Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Satiren.

Doch meine Muse brennt, und eifert allzu sehr,
Wenn ich sie dämpfen will, so flammt sie desto mehr.
Jch bin dem Heucheln feind, ich muß es nur bekennen,
Jch muß ein jedes Kind bey seinem Nahmen nennen:
Was nicht bey Kräfften ist, das nenn ich schwach, nicht starck,
Ein Stein heißt mir ein Stein, und Steifmatz nenn ich Qvarck.
Ein Narr heist mir nicht klug, die Zwerge sind nicht Riesen.
Und wer es nicht verdient, wird nie von mir gepriesen.
Ja sollt es einst geschehn, daß unsre Dichter-Schaar
So lang an Ohren wär, als vormahls Midas war:
So würde man, wie dort aus den beschilften Röhren,
Den Ruff: dieß tolle Volck hat Esels-Ohren! hören.

II. Satire. Der Mensch.
Juuenalis.
Humani generis mores tibi nosse volenti,
Sufficit vna domus.

VErdammter Gulliver! was brütet dein Verstand,
Dein Fabelhaffter Witz vor manch verkehrtes Land?
Und was hat immermehr dein roher Kopf gewonnen,
Jndem er uns zum Schimpf die Houynhnyms ausgesonnen;
Ein seltsam Pferde-Volck dem Menschen vorgesetzt,
Die man Jahoos nennt, und kaum wie Esel schätzt.
Verhaßter Misantrop! Du Bastart dieser Erden,
Verdienst ein Pferd zu seyn, und offt gepeitscht zu werden.
So schalt, so eiferte die aufgebrachte Welt,
Als Swift sein Reise-Buch ans Tagelicht gestellt.
Wo sein verschmitzter Geist die Thorheit aufgedecket,
Darein das klügste Thier, der Mensch, sich selbst verstecket.
Kein Wunder, daß man zürnt. Geht in ein Narren-Haus,
Und rufft den tollen Schwarm von Mann zu Mann heraus,
Und wagt euch, jeglichem: Du bist nicht klug! zu sagen:
Wie wird der ärgste Narr den klügsten Doctor jagen?
So geht es dir mein Swifft! Du hast das gröste Recht,
Und klagest mit Vernunft das menschliche Geschlecht
Des Unverstandes an; du spottest unsrer Wercke,
Gelehrsamkeit, Gewalt, Kunst, Tugend, Pracht und Stärcke.
Du lachst die Thorheit aus, die man vor Klugheit hält,
Und tadelst dergestalt den gantzen Lauf der Welt.
Das, das ist dein Versehn, dein schreckliches Verbrechen!
Das heißt man, der Vernunft ins Antlitz wiedersprechen!
Du
G g 4

Von Satiren.

Doch meine Muſe brennt, und eifert allzu ſehr,
Wenn ich ſie daͤmpfen will, ſo flammt ſie deſto mehr.
Jch bin dem Heucheln feind, ich muß es nur bekennen,
Jch muß ein jedes Kind bey ſeinem Nahmen nennen:
Was nicht bey Kraͤfften iſt, das nenn ich ſchwach, nicht ſtarck,
Ein Stein heißt mir ein Stein, und Steifmatz nenn ich Qvarck.
Ein Narr heiſt mir nicht klug, die Zwerge ſind nicht Rieſen.
Und wer es nicht verdient, wird nie von mir geprieſen.
Ja ſollt es einſt geſchehn, daß unſre Dichter-Schaar
So lang an Ohren waͤr, als vormahls Midas war:
So wuͤrde man, wie dort aus den beſchilften Roͤhren,
Den Ruff: dieß tolle Volck hat Eſels-Ohren! hoͤren.

