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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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leicht durch tolle und unschickliche Darstellun¬
gen irre machen; aber man lege ihnen das
Vernünftige und Schickliche auf eine interes¬
sante Weise vor, so werden sie gewiß dar¬
nach greifen.

Was unserm Theater hauptsächlich fehlt,
und warum weder Schauspieler noch Zu¬
schauer zur Besinnung kommen, ist, daß es
darauf im Ganzen zu bunt aussieht, und
daß man nirgends eine Grenze hat, woran
man sein Urtheil anlehnen könnte. Es scheint
mir kein Vortheil zu seyn, daß wir unser
Theater gleichsam zu einem unendlichen Na¬
turschauplatze ausgeweitet haben, doch kann
jetzt weder Direktor noch Schauspieler sich
in die Enge ziehen, bis vielleicht der Ge¬
schmack der Nation in der Folge den rechten
Kreis selbst bezeichnet. Eine jede gute So¬
cietät existirt nur unter gewissen Bedingun¬
gen, so auch ein gutes Theater. Gewisse

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leicht durch tolle und unſchickliche Darſtellun¬
gen irre machen; aber man lege ihnen das
Vernünftige und Schickliche auf eine intereſ¬
ſante Weiſe vor, ſo werden ſie gewiß dar¬
nach greifen.

Was unſerm Theater hauptſächlich fehlt,
und warum weder Schauſpieler noch Zu¬
ſchauer zur Beſinnung kommen, iſt, daß es
darauf im Ganzen zu bunt ausſieht, und
daß man nirgends eine Grenze hat, woran
man ſein Urtheil anlehnen könnte. Es ſcheint
mir kein Vortheil zu ſeyn, daß wir unſer
Theater gleichſam zu einem unendlichen Na¬
turſchauplatze ausgeweitet haben, doch kann
jetzt weder Direktor noch Schauſpieler ſich
in die Enge ziehen, bis vielleicht der Ge¬
ſchmack der Nation in der Folge den rechten
Kreis ſelbſt bezeichnet. Eine jede gute So¬
cietät exiſtirt nur unter gewiſſen Bedingun¬
gen, ſo auch ein gutes Theater. Gewiſſe

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[163/0169] leicht durch tolle und unſchickliche Darſtellun¬ gen irre machen; aber man lege ihnen das Vernünftige und Schickliche auf eine intereſ¬ ſante Weiſe vor, ſo werden ſie gewiß dar¬ nach greifen. Was unſerm Theater hauptſächlich fehlt, und warum weder Schauſpieler noch Zu¬ ſchauer zur Beſinnung kommen, iſt, daß es darauf im Ganzen zu bunt ausſieht, und daß man nirgends eine Grenze hat, woran man ſein Urtheil anlehnen könnte. Es ſcheint mir kein Vortheil zu ſeyn, daß wir unſer Theater gleichſam zu einem unendlichen Na¬ turſchauplatze ausgeweitet haben, doch kann jetzt weder Direktor noch Schauſpieler ſich in die Enge ziehen, bis vielleicht der Ge¬ ſchmack der Nation in der Folge den rechten Kreis ſelbſt bezeichnet. Eine jede gute So¬ cietät exiſtirt nur unter gewiſſen Bedingun¬ gen, ſo auch ein gutes Theater. Gewiſſe L 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/169>, abgerufen am 16.04.2024.