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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kannten sie nicht, als die Aussicht, Spendvögtin, Seimeisterin, Seckelmeisterin oder gar Frau Rathsherrin zu werden. Für diese Aussichten schwärmten sie förmlich, während sie die Aussicht auf dem Riesen sehr fade fanden, dieweil kein Wirthshaus dort sich findet. Auf dem Faulhorn ist ein Wirthshaus, die Aussicht aber dumm; man sehe ja nur Berge, die könnten sie vom Haus aus auch sehen, und eigentlich wüßten sie nicht, was man an den Bergen sehe. Genau besehen, sei ein Berg wie der andere. Da gefalle ihnen eine schöne Promenade, auf welcher Herren und Damen spazieren gingen, viel besser. Wegen den Herren wollten sie nun nichts sagen, aber wo viele Damen und Töchter spazierten, absonderlich, wenn Fremde da seien, sehe man alleweil was Neues, neue Häubchen, neue Hüte, neuen Zeug, kurz immer was, das einem zu denken gebe, erstlich, wie man wohlfeil dazu kommen könnte, und zweitens, wie schön es einem stehen müßte, so kalkulirten sie. Die letzte der Freundinnen hatte den Wahlspruch der alten Garde: die Garde stirbt, ergiebt sich nicht, nicht zu dem ihren gemacht, sie hatte von je für die Aussicht, Vögtin oder gar Meisterin über irgend welchen Zweig der bürgerlichen Verwaltung zu werden, stark geschwärmt, aber fruchtlos, war indessen nicht in Verzweiflung darüber gerathen, denn Julie war ein zäh Ding, hielt sich am Vers: Wenn Hoffnung nicht wär', ich lebte nicht mehr! Diese Hoffnung ließ sie auch nicht zu Schanden werden. Endlich auf einem Spaziergange im vergangenen Jahre, an einem schönen Sonntage Nachmittags -- in den Hundstagen war es -- ging an ihrer Seite ein hölzernes Subject in Feuer auf. Es war ein Schreiber auf dem Amte mit großen Aussichten. Julie schrie begreiflich nicht Fürio, sie ließ brennen was brennen wollte, ihr Herz und des Subjects Herz, beide zusammen gaben eine artige Flamme. In diesen Flammen wurden beide eins, d. h. glücklich und räthig, Mann und Frau zu werden. Schon Montags in der Früh kam Julie zu Luise, ihr zu verkünden, wessen ihr Herz voll war. Wie da

kannten sie nicht, als die Aussicht, Spendvögtin, Seimeisterin, Seckelmeisterin oder gar Frau Rathsherrin zu werden. Für diese Aussichten schwärmten sie förmlich, während sie die Aussicht auf dem Riesen sehr fade fanden, dieweil kein Wirthshaus dort sich findet. Auf dem Faulhorn ist ein Wirthshaus, die Aussicht aber dumm; man sehe ja nur Berge, die könnten sie vom Haus aus auch sehen, und eigentlich wüßten sie nicht, was man an den Bergen sehe. Genau besehen, sei ein Berg wie der andere. Da gefalle ihnen eine schöne Promenade, auf welcher Herren und Damen spazieren gingen, viel besser. Wegen den Herren wollten sie nun nichts sagen, aber wo viele Damen und Töchter spazierten, absonderlich, wenn Fremde da seien, sehe man alleweil was Neues, neue Häubchen, neue Hüte, neuen Zeug, kurz immer was, das einem zu denken gebe, erstlich, wie man wohlfeil dazu kommen könnte, und zweitens, wie schön es einem stehen müßte, so kalkulirten sie. Die letzte der Freundinnen hatte den Wahlspruch der alten Garde: die Garde stirbt, ergiebt sich nicht, nicht zu dem ihren gemacht, sie hatte von je für die Aussicht, Vögtin oder gar Meisterin über irgend welchen Zweig der bürgerlichen Verwaltung zu werden, stark geschwärmt, aber fruchtlos, war indessen nicht in Verzweiflung darüber gerathen, denn Julie war ein zäh Ding, hielt sich am Vers: Wenn Hoffnung nicht wär', ich lebte nicht mehr! Diese Hoffnung ließ sie auch nicht zu Schanden werden. Endlich auf einem Spaziergange im vergangenen Jahre, an einem schönen Sonntage Nachmittags — in den Hundstagen war es — ging an ihrer Seite ein hölzernes Subject in Feuer auf. Es war ein Schreiber auf dem Amte mit großen Aussichten. Julie schrie begreiflich nicht Fürio, sie ließ brennen was brennen wollte, ihr Herz und des Subjects Herz, beide zusammen gaben eine artige Flamme. In diesen Flammen wurden beide eins, d. h. glücklich und räthig, Mann und Frau zu werden. Schon Montags in der Früh kam Julie zu Luise, ihr zu verkünden, wessen ihr Herz voll war. Wie da

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[0015] kannten sie nicht, als die Aussicht, Spendvögtin, Seimeisterin, Seckelmeisterin oder gar Frau Rathsherrin zu werden. Für diese Aussichten schwärmten sie förmlich, während sie die Aussicht auf dem Riesen sehr fade fanden, dieweil kein Wirthshaus dort sich findet. Auf dem Faulhorn ist ein Wirthshaus, die Aussicht aber dumm; man sehe ja nur Berge, die könnten sie vom Haus aus auch sehen, und eigentlich wüßten sie nicht, was man an den Bergen sehe. Genau besehen, sei ein Berg wie der andere. Da gefalle ihnen eine schöne Promenade, auf welcher Herren und Damen spazieren gingen, viel besser. Wegen den Herren wollten sie nun nichts sagen, aber wo viele Damen und Töchter spazierten, absonderlich, wenn Fremde da seien, sehe man alleweil was Neues, neue Häubchen, neue Hüte, neuen Zeug, kurz immer was, das einem zu denken gebe, erstlich, wie man wohlfeil dazu kommen könnte, und zweitens, wie schön es einem stehen müßte, so kalkulirten sie. Die letzte der Freundinnen hatte den Wahlspruch der alten Garde: die Garde stirbt, ergiebt sich nicht, nicht zu dem ihren gemacht, sie hatte von je für die Aussicht, Vögtin oder gar Meisterin über irgend welchen Zweig der bürgerlichen Verwaltung zu werden, stark geschwärmt, aber fruchtlos, war indessen nicht in Verzweiflung darüber gerathen, denn Julie war ein zäh Ding, hielt sich am Vers: Wenn Hoffnung nicht wär', ich lebte nicht mehr! Diese Hoffnung ließ sie auch nicht zu Schanden werden. Endlich auf einem Spaziergange im vergangenen Jahre, an einem schönen Sonntage Nachmittags — in den Hundstagen war es — ging an ihrer Seite ein hölzernes Subject in Feuer auf. Es war ein Schreiber auf dem Amte mit großen Aussichten. Julie schrie begreiflich nicht Fürio, sie ließ brennen was brennen wollte, ihr Herz und des Subjects Herz, beide zusammen gaben eine artige Flamme. In diesen Flammen wurden beide eins, d. h. glücklich und räthig, Mann und Frau zu werden. Schon Montags in der Früh kam Julie zu Luise, ihr zu verkünden, wessen ihr Herz voll war. Wie da

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/15>, abgerufen am 29.03.2024.