II. Satire. Der Menſch.
Juuenalis.
Humani generis mores tibi noſſe volenti,
Sufficit vna domus.

VErdammter Gulliver! was bruͤtet dein Verſtand,
Dein Fabelhaffter Witz vor manch verkehrtes Land?
Und was hat immermehr dein roher Kopf gewonnen,
Jndem er uns zum Schimpf die Houynhnyms ausgeſonnen;
Ein ſeltſam Pferde-Volck dem Menſchen vorgeſetzt,
Die man Jahoos nennt, und kaum wie Eſel ſchaͤtzt.
Verhaßter Miſantrop! Du Baſtart dieſer Erden,
Verdienſt ein Pferd zu ſeyn, und offt gepeitſcht zu werden.
So ſchalt, ſo eiferte die aufgebrachte Welt,
Als Swift ſein Reiſe-Buch ans Tagelicht geſtellt.
Wo ſein verſchmitzter Geiſt die Thorheit aufgedecket,
Darein das kluͤgſte Thier, der Menſch, ſich ſelbſt verſtecket.
Kein Wunder, daß man zuͤrnt. Geht in ein Narren-Haus,
Und rufft den tollen Schwarm von Mann zu Mann heraus,
Und wagt euch, jeglichem: Du biſt nicht klug! zu ſagen:
Wie wird der aͤrgſte Narr den kluͤgſten Doctor jagen?
So geht es dir mein Swifft! Du haſt das groͤſte Recht,
Und klageſt mit Vernunft das menſchliche Geſchlecht
Des Unverſtandes an; du ſpotteſt unſrer Wercke,
Gelehrſamkeit, Gewalt, Kunſt, Tugend, Pracht und Staͤrcke.
Du lachſt die Thorheit aus, die man vor Klugheit haͤlt,
Und tadelſt dergeſtalt den gantzen Lauf der Welt.
Das, das iſt dein Verſehn, dein ſchreckliches Verbrechen!
Das heißt man, der Vernunft ins Antlitz wiederſprechen!
Du
G g 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="51">
                <l>
                  <pb facs="#f0499" n="471"/>
                  <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Satiren.</hi> </fw>
                </l><lb/>
                <l>Doch meine Mu&#x017F;e brennt, und eifert allzu &#x017F;ehr,</l><lb/>
                <l>Wenn ich &#x017F;ie da&#x0364;mpfen will, &#x017F;o flammt &#x017F;ie de&#x017F;to mehr.</l><lb/>
                <l>Jch bin dem Heucheln feind, ich muß es nur bekennen,</l><lb/>
                <l>Jch muß ein jedes Kind bey &#x017F;einem Nahmen nennen:</l><lb/>
                <l>Was nicht bey Kra&#x0364;fften i&#x017F;t, das nenn ich &#x017F;chwach, nicht &#x017F;tarck,</l><lb/>
                <l>Ein Stein heißt mir ein Stein, und Steifmatz nenn ich Qvarck.</l><lb/>
                <l>Ein Narr hei&#x017F;t mir nicht klug, die Zwerge &#x017F;ind nicht Rie&#x017F;en.</l><lb/>
                <l>Und wer es nicht verdient, wird nie von mir geprie&#x017F;en.</l><lb/>
                <l>Ja &#x017F;ollt es ein&#x017F;t ge&#x017F;chehn, daß un&#x017F;re Dichter-Schaar</l><lb/>
                <l>So lang an Ohren wa&#x0364;r, als vormahls Midas war:</l><lb/>
                <l>So wu&#x0364;rde man, wie dort aus den be&#x017F;chilften Ro&#x0364;hren,</l><lb/>
                <l>Den Ruff: dieß tolle Volck hat E&#x017F;els-Ohren! ho&#x0364;ren.</l>
              </lg>
            </lg>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Satire.</hi> <hi rendition="#fr">Der Men&#x017F;ch.</hi> </head><lb/>
            <cit>
              <quote> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#c">Juuenalis.</hi><lb/>
Humani generis mores tibi no&#x017F;&#x017F;e volenti,<lb/>
Sufficit vna domus.</hi> </quote>
            </cit><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="52">
                <l><hi rendition="#in">V</hi>Erdammter Gulliver! was bru&#x0364;tet dein Ver&#x017F;tand,</l><lb/>
                <l>Dein Fabelhaffter Witz vor manch verkehrtes Land?</l><lb/>
                <l>Und was hat immermehr dein roher Kopf gewonnen,</l><lb/>
                <l>Jndem er uns zum Schimpf die Houynhnyms ausge&#x017F;onnen;</l><lb/>
                <l>Ein &#x017F;elt&#x017F;am Pferde-Volck dem Men&#x017F;chen vorge&#x017F;etzt,</l><lb/>
                <l>Die man Jahoos nennt, und kaum wie E&#x017F;el &#x017F;cha&#x0364;tzt.</l><lb/>
                <l>Verhaßter Mi&#x017F;antrop! Du Ba&#x017F;tart die&#x017F;er Erden,</l><lb/>
                <l>Verdien&#x017F;t ein Pferd zu &#x017F;eyn, und offt gepeit&#x017F;cht zu werden.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="53">
