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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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nes meiner Kleidungsstücke wieder anziehn,
und da die Personen im Hause alle kleiner
oder stärker waren als ich, so kam ich in ei¬
ner seltsamen Verkleidung zum größten Er¬
staunen meiner Eltern nach Hause. Sie wa¬
ren über mein Schrecken, über die Wunden
des Freundes, über den Unsinn des Haupt¬
manns, über den ganzen Vorfall äußerst
verdrießlich. Wenig fehlte, so hätte mein Va¬
ter selbst, seinen Freund auf der Stelle zu
rächen, den Hauptmann heraus gefordert.
Er schalt die anwesenden Herren, daß sie
ein solches meuchelmörderisches Beginnen nicht
auf der Stelle geahndet; denn es war nur
zu offenbar, daß der Hauptmann sogleich,
nachdem er geschlagen, den Degen gezogen
und Narcissen von hinten verwundet habe;
der Hieb über die Hand war erst geführt
worden, als Narciß selbst zum Degen griff.
Ich war unbeschreiblich alterirt und afficirt,

nes meiner Kleidungsſtücke wieder anziehn,
und da die Perſonen im Hauſe alle kleiner
oder ſtärker waren als ich, ſo kam ich in ei¬
ner ſeltſamen Verkleidung zum größten Er¬
ſtaunen meiner Eltern nach Hauſe. Sie wa¬
ren über mein Schrecken, über die Wunden
des Freundes, über den Unſinn des Haupt¬
manns, über den ganzen Vorfall äußerſt
verdrießlich. Wenig fehlte, ſo hätte mein Va¬
ter ſelbſt, ſeinen Freund auf der Stelle zu
rächen, den Hauptmann heraus gefordert.
Er ſchalt die anweſenden Herren, daß ſie
ein ſolches meuchelmörderiſches Beginnen nicht
auf der Stelle geahndet; denn es war nur
zu offenbar, daß der Hauptmann ſogleich,
nachdem er geſchlagen, den Degen gezogen
und Narciſſen von hinten verwundet habe;
der Hieb über die Hand war erſt geführt
worden, als Narciß ſelbſt zum Degen griff.
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[235/0241] nes meiner Kleidungsſtücke wieder anziehn, und da die Perſonen im Hauſe alle kleiner oder ſtärker waren als ich, ſo kam ich in ei¬ ner ſeltſamen Verkleidung zum größten Er¬ ſtaunen meiner Eltern nach Hauſe. Sie wa¬ ren über mein Schrecken, über die Wunden des Freundes, über den Unſinn des Haupt¬ manns, über den ganzen Vorfall äußerſt verdrießlich. Wenig fehlte, ſo hätte mein Va¬ ter ſelbſt, ſeinen Freund auf der Stelle zu rächen, den Hauptmann heraus gefordert. Er ſchalt die anweſenden Herren, daß ſie ein ſolches meuchelmörderiſches Beginnen nicht auf der Stelle geahndet; denn es war nur zu offenbar, daß der Hauptmann ſogleich, nachdem er geſchlagen, den Degen gezogen und Narciſſen von hinten verwundet habe; der Hieb über die Hand war erſt geführt worden, als Narciß ſelbſt zum Degen griff. Ich war unbeſchreiblich alterirt und afficirt,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/241>, abgerufen am 19.04.2024.