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Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.

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Ein Schauspiel.
Leonore.
Wenn einer Freundinn Wort nicht trösten
kann;
So wird die stille Kraft der schönen Welt,
Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.
Prinzessinn.
Wohl ist sie schön die Welt! in ihrer Weite
Bewegt sich so viel Gutes hin und her.
Ach daß es immer nur um Einen Schritt
Von uns sich zu entfernen scheint,
Und unsre bange Sehnsucht durch das Leben
Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe
lockt!
So selten ist es, daß die Menschen finden,
Was ihnen doch bestimmt gewesen schien,
So selten, daß sie das erhalten, was
Auch einmal die beglückte Hand ergriff!
Es reißt sich los, was erst sich uns ergab,
Wir lassen los, was wir begierig faßten.
Es gibt ein Glück, allein wir kennen's nicht:
Wir kennen's wohl, und wissen's nicht zu
schätzen.
Ein Schauſpiel.
Leonore.
Wenn einer Freundinn Wort nicht tröſten
kann;
So wird die ſtille Kraft der ſchönen Welt,
Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.
Prinzeſſinn.
Wohl iſt ſie ſchön die Welt! in ihrer Weite
Bewegt ſich ſo viel Gutes hin und her.
Ach daß es immer nur um Einen Schritt
Von uns ſich zu entfernen ſcheint,
Und unſre bange Sehnſucht durch das Leben
Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe
lockt!
So ſelten iſt es, daß die Menſchen finden,
Was ihnen doch beſtimmt geweſen ſchien,
So ſelten, daß ſie das erhalten, was
Auch einmal die beglückte Hand ergriff!
Es reißt ſich los, was erſt ſich uns ergab,
Wir laſſen los, was wir begierig faßten.
Es gibt ein Glück, allein wir kennen’s nicht:
Wir kennen’s wohl, und wiſſen’s nicht zu
ſchätzen.
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[123/0131] Ein Schauſpiel. Leonore. Wenn einer Freundinn Wort nicht tröſten kann; So wird die ſtille Kraft der ſchönen Welt, Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken. Prinzeſſinn. Wohl iſt ſie ſchön die Welt! in ihrer Weite Bewegt ſich ſo viel Gutes hin und her. Ach daß es immer nur um Einen Schritt Von uns ſich zu entfernen ſcheint, Und unſre bange Sehnſucht durch das Leben Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt! So ſelten iſt es, daß die Menſchen finden, Was ihnen doch beſtimmt geweſen ſchien, So ſelten, daß ſie das erhalten, was Auch einmal die beglückte Hand ergriff! Es reißt ſich los, was erſt ſich uns ergab, Wir laſſen los, was wir begierig faßten. Es gibt ein Glück, allein wir kennen’s nicht: Wir kennen’s wohl, und wiſſen’s nicht zu ſchätzen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_torquato_1790/131>, abgerufen am 28.03.2024.