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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von poetischen Sendschreiben.

Hat euren Witz erreicht, und läßt die Männer-Sinnen,
So starck sie immer sind, den Vorzug nicht gewinnen,
Wer traf wohl unter euch so glücklich die Natur?
Wer folgte so getreu der immer sichern Spur
Der Wahrheit und Vernunft? Wo wiesen eure Wercke,
So viel Erfindungs-Krafft, Geist, Ordnung, Leben, Stärcke?

Stoltziere nur Apell mit Alexanders Gunst!
Vielleicht verstund er sich nicht mehr auf deine Kunst,
Als auf die Poesie; wo er die magern Proben
Des albern Chörilus, wie den Homer erhoben.
Wer weiß auch, ob dirs nicht durch Schmeicheley geglückt:
Wenn du vielleicht sein Bild weit schöner ausgedrückt,
Als er wahrhafftig war; den Mangel seiner Länge
Durch deinen Riß ersetzt; ein göttliches Gepränge
Um seinen Thron gemahlt, als wär er Hammons Sohn?
Das, das gefiel ihm recht! Man kennt die Stoltzen schon,
Die voller Eitelkeit die Künstler doppelt zahlen,
Von welchen sie sich sehn nach ihrem Dünckel mahlen,
Bald fett, bald jung, bald schlanck, bald lieblich, weiß und roth;
Das bringt auch Hudlern Lob, den ärgsten Stümpern Brodt.
Und kurtz, wir würden nichts von dem Apelles lesen,
Wär eine Wernerin in Griechenland gewesen.
Dies merckte nicht gar längst der Sachsen Haupt, August.
Zwar Dreßden war bereits der freyen Künste Lust;
Die Bau-Kunst, die Music, das Schildern, Schnitzen, Dichten.
Und was die Meister sonst in Gold und Stein verrichten,
Das alles und was hier der Reim nicht fassen kan,
Trifft man vollkommen schön in seinem Chursitz an.
Wer kennt nicht Pantalons berühmte Wunder-Seyten?
Wer ehrt nicht Dinglingern in seinen Seltenheiten
Der Kunst und der Natur? Wem ist Balthasars Hand
Jn Marmor, Pellegrin und Farben unbekannt?
Die alle ließen schon, in ungemeinen Wercken,
Den edelsten Geschmack der alten Römer mercken;
Die nährte schon August in seiner Mauren Schooß,
Und ward dadurch sowohl als durch sein Herrschen groß:
Doch fand er, wenn sein Blick die Künstler überzehlte,
Daß ihm die Meisterin, die Wernerin noch fehlte.
Der Mangel that ihm weh. Er rief dich aus Berlin,
Und hieß dich von der Spree an seinen Elbstrom ziehn,
Dort liebte dich der Hoff, der Printz, die Prinzeßinnen;
Hier suchte Dreßden dich durch Wohlthun zu gewinnen.
Allein der Winck Augusts und deiner Eltern Wort
War ein zu starcker Zug; so gieng der Abzug fort.
Dein
F f 2

Von poetiſchen Sendſchreiben.

Hat euren Witz erreicht, und laͤßt die Maͤnner-Sinnen,
So ſtarck ſie immer ſind, den Vorzug nicht gewinnen,
Wer traf wohl unter euch ſo gluͤcklich die Natur?
Wer folgte ſo getreu der immer ſichern Spur
Der Wahrheit und Vernunft? Wo wieſen eure Wercke,
So viel Erfindungs-Krafft, Geiſt, Ordnung, Leben, Staͤrcke?

