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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Elegien.
Sie, hochgeschätzte Braut, verzeihet meinem Schertzen,
Sie hat wohl in der That noch mehr von mir verdient.
Es liegt mir wircklich noch ein kleiner Groll im Hertzen,
Weil sie sich ohne mich zu freyen hat erkühnt.
Man pflegt die Eltern sonst um guten Rath zu fragen,
Nun weiß sie selber wohl, daß ich ihr Vater bin:
Wie kan sie dieß so gantz aus den Gedancken schlagen?
Wie fällt mein Ansehn doch so schnell und plötzlich hin?
Sie weiß ja das Geboth von treuer Kinder Pflichten,
Und was vor Seegen folgt, wenn man gehorsam ist.
Wie kan sie denn so gar die Schuldigkeit vernichten?
Wie kömmt es, daß sie mein so gantz und gar vergißt?
Doch dißmahl geht es hin: Jch will ihr alles schencken,
Jch unterdrücke gern den ausgelaßnen Groll:
Wird sie nur übers Jahr an ihren Vater dencken
Und fragen, wie alsdann ihr Kleines heissen soll?
VI. Elegie
auf die Schimmelpfenning- und Kochische Hochzeit,
in eigenem Nahmen.
SO ist denn, Werthester, der süße Tag erschienen,
Der dir nunmehr gewährt, was du bisher geliebt;
Da sich das Tugendbild der schönen Cölestinen,
Als deiner Triebe Ziel, dir in die Arme giebt.
O laß mich deiner Lust ein Freuden-Opfer zollen!
Und meinen Lorberzweig bey deinen Myrthen stehn:
Ja wenn die Gäste spät dem Hymen weichen wollen,
Mich in Gedancken nur an deine Kammer gehn.
Dein Hannchen schämet sich vielleicht bey diesem Worte,
Und scheut ein Schlafgemach, wo meine Muse lauscht:
Allein was schadet das? Sie bleibt nur an der Pforte,
Und wird nichts mehr gewahr, als daß ihr Küsse tauscht.
Mehr will, mehr darf sie nicht mit keuschen Augen schauen,
Jhr unentweyhtes Haupt trägt noch den Jungfer-Schmuck;
Drum darf die Schöne nur den Blöden Blicken trauen,
Die sonst ihr heller Strahl schon einmahl niederschlug.
Das edle Merseburg sieht euren Hochzeit-Kertzen,
Mit ungewohnter Lust und tausend Wünschen zu,
Und prophezeyht zugleich den treuverliebten Hertzen
Ein ewig Wohlergehn und ungestörte Ruh.
Und was? Wen sollte nicht ein solches Paar erfreuen,
Das sich aus reiner Huld verbunden und vermählt?
Ja welchem in der That zu völligem Gedeyen,
Nur ein so schönes Band, als dieses ist, gefehlt.
Zwar
Von Elegien.
Sie, hochgeſchaͤtzte Braut, verzeihet meinem Schertzen,
Sie hat wohl in der That noch mehr von mir verdient.
Es liegt mir wircklich noch ein kleiner Groll im Hertzen,
Weil ſie ſich ohne mich zu freyen hat erkuͤhnt.
Man pflegt die Eltern ſonſt um guten Rath zu fragen,
Nun weiß ſie ſelber wohl, daß ich ihr Vater bin:
Wie kan ſie dieß ſo gantz aus den Gedancken ſchlagen?
Wie faͤllt mein Anſehn doch ſo ſchnell und ploͤtzlich hin?
Sie weiß ja das Geboth von treuer Kinder Pflichten,
Und was vor Seegen folgt, wenn man gehorſam iſt.
Wie kan ſie denn ſo gar die Schuldigkeit vernichten?
Wie koͤmmt es, daß ſie mein ſo gantz und gar vergißt?
Doch dißmahl geht es hin: Jch will ihr alles ſchencken,
Jch unterdruͤcke gern den ausgelaßnen Groll:
Wird ſie nur uͤbers Jahr an ihren Vater dencken
Und fragen, wie alsdann ihr Kleines heiſſen ſoll?
VI. Elegie
auf die Schimmelpfenning- und Kochiſche Hochzeit,
in eigenem Nahmen.
SO iſt denn, Wertheſter, der ſuͤße Tag erſchienen,
Der dir nunmehr gewaͤhrt, was du bisher geliebt;
Da ſich das Tugendbild der ſchoͤnen Coͤleſtinen,
Als deiner Triebe Ziel, dir in die Arme giebt.
O laß mich deiner Luſt ein Freuden-Opfer zollen!
