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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Nun schien mir nach einem stürmischen
März und April das schönste Maywetter
beschert zu seyn. Ich genoß bey einer guten
Gesundheit eine unbeschreibliche Gemüths¬
ruhe; ich mochte mich umsehen, wie ich wollte,
so hatte ich bey meinem Verluste noch ge¬
wonnen. Jung und voll Empfindung wie
ich war, däuchte mir die Schöpfung tausend¬
mal schöner als vorher, da ich Gesellschaften
und Spiele haben mußte, damit mir die
Weile in dem schönen Garten nicht zu lang
wurde. Da ich mich einmal meiner Fröm¬
migkeit nicht schämte, so hatte ich Herz meine
Liebe zu Künsten und Wissenschaften nicht
zu verbergen. Ich zeichnete, mahlte, las
und fand Menschen genug, die mich unter¬
stützten; statt der großen Welt, die ich ver¬
lassen hatte, oder vielmehr, die mich verließ,
bildete sich eine kleinere um mich her, die
weit reicher und unterhaltender war. Ich

hatte

Nun ſchien mir nach einem ſtürmiſchen
März und April das ſchönſte Maywetter
beſchert zu ſeyn. Ich genoß bey einer guten
Geſundheit eine unbeſchreibliche Gemüths¬
ruhe; ich mochte mich umſehen, wie ich wollte,
ſo hatte ich bey meinem Verluſte noch ge¬
wonnen. Jung und voll Empfindung wie
ich war, däuchte mir die Schöpfung tauſend¬
mal ſchöner als vorher, da ich Geſellſchaften
und Spiele haben mußte, damit mir die
Weile in dem ſchönen Garten nicht zu lang
wurde. Da ich mich einmal meiner Fröm¬
migkeit nicht ſchämte, ſo hatte ich Herz meine
Liebe zu Künſten und Wiſſenſchaften nicht
zu verbergen. Ich zeichnete, mahlte, las
und fand Menſchen genug, die mich unter¬
ſtützten; ſtatt der großen Welt, die ich ver¬
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bildete ſich eine kleinere um mich her, die
weit reicher und unterhaltender war. Ich

hatte
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[272/0278] Nun ſchien mir nach einem ſtürmiſchen März und April das ſchönſte Maywetter beſchert zu ſeyn. Ich genoß bey einer guten Geſundheit eine unbeſchreibliche Gemüths¬ ruhe; ich mochte mich umſehen, wie ich wollte, ſo hatte ich bey meinem Verluſte noch ge¬ wonnen. Jung und voll Empfindung wie ich war, däuchte mir die Schöpfung tauſend¬ mal ſchöner als vorher, da ich Geſellſchaften und Spiele haben mußte, damit mir die Weile in dem ſchönen Garten nicht zu lang wurde. Da ich mich einmal meiner Fröm¬ migkeit nicht ſchämte, ſo hatte ich Herz meine Liebe zu Künſten und Wiſſenſchaften nicht zu verbergen. Ich zeichnete, mahlte, las und fand Menſchen genug, die mich unter¬ ſtützten; ſtatt der großen Welt, die ich ver¬ laſſen hatte, oder vielmehr, die mich verließ, bildete ſich eine kleinere um mich her, die weit reicher und unterhaltender war. Ich hatte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/278>, abgerufen am 23.04.2024.