Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

bewegte Gemüth sich in einem gefühlvollen
Ausdrucke zeigen kann.

Auch glaubte ich recht in den Geist der
Rolle einzudringen, wenn ich die Last der
tiefen Schwermuth gleichsam selbst auf mich
nähme, und unter diesem Druck meinem Vor¬
bilde durch das seltsame Labyrinth so man¬
cher Launen und Sonderbarkeiten zu folgen
suchte. So memorirte ich, und so übte ich
mich, und glaubte nach und nach, mit mei¬
nem Helden zu einer Person zu werden.

Allein je weiter ich kam, desto schwerer
ward mir die Vorstellung des Ganzen, und
mir schien zuletzt fast unmöglich, zu einer
Übersicht zu gelangen. Nun ging ich das
Stück in einer ununterbrochenen Folge durch,
und auch da wollte mir leider manches nicht
passen. Bald schienen sich die Charaktere,
bald der Ausdruck zu widersprechen, und ich
verzweifelte fast, einen Ton zu finden, in

bewegte Gemüth ſich in einem gefühlvollen
Ausdrucke zeigen kann.

Auch glaubte ich recht in den Geiſt der
Rolle einzudringen, wenn ich die Laſt der
tiefen Schwermuth gleichſam ſelbſt auf mich
nähme, und unter dieſem Druck meinem Vor¬
bilde durch das ſeltſame Labyrinth ſo man¬
cher Launen und Sonderbarkeiten zu folgen
ſuchte. So memorirte ich, und ſo übte ich
mich, und glaubte nach und nach, mit mei¬
nem Helden zu einer Perſon zu werden.

Allein je weiter ich kam, deſto ſchwerer
ward mir die Vorſtellung des Ganzen, und
mir ſchien zuletzt faſt unmöglich, zu einer
Überſicht zu gelangen. Nun ging ich das
Stück in einer ununterbrochenen Folge durch,
und auch da wollte mir leider manches nicht
paſſen. Bald ſchienen ſich die Charaktere,
bald der Ausdruck zu widerſprechen, und ich
verzweifelte faſt, einen Ton zu finden, in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0209" n="201"/>
bewegte Gemüth &#x017F;ich in einem gefühlvollen<lb/>
Ausdrucke zeigen kann.</p><lb/>
            <p>Auch glaubte ich recht in den Gei&#x017F;t der<lb/>
Rolle einzudringen, wenn ich die La&#x017F;t der<lb/>
tiefen Schwermuth gleich&#x017F;am &#x017F;elb&#x017F;t auf mich<lb/>
nähme, und unter die&#x017F;em Druck meinem Vor¬<lb/>
bilde durch das &#x017F;elt&#x017F;ame Labyrinth &#x017F;o man¬<lb/>
cher Launen und Sonderbarkeiten zu folgen<lb/>
&#x017F;uchte. So memorirte ich, und &#x017F;o übte ich<lb/>
mich, und glaubte nach und nach, mit mei¬<lb/>
nem Helden zu einer Per&#x017F;on zu werden.</p><lb/>
            <p>Allein je weiter ich kam, de&#x017F;to &#x017F;chwerer<lb/>
ward mir die Vor&#x017F;tellung des Ganzen, und<lb/>
mir &#x017F;chien zuletzt fa&#x017F;t unmöglich, zu einer<lb/>
Über&#x017F;icht zu gelangen. Nun ging ich das<lb/>
Stück in einer ununterbrochenen Folge durch,<lb/>
und auch da wollte mir leider manches nicht<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;en. Bald &#x017F;chienen &#x017F;ich die Charaktere,<lb/>
bald der Ausdruck zu wider&#x017F;prechen, und ich<lb/>
verzweifelte fa&#x017F;t, einen Ton zu finden, in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0209] bewegte Gemüth ſich in einem gefühlvollen Ausdrucke zeigen kann. Auch glaubte ich recht in den Geiſt der Rolle einzudringen, wenn ich die Laſt der tiefen Schwermuth gleichſam ſelbſt auf mich nähme, und unter dieſem Druck meinem Vor¬ bilde durch das ſeltſame Labyrinth ſo man¬ cher Launen und Sonderbarkeiten zu folgen ſuchte. So memorirte ich, und ſo übte ich mich, und glaubte nach und nach, mit mei¬ nem Helden zu einer Perſon zu werden. Allein je weiter ich kam, deſto ſchwerer ward mir die Vorſtellung des Ganzen, und mir ſchien zuletzt faſt unmöglich, zu einer Überſicht zu gelangen. Nun ging ich das Stück in einer ununterbrochenen Folge durch, und auch da wollte mir leider manches nicht paſſen. Bald ſchienen ſich die Charaktere, bald der Ausdruck zu widerſprechen, und ich verzweifelte faſt, einen Ton zu finden, in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/209
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/209>, abgerufen am 25.04.2024.