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Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.

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§. 99.

Die Natur bildet einen gemeinschaftlichen Kelch,
aus vielen Blättern, welche sie auf einander drängt
und um Eine Axe versammlet; mit eben diesem
starken Triebe des Wachsthums entwickelt sie
einen gleichsam unendlichen Stengel, mit allen seinen
Augen in Blüthengestalt, auf einmal, in der möglichsten

an einander gedrängten Nähe, und jedes Blümchen
befruchtet das unter ihm schon vorbereitete Samen-
gefäss. Bey dieser ungeheuren Zusammenziehung
verlieren sich die Knotenblätter nicht immer; bey
den Disteln begleitet das Blättchen getreulich das
Blümchen, das sich aus den Augen neben ihnen
entwickelt. Man vergleiche mit diesem Paragraph
die Gestalt des Dipsacus laciniatus. Bey vielen
Gräsern wird eine jede Blüthe durch ein solches
Blättchen, das in diesem Falle der Balg genannt
wird, begleitet.

§. 100.

Auf diese Weise wird es uns nun anschaulich
seyn, wie die, um einen gemeinsamen Blüthen-
stand entwickelte Samen, wahre
, durch die Wirkung


§. 99.

Die Natur bildet einen gemeinſchaftlichen Kelch,
aus vielen Blättern, welche ſie auf einander drängt
und um Eine Axe verſammlet; mit eben dieſem
ſtarken Triebe des Wachsthums entwickelt ſie
einen gleichſam unendlichen Stengel, mit allen ſeinen
Augen in Blüthengeſtalt, auf einmal, in der möglichſten

an einander gedrängten Nähe, und jedes Blümchen
befruchtet das unter ihm ſchon vorbereitete Samen-
gefäſs. Bey dieſer ungeheuren Zuſammenziehung
verlieren ſich die Knotenblätter nicht immer; bey
den Diſteln begleitet das Blättchen getreulich das
Blümchen, das ſich aus den Augen neben ihnen
entwickelt. Man vergleiche mit dieſem Paragraph
die Geſtalt des Dipſacus laciniatus. Bey vielen
Gräſern wird eine jede Blüthe durch ein ſolches
Blättchen, das in dieſem Falle der Balg genannt
wird, begleitet.

§. 100.

Auf dieſe Weiſe wird es uns nun anſchaulich
ſeyn, wie die, um einen gemeinſamen Blüthen-
ſtand entwickelte Samen, wahre
, durch die Wirkung

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[66/0081] §. 99. Die Natur bildet einen gemeinſchaftlichen Kelch, aus vielen Blättern, welche ſie auf einander drängt und um Eine Axe verſammlet; mit eben dieſem ſtarken Triebe des Wachsthums entwickelt ſie einen gleichſam unendlichen Stengel, mit allen ſeinen Augen in Blüthengeſtalt, auf einmal, in der möglichſten an einander gedrängten Nähe, und jedes Blümchen befruchtet das unter ihm ſchon vorbereitete Samen- gefäſs. Bey dieſer ungeheuren Zuſammenziehung verlieren ſich die Knotenblätter nicht immer; bey den Diſteln begleitet das Blättchen getreulich das Blümchen, das ſich aus den Augen neben ihnen entwickelt. Man vergleiche mit dieſem Paragraph die Geſtalt des Dipſacus laciniatus. Bey vielen Gräſern wird eine jede Blüthe durch ein ſolches Blättchen, das in dieſem Falle der Balg genannt wird, begleitet. §. 100. Auf dieſe Weiſe wird es uns nun anſchaulich ſeyn, wie die, um einen gemeinſamen Blüthen- ſtand entwickelte Samen, wahre, durch die Wirkung

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/81>, abgerufen am 29.03.2024.