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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Zwölftes Kapitel.

Als die Gesellschaft zum Frühstück wieder
zusammen kam, hätte ein aufmerksamer Beob¬
achter an dem Betragen der Einzelnen die
Verschiedenheit der innern Gesinnungen und
Empfindungen abnehmen können. Der Graf
und die Baronesse begegneten sich mit dem
heitern Behagen, das ein paar Liebende em¬
pfinden, die sich, nach erduldeter Trennung,
ihrer wechselseitigen Neigung abermals ver¬
sichert halten; dagegen Charlotte und Eduard
gleichsam beschämt und reuig dem Hauptmann
und Ottilien entgegen traten. Denn so ist
die Liebe beschaffen, daß sie allein Recht zu
haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr
verschwinden. Ottilie war kindlich heiter,

I. 14
Zwoͤlftes Kapitel.

Als die Geſellſchaft zum Fruͤhſtuͤck wieder
zuſammen kam, haͤtte ein aufmerkſamer Beob¬
achter an dem Betragen der Einzelnen die
Verſchiedenheit der innern Geſinnungen und
Empfindungen abnehmen koͤnnen. Der Graf
und die Baroneſſe begegneten ſich mit dem
heitern Behagen, das ein paar Liebende em¬
pfinden, die ſich, nach erduldeter Trennung,
ihrer wechſelſeitigen Neigung abermals ver¬
ſichert halten; dagegen Charlotte und Eduard
gleichſam beſchaͤmt und reuig dem Hauptmann
und Ottilien entgegen traten. Denn ſo iſt
die Liebe beſchaffen, daß ſie allein Recht zu
haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr
verſchwinden. Ottilie war kindlich heiter,

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[0214] Zwoͤlftes Kapitel. Als die Geſellſchaft zum Fruͤhſtuͤck wieder zuſammen kam, haͤtte ein aufmerkſamer Beob¬ achter an dem Betragen der Einzelnen die Verſchiedenheit der innern Geſinnungen und Empfindungen abnehmen koͤnnen. Der Graf und die Baroneſſe begegneten ſich mit dem heitern Behagen, das ein paar Liebende em¬ pfinden, die ſich, nach erduldeter Trennung, ihrer wechſelſeitigen Neigung abermals ver¬ ſichert halten; dagegen Charlotte und Eduard gleichſam beſchaͤmt und reuig dem Hauptmann und Ottilien entgegen traten. Denn ſo iſt die Liebe beſchaffen, daß ſie allein Recht zu haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr verſchwinden. Ottilie war kindlich heiter, I. 14

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/214>, abgerufen am 24.04.2024.