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Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.

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§. 95.

Wir bemerken sehr oft, dass Stengel ohne zu
einem einzelnen Blüthenstande sich lange vorzu-
bereiten und aufzusparen, schon aus den Knoten
ihre Blüthen hervortreiben, und so bis an ihre
Spitze oft ununterbrochen fortfahren. Doch lassen
sich die dabey vorkommenden Erscheinungen aus
der oben vorgetragenen Theorie erklären. Alle
Blumen welche sich aus den Augen entwickeln,
sind als ganze Pflanzen anzusehen, welche auf
der Mutterpflanze eben so wie diese auf der Erde
stehen. Da sie nun aus den Knoten reinere Säfte
erhalten; so erscheinen selbst die ersten Blätter der
Zweiglein viel ausgebildeter, als die ersten Blätter
der Mutterpflanze welche auf die Cotyledonen
folgen; ja es wird die Ausbildung des Kelches
und der Blume oft sogleich möglich.

§. 96.

Eben diese aus den Augen sich bildende Blüthen
würden bey mehr zudringender Nahrung, Zweige
geworden seyn, und das Schicksal des Mutter-
stengels, dem er sich unter solchen Umständen
unterwerfen müsste, gleichfalls erduldet haben.


§. 97.

§. 95.

Wir bemerken ſehr oft, daſs Stengel ohne zu
einem einzelnen Blüthenſtande ſich lange vorzu-
bereiten und aufzuſparen, ſchon aus den Knoten
ihre Blüthen hervortreiben, und ſo bis an ihre
Spitze oft ununterbrochen fortfahren. Doch laſſen
ſich die dabey vorkommenden Erſcheinungen aus
der oben vorgetragenen Theorie erklären. Alle
Blumen welche ſich aus den Augen entwickeln,
ſind als ganze Pflanzen anzuſehen, welche auf
der Mutterpflanze eben ſo wie dieſe auf der Erde
ſtehen. Da ſie nun aus den Knoten reinere Säfte
erhalten; ſo erſcheinen ſelbſt die erſten Blätter der
Zweiglein viel ausgebildeter, als die erſten Blätter
der Mutterpflanze welche auf die Cotyledonen
folgen; ja es wird die Ausbildung des Kelches
und der Blume oft ſogleich möglich.

§. 96.

Eben dieſe aus den Augen ſich bildende Blüthen
würden bey mehr zudringender Nahrung, Zweige
geworden ſeyn, und das Schickſal des Mutter-
ſtengels, dem er ſich unter ſolchen Umſtänden
unterwerfen müſste, gleichfalls erduldet haben.


§. 97.
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[64/0079] §. 95. Wir bemerken ſehr oft, daſs Stengel ohne zu einem einzelnen Blüthenſtande ſich lange vorzu- bereiten und aufzuſparen, ſchon aus den Knoten ihre Blüthen hervortreiben, und ſo bis an ihre Spitze oft ununterbrochen fortfahren. Doch laſſen ſich die dabey vorkommenden Erſcheinungen aus der oben vorgetragenen Theorie erklären. Alle Blumen welche ſich aus den Augen entwickeln, ſind als ganze Pflanzen anzuſehen, welche auf der Mutterpflanze eben ſo wie dieſe auf der Erde ſtehen. Da ſie nun aus den Knoten reinere Säfte erhalten; ſo erſcheinen ſelbſt die erſten Blätter der Zweiglein viel ausgebildeter, als die erſten Blätter der Mutterpflanze welche auf die Cotyledonen folgen; ja es wird die Ausbildung des Kelches und der Blume oft ſogleich möglich. §. 96. Eben dieſe aus den Augen ſich bildende Blüthen würden bey mehr zudringender Nahrung, Zweige geworden ſeyn, und das Schickſal des Mutter- ſtengels, dem er ſich unter ſolchen Umſtänden unterwerfen müſste, gleichfalls erduldet haben. §. 97.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/79>, abgerufen am 28.03.2024.