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Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789.

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Die Erbschleicher.
Neunter Auftritt.
Justine, allein.
(Liest laut.) "Theuerstes Justinchen! Ihr
letzter Brief hat mich betrübt. Bey aller Ihrer
Freundschaft seh' ich des Ausweichens und Aufschie-
bens kein Ende; und meine Umstände machen es
mir doch täglich mehr zur Pflicht, auf eine ent-
scheidende Antwort zu dringen[.] Ich brauch' eine
Gehülfinn für mein Hauswesen; meine Specu-
lationen gelingen hie und da, aber ich komme
doch zurück. Eine Mutter für meine Kinder! so
viel Mühe ich mir auch mit ihnen gebe, fangen
sie an zu verwildern. Klein, sehr klein ist frey-
rich das Glück, das ich Ihnen anzubieten habe;
aber grenzenlos die Liebe und Dankbarkeit

Ihres
Bieder."

(Küßt den Namen.) Gute, treue Seele! -- Ich
will ihm ohne Verzug antworten. -- Aber
was? -- Kann ich ihm Entscheidung geben, wo
noch nichts entschieden ist? -- Ach, die Liebe ist
ein Kind; ein gutes Wörtchen -- und sie
schweigt wieder; und die Zeit geht hin.

(Ab ins Kabinet.)
G 4
Die Erbſchleicher.
Neunter Auftritt.
Juſtine, allein.
(Lieſt laut.) „Theuerſtes Juſtinchen! Ihr
letzter Brief hat mich betruͤbt. Bey aller Ihrer
Freundſchaft ſeh’ ich des Ausweichens und Aufſchie-
bens kein Ende; und meine Umſtaͤnde machen es
mir doch taͤglich mehr zur Pflicht, auf eine ent-
ſcheidende Antwort zu dringen[.] Ich brauch’ eine
Gehuͤlfinn fuͤr mein Hausweſen; meine Specu-
lationen gelingen hie und da, aber ich komme
doch zuruͤck. Eine Mutter fuͤr meine Kinder! ſo
viel Muͤhe ich mir auch mit ihnen gebe, fangen
ſie an zu verwildern. Klein, ſehr klein iſt frey-
rich das Gluͤck, das ich Ihnen anzubieten habe;
aber grenzenlos die Liebe und Dankbarkeit

Ihres
Bieder.

(Küßt den Namen.) Gute, treue Seele! — Ich
will ihm ohne Verzug antworten. — Aber
was? — Kann ich ihm Entſcheidung geben, wo
noch nichts entſchieden iſt? — Ach, die Liebe iſt
ein Kind; ein gutes Woͤrtchen — und ſie
ſchweigt wieder; und die Zeit geht hin.

(Ab ins Kabinet.)
G 4
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[103/0109] Die Erbſchleicher. Neunter Auftritt. Juſtine, allein. (Lieſt laut.)„Theuerſtes Juſtinchen! Ihr letzter Brief hat mich betruͤbt. Bey aller Ihrer Freundſchaft ſeh’ ich des Ausweichens und Aufſchie- bens kein Ende; und meine Umſtaͤnde machen es mir doch taͤglich mehr zur Pflicht, auf eine ent- ſcheidende Antwort zu dringen. Ich brauch’ eine Gehuͤlfinn fuͤr mein Hausweſen; meine Specu- lationen gelingen hie und da, aber ich komme doch zuruͤck. Eine Mutter fuͤr meine Kinder! ſo viel Muͤhe ich mir auch mit ihnen gebe, fangen ſie an zu verwildern. Klein, ſehr klein iſt frey- rich das Gluͤck, das ich Ihnen anzubieten habe; aber grenzenlos die Liebe und Dankbarkeit Ihres Bieder.“ (Küßt den Namen.) Gute, treue Seele! — Ich will ihm ohne Verzug antworten. — Aber was? — Kann ich ihm Entſcheidung geben, wo noch nichts entſchieden iſt? — Ach, die Liebe iſt ein Kind; ein gutes Woͤrtchen — und ſie ſchweigt wieder; und die Zeit geht hin. (Ab ins Kabinet.) G 4

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Zitationshilfe: Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotter_erbschleicher_1789/109>, abgerufen am 25.04.2024.