Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

weil die einzelnen Töne sich gegen den ganzen musica-
lischen Umfang viel gleichgültiger verhalten, als die
einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem sie
aufgestellt sind: denn die Farben machen in diesem
Kreise selbst das majus und minus, sie machen selbst
diesen entschiedenen Gegensatz, welcher sichtbar und
empfindbar ist und der nicht aufzuheben geht, ohne daß
man das Ganze zerstört.

Die Töne hingegen sind, wie gesagt, gleichgültiger
Natur, sie stehen jedoch unter dem geheimen Gesetz eines
gleichfalls entschiedenen Gegensatzes, der aber nicht an
sich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveränder-
lich empfindbar wird, sondern, nach Belieben des
Künstlers, an einem jeden Tone und seiner von ihm
herfließenden Folge hörbar und empfindbar gemacht
werden kann.

Es ist uns angenehm, indem wir gegen das En-
de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben,
uns über diesen wichtigen Punct zu erklären, auf wel-
chen schon im Laufe unseres Vortrags auf mehr als eine
Weise hingedeutet worden.

Das Büchelchen selbst verdient eine Stelle in der
Sammlung eines jeden Natur- und Kunstfreundes, so-
wohl damit das Andenken eines braven, beynah völlig
vergessenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig-
keit, ja Unmöglichkeit einer solchen Unternehmung ei-
nem jeden deutlicher gemacht werde. Geistreiche Per-

weil die einzelnen Toͤne ſich gegen den ganzen muſica-
liſchen Umfang viel gleichguͤltiger verhalten, als die
einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem ſie
aufgeſtellt ſind: denn die Farben machen in dieſem
Kreiſe ſelbſt das majus und minus, ſie machen ſelbſt
dieſen entſchiedenen Gegenſatz, welcher ſichtbar und
empfindbar iſt und der nicht aufzuheben geht, ohne daß
man das Ganze zerſtoͤrt.

Die Toͤne hingegen ſind, wie geſagt, gleichguͤltiger
Natur, ſie ſtehen jedoch unter dem geheimen Geſetz eines
gleichfalls entſchiedenen Gegenſatzes, der aber nicht an
ſich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveraͤnder-
lich empfindbar wird, ſondern, nach Belieben des
Kuͤnſtlers, an einem jeden Tone und ſeiner von ihm
herfließenden Folge hoͤrbar und empfindbar gemacht
werden kann.

Es iſt uns angenehm, indem wir gegen das En-
de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben,
uns uͤber dieſen wichtigen Punct zu erklaͤren, auf wel-
chen ſchon im Laufe unſeres Vortrags auf mehr als eine
Weiſe hingedeutet worden.

Das Buͤchelchen ſelbſt verdient eine Stelle in der
Sammlung eines jeden Natur- und Kunſtfreundes, ſo-
wohl damit das Andenken eines braven, beynah voͤllig
vergeſſenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig-
keit, ja Unmoͤglichkeit einer ſolchen Unternehmung ei-
nem jeden deutlicher gemacht werde. Geiſtreiche Per-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0678" n="644"/>
weil die einzelnen To&#x0364;ne &#x017F;ich gegen den ganzen mu&#x017F;ica-<lb/>
li&#x017F;chen Umfang viel gleichgu&#x0364;ltiger verhalten, als die<lb/>
einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem &#x017F;ie<lb/>
aufge&#x017F;tellt &#x017F;ind: denn die Farben machen in die&#x017F;em<lb/>
Krei&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t das <hi rendition="#aq">majus</hi> und <hi rendition="#aq">minus,</hi> &#x017F;ie machen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;en ent&#x017F;chiedenen Gegen&#x017F;atz, welcher &#x017F;ichtbar und<lb/>
empfindbar i&#x017F;t und der nicht aufzuheben geht, ohne daß<lb/>
man das Ganze zer&#x017F;to&#x0364;rt.</p><lb/>
            <p>Die To&#x0364;ne hingegen &#x017F;ind, wie ge&#x017F;agt, gleichgu&#x0364;ltiger<lb/>
Natur, &#x017F;ie &#x017F;tehen jedoch unter dem geheimen Ge&#x017F;etz eines<lb/>
gleichfalls ent&#x017F;chiedenen Gegen&#x017F;atzes, der aber nicht an<lb/>
&#x017F;ich, wie bey der Farbe, nothwendig und unvera&#x0364;nder-<lb/>
lich empfindbar wird, &#x017F;ondern, nach Belieben des<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tlers, an einem jeden Tone und &#x017F;einer von ihm<lb/>
herfließenden Folge ho&#x0364;rbar und empfindbar gemacht<lb/>
werden kann.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t uns angenehm, indem wir gegen das En-<lb/>
de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben,<lb/>
uns u&#x0364;ber die&#x017F;en wichtigen Punct zu erkla&#x0364;ren, auf wel-<lb/>
chen &#x017F;chon im Laufe un&#x017F;eres Vortrags auf mehr als eine<lb/>
Wei&#x017F;e hingedeutet worden.</p><lb/>
            <p>Das Bu&#x0364;chelchen &#x017F;elb&#x017F;t verdient eine Stelle in der<lb/>
Sammlung eines jeden Natur- und Kun&#x017F;tfreundes, &#x017F;o-<lb/>
wohl damit das Andenken eines braven, beynah vo&#x0364;llig<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;enen Mannes erhalten, als damit die Schwierig-<lb/>
keit, ja Unmo&#x0364;glichkeit einer &#x017F;olchen Unternehmung ei-<lb/>
nem jeden deutlicher gemacht werde. Gei&#x017F;treiche Per-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[644/0678] weil die einzelnen Toͤne ſich gegen den ganzen muſica- liſchen Umfang viel gleichguͤltiger verhalten, als die einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem ſie aufgeſtellt ſind: denn die Farben machen in dieſem Kreiſe ſelbſt das majus und minus, ſie machen ſelbſt dieſen entſchiedenen Gegenſatz, welcher ſichtbar und empfindbar iſt und der nicht aufzuheben geht, ohne daß man das Ganze zerſtoͤrt. Die Toͤne hingegen ſind, wie geſagt, gleichguͤltiger Natur, ſie ſtehen jedoch unter dem geheimen Geſetz eines gleichfalls entſchiedenen Gegenſatzes, der aber nicht an ſich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveraͤnder- lich empfindbar wird, ſondern, nach Belieben des Kuͤnſtlers, an einem jeden Tone und ſeiner von ihm herfließenden Folge hoͤrbar und empfindbar gemacht werden kann. Es iſt uns angenehm, indem wir gegen das En- de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben, uns uͤber dieſen wichtigen Punct zu erklaͤren, auf wel- chen ſchon im Laufe unſeres Vortrags auf mehr als eine Weiſe hingedeutet worden. Das Buͤchelchen ſelbſt verdient eine Stelle in der Sammlung eines jeden Natur- und Kunſtfreundes, ſo- wohl damit das Andenken eines braven, beynah voͤllig vergeſſenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig- keit, ja Unmoͤglichkeit einer ſolchen Unternehmung ei- nem jeden deutlicher gemacht werde. Geiſtreiche Per-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/678
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/678>, abgerufen am 25.04.2024.