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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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wenn die zierlich gestellten Buchstaben der
Gräfin ihm sonst so sehr gefallen hatten; so
fand er in den ähnlichen aber freyeren Zü¬
gen der Unbekannten eine unaussprechlich
fließende Harmonie. Das Billet enthielt
nichts, und schon die Züge schienen ihn, so
wie ehemals die Gegenwart der Schönen, zu
erheben.

Er verfiel in eine träumende Sehnsucht,
und wie einstimmend mit seinen Empfindun¬
gen war das Lied, das eben in dieser Stun¬
de Mignon und der Harfner als ein unre¬
gelmäßiges Duett mit dem herzlichsten Aus¬
drucke sangen:

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.

wenn die zierlich geſtellten Buchſtaben der
Gräfin ihm ſonſt ſo ſehr gefallen hatten; ſo
fand er in den ähnlichen aber freyeren Zü¬
gen der Unbekannten eine unausſprechlich
fließende Harmonie. Das Billet enthielt
nichts, und ſchon die Züge ſchienen ihn, ſo
wie ehemals die Gegenwart der Schönen, zu
erheben.

Er verfiel in eine träumende Sehnſucht,
und wie einſtimmend mit ſeinen Empfindun¬
gen war das Lied, das eben in dieſer Stun¬
de Mignon und der Harfner als ein unre¬
gelmäßiges Duett mit dem herzlichſten Aus¬
drucke ſangen:

Nur wer die Sehnſucht kennt,
Weiß was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
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[265/0274] wenn die zierlich geſtellten Buchſtaben der Gräfin ihm ſonſt ſo ſehr gefallen hatten; ſo fand er in den ähnlichen aber freyeren Zü¬ gen der Unbekannten eine unausſprechlich fließende Harmonie. Das Billet enthielt nichts, und ſchon die Züge ſchienen ihn, ſo wie ehemals die Gegenwart der Schönen, zu erheben. Er verfiel in eine träumende Sehnſucht, und wie einſtimmend mit ſeinen Empfindun¬ gen war das Lied, das eben in dieſer Stun¬ de Mignon und der Harfner als ein unre¬ gelmäßiges Duett mit dem herzlichſten Aus¬ drucke ſangen: Nur wer die Sehnſucht kennt, Weiß was ich leide! Allein und abgetrennt Von aller Freude, Seh ich ans Firmament Nach jener Seite.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/274>, abgerufen am 29.03.2024.