
ſie generelle Benennungen der Farben ſtatt der ſpeciellen
und umgekehrt dieſe ſtatt jener ſetzen.

Ihre Farbenbenennungen ſind nicht fix und genau
beſtimmt, ſondern beweglich und ſchwankend, indem

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[54/0088] Farbenbenennungen der Griechen und Roͤmer. Die Alten laſſen alle Farbe aus Weiß und Schwarz, aus Licht und Finſterniß entſtehen. Sie ſagen, alle Farben fallen zwiſchen Weiß und Schwarz und ſeyen aus dieſen gemiſcht. Man muß aber nicht waͤhnen, daß ſie hierunter eine blos atomiſtiſche Miſchung ver- ſtanden, ob ſie ſich gleich an ſchicklichen Orten des Wortes μίξις bedienen, dagegen ſie an den bedeuten- den Stellen, wo ſie eine Art Wechſelwirkung beyder Gegenſaͤtze ausdruͤcken wollen, das Wort κράσις, σύγ- κρισις gebrauchen; ſo wie ſie denn uͤberhaupt ſowohl Licht als Finſterniß, als die Farben untereinander ſich temperiren laſſen, wofuͤr das Wort κεράννυσϑαι vor- kommt; wie man ſich davon aus den bisher uͤberſetz- ten und mitgetheilten Stellen uͤberzeugen kann. Sie geben die Farbengeſchlechter verſchieden, Ei- nige zu ſieben, Andre zu zwoͤlfen an, doch ohne ſie vollſtaͤndig aufzuzaͤhlen. Aus der Betrachtung ihres Sprachgebrauchs, ſo- wohl des griechiſchen als roͤmiſchen, ergiebt ſich, daß ſie generelle Benennungen der Farben ſtatt der ſpeciellen und umgekehrt dieſe ſtatt jener ſetzen. Ihre Farbenbenennungen ſind nicht fix und genau beſtimmt, ſondern beweglich und ſchwankend, indem

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/88>, abgerufen am 20.04.2024.