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Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.

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§. 7.

Die unregelmässige Metamorphose könnten wir
auch die rückschreitende nennen. Denn wie in
jenem Fall, die Natur vorwärts zu dem grossen
Zwecke hineilt, tritt sie hier um eine oder einige
Stufen rückwärts. Wie sie dort mit unwider-
stehlichem Trieb und kräftiger Anstrengung die
Blumen bildet, und zu den Werken der Liebe
rüstet; so erschlafft sie hier gleichsam, und lässt
unentschlossen ihr Geschöpf in einem unent-
scheidenen, weichen, unsern Augen oft gefälligen,
aber innerlich unkräftigen und unwirksamen Zu-
stande. Durch die Erfahrungen, welche wir an
dieser Metamorphose zu machen Gelegenheit
haben, werden wir dasjenige enthüllen können
was uns die regelmässige verheimlicht, deutlich
sehen, was wir dort nur schliessen dürfen; und
auf diese Weise steht es zu hoffen, dass wir unsere
Absicht am sichersten erreichen.



§. 7.

Die unregelmäſsige Metamorphoſe könnten wir
auch die rückſchreitende nennen. Denn wie in
jenem Fall, die Natur vorwärts zu dem groſsen
Zwecke hineilt, tritt ſie hier um eine oder einige
Stufen rückwärts. Wie ſie dort mit unwider-
ſtehlichem Trieb und kräftiger Anſtrengung die
Blumen bildet, und zu den Werken der Liebe
rüſtet; ſo erſchlafft ſie hier gleichſam, und läſst
unentſchloſſen ihr Geſchöpf in einem unent-
ſcheidenen, weichen, unſern Augen oft gefälligen,
aber innerlich unkräftigen und unwirkſamen Zu-
ſtande. Durch die Erfahrungen, welche wir an
dieſer Metamorphoſe zu machen Gelegenheit
haben, werden wir dasjenige enthüllen können
was uns die regelmäſsige verheimlicht, deutlich
ſehen, was wir dort nur ſchlieſsen dürfen; und
auf dieſe Weiſe ſteht es zu hoffen, daſs wir unſere
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[4/0019] §. 7. Die unregelmäſsige Metamorphoſe könnten wir auch die rückſchreitende nennen. Denn wie in jenem Fall, die Natur vorwärts zu dem groſsen Zwecke hineilt, tritt ſie hier um eine oder einige Stufen rückwärts. Wie ſie dort mit unwider- ſtehlichem Trieb und kräftiger Anſtrengung die Blumen bildet, und zu den Werken der Liebe rüſtet; ſo erſchlafft ſie hier gleichſam, und läſst unentſchloſſen ihr Geſchöpf in einem unent- ſcheidenen, weichen, unſern Augen oft gefälligen, aber innerlich unkräftigen und unwirkſamen Zu- ſtande. Durch die Erfahrungen, welche wir an dieſer Metamorphoſe zu machen Gelegenheit haben, werden wir dasjenige enthüllen können was uns die regelmäſsige verheimlicht, deutlich ſehen, was wir dort nur ſchlieſsen dürfen; und auf dieſe Weiſe ſteht es zu hoffen, daſs wir unſere Abſicht am ſicherſten erreichen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/19>, abgerufen am 20.04.2024.