                <l>So &#x017F;chalt, &#x017F;o eiferte die aufgebrachte Welt,</l><lb/>
                <l>Als Swift &#x017F;ein Rei&#x017F;e-Buch ans Tagelicht ge&#x017F;tellt.</l><lb/>
                <l>Wo &#x017F;ein ver&#x017F;chmitzter Gei&#x017F;t die Thorheit aufgedecket,</l><lb/>
                <l>Darein das klu&#x0364;g&#x017F;te Thier, der Men&#x017F;ch, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tecket.</l><lb/>
                <l>Kein Wunder, daß man zu&#x0364;rnt. Geht in ein Narren-Haus,</l><lb/>
                <l>Und rufft den tollen Schwarm von Mann zu Mann heraus,</l><lb/>
                <l>Und wagt euch, jeglichem: Du bi&#x017F;t nicht klug! zu &#x017F;agen:</l><lb/>
                <l>Wie wird der a&#x0364;rg&#x017F;te Narr den klu&#x0364;g&#x017F;ten Doctor jagen?</l><lb/>
                <l>So geht es dir mein Swifft! Du ha&#x017F;t das gro&#x0364;&#x017F;te Recht,</l><lb/>
                <l>Und klage&#x017F;t mit Vernunft das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht</l><lb/>
                <l>Des Unver&#x017F;tandes an; du &#x017F;potte&#x017F;t un&#x017F;rer Wercke,</l><lb/>
                <l>Gelehr&#x017F;amkeit, Gewalt, Kun&#x017F;t, Tugend, Pracht und Sta&#x0364;rcke.</l><lb/>
                <l>Du lach&#x017F;t die Thorheit aus, die man vor Klugheit ha&#x0364;lt,</l><lb/>
                <l>Und tadel&#x017F;t derge&#x017F;talt den gantzen Lauf der Welt.</l><lb/>
                <l>Das, das i&#x017F;t dein Ver&#x017F;ehn, dein &#x017F;chreckliches Verbrechen!</l><lb/>
                <l>Das heißt man, der Vernunft ins Antlitz wieder&#x017F;prechen!<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G g 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Du</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0499] Von Satiren. Doch meine Muſe brennt, und eifert allzu ſehr, Wenn ich ſie daͤmpfen will, ſo flammt ſie deſto mehr. Jch bin dem Heucheln feind, ich muß es nur bekennen, Jch muß ein jedes Kind bey ſeinem Nahmen nennen: Was nicht bey Kraͤfften iſt, das nenn ich ſchwach, nicht ſtarck, Ein Stein heißt mir ein Stein, und Steifmatz nenn ich Qvarck. Ein Narr heiſt mir nicht klug, die Zwerge ſind nicht Rieſen. Und wer es nicht verdient, wird nie von mir geprieſen. Ja ſollt es einſt geſchehn, daß unſre Dichter-Schaar So lang an Ohren waͤr, als vormahls Midas war: So wuͤrde man, wie dort aus den beſchilften Roͤhren, Den Ruff: dieß tolle Volck hat Eſels-Ohren! hoͤren. II. Satire. Der Menſch. Juuenalis. Humani generis mores tibi noſſe volenti, Sufficit vna domus. VErdammter Gulliver! was bruͤtet dein Verſtand, Dein Fabelhaffter Witz vor manch verkehrtes Land? Und was hat immermehr dein roher Kopf gewonnen, Jndem er uns zum Schimpf die Houynhnyms ausgeſonnen; Ein ſeltſam Pferde-Volck dem Menſchen vorgeſetzt, Die man Jahoos nennt, und kaum wie Eſel ſchaͤtzt. Verhaßter Miſantrop! Du Baſtart dieſer Erden, Verdienſt ein Pferd zu ſeyn, und offt gepeitſcht zu werden. So ſchalt, ſo eiferte die aufgebrachte Welt, Als Swift ſein Reiſe-Buch ans Tagelicht geſtellt. Wo ſein verſchmitzter Geiſt die Thorheit aufgedecket, Darein das kluͤgſte Thier, der Menſch, ſich ſelbſt verſtecket. Kein Wunder, daß man zuͤrnt. Geht in ein Narren-Haus, Und rufft den tollen Schwarm von Mann zu Mann heraus, Und wagt euch, jeglichem: Du biſt nicht klug! zu ſagen: Wie wird der aͤrgſte Narr den kluͤgſten Doctor jagen? So geht es dir mein Swifft! Du haſt das groͤſte Recht, Und klageſt mit Vernunft das menſchliche Geſchlecht Des Unverſtandes an; du ſpotteſt unſrer Wercke, Gelehrſamkeit, Gewalt, Kunſt, Tugend, Pracht und Staͤrcke. Du lachſt die Thorheit aus, die man vor Klugheit haͤlt, Und tadelſt dergeſtalt den gantzen Lauf der Welt. Das, das iſt dein Verſehn, dein ſchreckliches Verbrechen! Das heißt man, der Vernunft ins Antlitz wiederſprechen! Du G g 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/499
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/499>, abgerufen am 16.04.2024.