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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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pfindung für Freundschaft und Liebe hervorleuch-
tet. Er nahm Theil an mir, als ich einen Ge-
schäftsauftrag an ihn ausrichtete, und er bey den
ersten Worten merkte, daß wir uns verstunden,
daß er mit mir reden konnte wie nicht mit jedem.
Auch kann ich sein offnes Betragen gegen mich
nicht genug rühmen. So eine warme grosse
Freude ist nicht in der Welt, als eine grosse See-
le zu sehen, die sich gegen einen öffnet.




Der Gesandte macht mir viel Verdruß, ich hab
es voraus gesehn. Es ist der pünktlichste
Narre, den's nur geben kann. Schritt vor Schrit
und umständlich wie eine Baase. Ein Mensch
der nie selbst mit sich zufrieden ist, und dem's da
her niemand zu Danke machen kann. Jch arbei
te gern leicht weg, und wie's steht so steht's, da ist
er im Stande, mir einen Aufsaz zurükzugeben und
zu sagen: er ist gut, aber sehen sie ihn durch,
man findt immer ein besser Wort, eine reinere
Partikel. Da möcht ich des Teusels werden. Kein

und,



pfindung fuͤr Freundſchaft und Liebe hervorleuch-
tet. Er nahm Theil an mir, als ich einen Ge-
ſchaͤftsauftrag an ihn ausrichtete, und er bey den
erſten Worten merkte, daß wir uns verſtunden,
daß er mit mir reden konnte wie nicht mit jedem.
Auch kann ich ſein offnes Betragen gegen mich
nicht genug ruͤhmen. So eine warme groſſe
Freude iſt nicht in der Welt, als eine groſſe See-
le zu ſehen, die ſich gegen einen oͤffnet.




Der Geſandte macht mir viel Verdruß, ich hab
es voraus geſehn. Es iſt der puͤnktlichſte
Narre, den’s nur geben kann. Schritt vor Schrit
und umſtaͤndlich wie eine Baaſe. Ein Menſch
der nie ſelbſt mit ſich zufrieden iſt, und dem’s da
her niemand zu Danke machen kann. Jch arbei
te gern leicht weg, und wie’s ſteht ſo ſteht’s, da iſt
er im Stande, mir einen Aufſaz zuruͤkzugeben und
zu ſagen: er iſt gut, aber ſehen ſie ihn durch,
man findt immer ein beſſer Wort, eine reinere
Partikel. Da moͤcht ich des Teuſels werden. Kein

und,
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[118/0006] pfindung fuͤr Freundſchaft und Liebe hervorleuch- tet. Er nahm Theil an mir, als ich einen Ge- ſchaͤftsauftrag an ihn ausrichtete, und er bey den erſten Worten merkte, daß wir uns verſtunden, daß er mit mir reden konnte wie nicht mit jedem. Auch kann ich ſein offnes Betragen gegen mich nicht genug ruͤhmen. So eine warme groſſe Freude iſt nicht in der Welt, als eine groſſe See- le zu ſehen, die ſich gegen einen oͤffnet. am 24. Dec. Der Geſandte macht mir viel Verdruß, ich hab es voraus geſehn. Es iſt der puͤnktlichſte Narre, den’s nur geben kann. Schritt vor Schrit und umſtaͤndlich wie eine Baaſe. Ein Menſch der nie ſelbſt mit ſich zufrieden iſt, und dem’s da her niemand zu Danke machen kann. Jch arbei te gern leicht weg, und wie’s ſteht ſo ſteht’s, da iſt er im Stande, mir einen Aufſaz zuruͤkzugeben und zu ſagen: er iſt gut, aber ſehen ſie ihn durch, man findt immer ein beſſer Wort, eine reinere Partikel. Da moͤcht ich des Teuſels werden. Kein und,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/6>, abgerufen am 28.03.2024.