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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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Lotten anbefohlen habe, wie seit der Zeit ein ganz
anderer Geist Lotten belebt, wie sie in Sorge für
ihre Wirthschaft und im Ernste eine wahre Mut-
ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne
thätige Liebe, ohne Arbeit verstrichen, und wie den-
noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtsinn sie nicht
verlassen habe. Jch gehe so neben ihm hin, und
pflükke Blumen am Wege, füge sie sehr sorgfältig
in einen Straus und -- werfe sie in den vor-
überfliessenden Strohm, und sehe ihnen nach wie
sie leise hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich
dir geschrieben habe, daß Albert hier bleiben, und
ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho-
fe erhalten wird, wo er sehr beliebt ist. Jn Ord-
nung und Emsigkeit in Geschäften hab ich wenig
eines gleichen gesehen.




Gewiß Albert ist der beste Mensch unter dem
Himmel, ich habe gestern eine wunderbare
Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab-
schied zu nehmen, denn mich wandelte die Lust an,

in's



Lotten anbefohlen habe, wie ſeit der Zeit ein ganz
anderer Geiſt Lotten belebt, wie ſie in Sorge fuͤr
ihre Wirthſchaft und im Ernſte eine wahre Mut-
ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne
thaͤtige Liebe, ohne Arbeit verſtrichen, und wie den-
noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtſinn ſie nicht
verlaſſen habe. Jch gehe ſo neben ihm hin, und
pfluͤkke Blumen am Wege, fuͤge ſie ſehr ſorgfaͤltig
in einen Straus und — werfe ſie in den vor-
uͤberflieſſenden Strohm, und ſehe ihnen nach wie
ſie leiſe hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich
dir geſchrieben habe, daß Albert hier bleiben, und
ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho-
fe erhalten wird, wo er ſehr beliebt iſt. Jn Ord-
nung und Emſigkeit in Geſchaͤften hab ich wenig
eines gleichen geſehen.




Gewiß Albert iſt der beſte Menſch unter dem
Himmel, ich habe geſtern eine wunderbare
Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab-
ſchied zu nehmen, denn mich wandelte die Luſt an,

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[78/0078] Lotten anbefohlen habe, wie ſeit der Zeit ein ganz anderer Geiſt Lotten belebt, wie ſie in Sorge fuͤr ihre Wirthſchaft und im Ernſte eine wahre Mut- ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne thaͤtige Liebe, ohne Arbeit verſtrichen, und wie den- noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtſinn ſie nicht verlaſſen habe. Jch gehe ſo neben ihm hin, und pfluͤkke Blumen am Wege, fuͤge ſie ſehr ſorgfaͤltig in einen Straus und — werfe ſie in den vor- uͤberflieſſenden Strohm, und ſehe ihnen nach wie ſie leiſe hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich dir geſchrieben habe, daß Albert hier bleiben, und ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho- fe erhalten wird, wo er ſehr beliebt iſt. Jn Ord- nung und Emſigkeit in Geſchaͤften hab ich wenig eines gleichen geſehen. am 12. Aug. Gewiß Albert iſt der beſte Menſch unter dem Himmel, ich habe geſtern eine wunderbare Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab- ſchied zu nehmen, denn mich wandelte die Luſt an, in’s

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/78>, abgerufen am 19.04.2024.