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Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

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Iphigenie auf Tauris
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.
Denn ach mich trennt das Meer von den Ge-
liebten,
Und an dem Ufer steh' ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Töne brausend mir herüber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern
Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram
Das nächste Glück vor seinen Lippen weg.
Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken
Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne
Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo
Sich Mitgeborne spielend fest und fester
Mit sanften Banden aneinander knüpften.
Ich rechte mit den Göttern nicht; allein
Der Frauen Zustand ist beklagenswerth.
Zu Haus' und in dem Kriege herrscht der Mann
Und in der Fremde weiß er sich zu helfen.
Iphigenie auf Tauris
Und es gewöhnt ſich nicht mein Geiſt hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im erſten, fremd.
Denn ach mich trennt das Meer von den Ge-
liebten,
Und an dem Ufer ſteh’ ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend;
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Töne brauſend mir herüber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geſchwiſtern
Ein einſam Leben führt! Ihm zehrt der Gram
Das nächſte Glück vor ſeinen Lippen weg.
Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken
Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne
Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo
Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter
Mit ſanften Banden aneinander knüpften.
Ich rechte mit den Göttern nicht; allein
Der Frauen Zuſtand iſt beklagenswerth.
Zu Hauſ’ und in dem Kriege herrſcht der Mann
Und in der Fremde weiß er ſich zu helfen.
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[4/0013] Iphigenie auf Tauris Und es gewöhnt ſich nicht mein Geiſt hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe; Doch immer bin ich, wie im erſten, fremd. Denn ach mich trennt das Meer von den Ge- liebten, Und an dem Ufer ſteh’ ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brauſend mir herüber. Weh dem, der fern von Eltern und Geſchwiſtern Ein einſam Leben führt! Ihm zehrt der Gram Das nächſte Glück vor ſeinen Lippen weg. Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter Mit ſanften Banden aneinander knüpften. Ich rechte mit den Göttern nicht; allein Der Frauen Zuſtand iſt beklagenswerth. Zu Hauſ’ und in dem Kriege herrſcht der Mann Und in der Fremde weiß er ſich zu helfen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/13>, abgerufen am 24.04.2024.