Und meinen Lorberzweig bey deinen Myrthen ſtehn:
Ja wenn die Gaͤſte ſpaͤt dem Hymen weichen wollen,
Mich in Gedancken nur an deine Kammer gehn.
Dein Hannchen ſchaͤmet ſich vielleicht bey dieſem Worte,
Und ſcheut ein Schlafgemach, wo meine Muſe lauſcht:
Allein was ſchadet das? Sie bleibt nur an der Pforte,
Und wird nichts mehr gewahr, als daß ihr Kuͤſſe tauſcht.
Mehr will, mehr darf ſie nicht mit keuſchen Augen ſchauen,
Jhr unentweyhtes Haupt traͤgt noch den Jungfer-Schmuck;
Drum darf die Schoͤne nur den Bloͤden Blicken trauen,
Die ſonſt ihr heller Strahl ſchon einmahl niederſchlug.
Das edle Merſeburg ſieht euren Hochzeit-Kertzen,
Mit ungewohnter Luſt und tauſend Wuͤnſchen zu,
Und prophezeyht zugleich den treuverliebten Hertzen
Ein ewig Wohlergehn und ungeſtoͤrte Ruh.
Und was? Wen ſollte nicht ein ſolches Paar erfreuen,
Das ſich aus reiner Huld verbunden und vermaͤhlt?
Ja welchem in der That zu voͤlligem Gedeyen,
Nur ein ſo ſchoͤnes Band, als dieſes iſt, gefehlt.
Zwar
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[429/0457] Von Elegien. Sie, hochgeſchaͤtzte Braut, verzeihet meinem Schertzen, Sie hat wohl in der That noch mehr von mir verdient. Es liegt mir wircklich noch ein kleiner Groll im Hertzen, Weil ſie ſich ohne mich zu freyen hat erkuͤhnt. Man pflegt die Eltern ſonſt um guten Rath zu fragen, Nun weiß ſie ſelber wohl, daß ich ihr Vater bin: Wie kan ſie dieß ſo gantz aus den Gedancken ſchlagen? Wie faͤllt mein Anſehn doch ſo ſchnell und ploͤtzlich hin? Sie weiß ja das Geboth von treuer Kinder Pflichten, Und was vor Seegen folgt, wenn man gehorſam iſt. Wie kan ſie denn ſo gar die Schuldigkeit vernichten? Wie koͤmmt es, daß ſie mein ſo gantz und gar vergißt? Doch dißmahl geht es hin: Jch will ihr alles ſchencken, Jch unterdruͤcke gern den ausgelaßnen Groll: Wird ſie nur uͤbers Jahr an ihren Vater dencken Und fragen, wie alsdann ihr Kleines heiſſen ſoll? VI. Elegie auf die Schimmelpfenning- und Kochiſche Hochzeit, in eigenem Nahmen. SO iſt denn, Wertheſter, der ſuͤße Tag erſchienen, Der dir nunmehr gewaͤhrt, was du bisher geliebt; Da ſich das Tugendbild der ſchoͤnen Coͤleſtinen, Als deiner Triebe Ziel, dir in die Arme giebt. O laß mich deiner Luſt ein Freuden-Opfer zollen! Und meinen Lorberzweig bey deinen Myrthen ſtehn: Ja wenn die Gaͤſte ſpaͤt dem Hymen weichen wollen, Mich in Gedancken nur an deine Kammer gehn. Dein Hannchen ſchaͤmet ſich vielleicht bey dieſem Worte, Und ſcheut ein Schlafgemach, wo meine Muſe lauſcht: Allein was ſchadet das? Sie bleibt nur an der Pforte, Und wird nichts mehr gewahr, als daß ihr Kuͤſſe tauſcht. Mehr will, mehr darf ſie nicht mit keuſchen Augen ſchauen, Jhr unentweyhtes Haupt traͤgt noch den Jungfer-Schmuck; Drum darf die Schoͤne nur den Bloͤden Blicken trauen, Die ſonſt ihr heller Strahl ſchon einmahl niederſchlug. Das edle Merſeburg ſieht euren Hochzeit-Kertzen, Mit ungewohnter Luſt und tauſend Wuͤnſchen zu, Und prophezeyht zugleich den treuverliebten Hertzen Ein ewig Wohlergehn und ungeſtoͤrte Ruh. Und was? Wen ſollte nicht ein ſolches Paar erfreuen, Das ſich aus reiner Huld verbunden und vermaͤhlt? Ja welchem in der That zu voͤlligem Gedeyen, Nur ein ſo ſchoͤnes Band, als dieſes iſt, gefehlt. Zwar

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/457>, abgerufen am 29.03.2024.