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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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sagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein
Kind, welches man nicht zur Taufe trage, sondern
führe, träge werde und sein Lebtag seine Beine nie recht
brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre,
die versäumt am längsten, die Göttene machen es kür¬
zer und könnten immerhin nachlaufen." Die Angst nach
den Gevatterleuten verbreitete sich durchs ganze Haus.
"Kommen sie noch nicht?" hörte man allenthalten; in
allen Ecken des Hauses schauten Gesichter nach ihnen
aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er
sie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber sagte: "Ehe¬
mals ist das doch nicht so gewesen, da wußte man,
daß man an solchen Tagen zu rechter Zeit aufzustehen
habe und der Herr Niemanden warte." Endlich stürzte
der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte
komme.

Sie kam, schweißbedeckt und beladen wie das Neu¬
jahrkindlein. In der einen Hand hatte sie die schwarzen
Schnüre eines großen blumenreichen Wartsäckleins, in
welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine
große Züpfe stach, ein Geschenk für die Kindbetterin.
In der andern Hand trug sie ein zweites Säcklein und
in demselben war eine Kleidung für das Kind, nebst
etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich
schöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme
hatte sie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der
Spitzenkappe mit den prächtigen schwarzseidenen Haar¬
schnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott
willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte
sie Zeit von ihrer Bürde eine abzustellen, um den ent¬
gegengestreckten Händen freundlich zu begegnen. Von
allen Seiten langten dienstbare Hände nach ihren La¬
sten und unter der Thüre stand die junge Frau und

ſagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein
Kind, welches man nicht zur Taufe trage, ſondern
führe, träge werde und ſein Lebtag ſeine Beine nie recht
brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre,
die verſäumt am längſten, die Göttene machen es kür¬
zer und könnten immerhin nachlaufen.“ Die Angſt nach
den Gevatterleuten verbreitete ſich durchs ganze Haus.
„Kommen ſie noch nicht?“ hörte man allenthalten; in
allen Ecken des Hauſes ſchauten Geſichter nach ihnen
aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er
ſie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber ſagte: „Ehe¬
mals iſt das doch nicht ſo geweſen, da wußte man,
daß man an ſolchen Tagen zu rechter Zeit aufzuſtehen
habe und der Herr Niemanden warte.“ Endlich ſtürzte
der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte
komme.

Sie kam, ſchweißbedeckt und beladen wie das Neu¬
jahrkindlein. In der einen Hand hatte ſie die ſchwarzen
Schnüre eines großen blumenreichen Wartſäckleins, in
welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine
große Züpfe ſtach, ein Geſchenk für die Kindbetterin.
In der andern Hand trug ſie ein zweites Säcklein und
in demſelben war eine Kleidung für das Kind, nebſt
etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich
ſchöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme
hatte ſie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der
Spitzenkappe mit den prächtigen ſchwarzſeidenen Haar¬
ſchnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott
willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte
ſie Zeit von ihrer Bürde eine abzuſtellen, um den ent¬
gegengeſtreckten Händen freundlich zu begegnen. Von
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[8/0018] ſagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein Kind, welches man nicht zur Taufe trage, ſondern führe, träge werde und ſein Lebtag ſeine Beine nie recht brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre, die verſäumt am längſten, die Göttene machen es kür¬ zer und könnten immerhin nachlaufen.“ Die Angſt nach den Gevatterleuten verbreitete ſich durchs ganze Haus. „Kommen ſie noch nicht?“ hörte man allenthalten; in allen Ecken des Hauſes ſchauten Geſichter nach ihnen aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er ſie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber ſagte: „Ehe¬ mals iſt das doch nicht ſo geweſen, da wußte man, daß man an ſolchen Tagen zu rechter Zeit aufzuſtehen habe und der Herr Niemanden warte.“ Endlich ſtürzte der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte komme. Sie kam, ſchweißbedeckt und beladen wie das Neu¬ jahrkindlein. In der einen Hand hatte ſie die ſchwarzen Schnüre eines großen blumenreichen Wartſäckleins, in welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine große Züpfe ſtach, ein Geſchenk für die Kindbetterin. In der andern Hand trug ſie ein zweites Säcklein und in demſelben war eine Kleidung für das Kind, nebſt etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich ſchöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme hatte ſie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der Spitzenkappe mit den prächtigen ſchwarzſeidenen Haar¬ ſchnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte ſie Zeit von ihrer Bürde eine abzuſtellen, um den ent¬ gegengeſtreckten Händen freundlich zu begegnen. Von allen Seiten langten dienſtbare Hände nach ihren La¬ ſten und unter der Thüre ſtand die junge Frau und

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/18>, abgerufen am 28.03.2024.