Stoltziere nur Apell mit Alexanders Gunſt!
Vielleicht verſtund er ſich nicht mehr auf deine Kunſt,
Als auf die Poeſie; wo er die magern Proben
Des albern Choͤrilus, wie den Homer erhoben.
Wer weiß auch, ob dirs nicht durch Schmeicheley gegluͤckt:
Wenn du vielleicht ſein Bild weit ſchoͤner ausgedruͤckt,
Als er wahrhafftig war; den Mangel ſeiner Laͤnge
Durch deinen Riß erſetzt; ein goͤttliches Gepraͤnge
Um ſeinen Thron gemahlt, als waͤr er Hammons Sohn?
Das, das gefiel ihm recht! Man kennt die Stoltzen ſchon,
Die voller Eitelkeit die Kuͤnſtler doppelt zahlen,
Von welchen ſie ſich ſehn nach ihrem Duͤnckel mahlen,
Bald fett, bald jung, bald ſchlanck, bald lieblich, weiß und roth;
Das bringt auch Hudlern Lob, den aͤrgſten Stuͤmpern Brodt.
Und kurtz, wir wuͤrden nichts von dem Apelles leſen,
Waͤr eine Wernerin in Griechenland geweſen.
Dies merckte nicht gar laͤngſt der Sachſen Haupt, Auguſt.
Zwar Dreßden war bereits der freyen Kuͤnſte Luſt;
Die Bau-Kunſt, die Muſic, das Schildern, Schnitzen, Dichten.
Und was die Meiſter ſonſt in Gold und Stein verrichten,
Das alles und was hier der Reim nicht faſſen kan,
Trifft man vollkommen ſchoͤn in ſeinem Churſitz an.
Wer kennt nicht Pantalons beruͤhmte Wunder-Seyten?
Wer ehrt nicht Dinglingern in ſeinen Seltenheiten
Der Kunſt und der Natur? Wem iſt Balthaſars Hand
Jn Marmor, Pellegrin und Farben unbekannt?
Die alle ließen ſchon, in ungemeinen Wercken,
Den edelſten Geſchmack der alten Roͤmer mercken;
Die naͤhrte ſchon Auguſt in ſeiner Mauren Schooß,
Und ward dadurch ſowohl als durch ſein Herrſchen groß:
Doch fand er, wenn ſein Blick die Kuͤnſtler uͤberzehlte,
Daß ihm die Meiſterin, die Wernerin noch fehlte.
Der Mangel that ihm weh. Er rief dich aus Berlin,
Und hieß dich von der Spree an ſeinen Elbſtrom ziehn,
Dort liebte dich der Hoff, der Printz, die Prinzeßinnen;
Hier ſuchte Dreßden dich durch Wohlthun zu gewinnen.
Allein der Winck Auguſts und deiner Eltern Wort
War ein zu ſtarcker Zug; ſo gieng der Abzug fort.
Dein
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[451/0479] Von poetiſchen Sendſchreiben. Hat euren Witz erreicht, und laͤßt die Maͤnner-Sinnen, So ſtarck ſie immer ſind, den Vorzug nicht gewinnen, Wer traf wohl unter euch ſo gluͤcklich die Natur? Wer folgte ſo getreu der immer ſichern Spur Der Wahrheit und Vernunft? Wo wieſen eure Wercke, So viel Erfindungs-Krafft, Geiſt, Ordnung, Leben, Staͤrcke? Stoltziere nur Apell mit Alexanders Gunſt! Vielleicht verſtund er ſich nicht mehr auf deine Kunſt, Als auf die Poeſie; wo er die magern Proben Des albern Choͤrilus, wie den Homer erhoben. Wer weiß auch, ob dirs nicht durch Schmeicheley gegluͤckt: Wenn du vielleicht ſein Bild weit ſchoͤner ausgedruͤckt, Als er wahrhafftig war; den Mangel ſeiner Laͤnge Durch deinen Riß erſetzt; ein goͤttliches Gepraͤnge Um ſeinen Thron gemahlt, als waͤr er Hammons Sohn? Das, das gefiel ihm recht! Man kennt die Stoltzen ſchon, Die voller Eitelkeit die Kuͤnſtler doppelt zahlen, Von welchen ſie ſich ſehn nach ihrem Duͤnckel mahlen, Bald fett, bald jung, bald ſchlanck, bald lieblich, weiß und roth; Das bringt auch Hudlern Lob, den aͤrgſten Stuͤmpern Brodt. Und kurtz, wir wuͤrden nichts von dem Apelles leſen, Waͤr eine Wernerin in Griechenland geweſen. Dies merckte nicht gar laͤngſt der Sachſen Haupt, Auguſt. Zwar Dreßden war bereits der freyen Kuͤnſte Luſt; Die Bau-Kunſt, die Muſic, das Schildern, Schnitzen, Dichten. Und was die Meiſter ſonſt in Gold und Stein verrichten, Das alles und was hier der Reim nicht faſſen kan, Trifft man vollkommen ſchoͤn in ſeinem Churſitz an. Wer kennt nicht Pantalons beruͤhmte Wunder-Seyten? Wer ehrt nicht Dinglingern in ſeinen Seltenheiten Der Kunſt und der Natur? Wem iſt Balthaſars Hand Jn Marmor, Pellegrin und Farben unbekannt? Die alle ließen ſchon, in ungemeinen Wercken, Den edelſten Geſchmack der alten Roͤmer mercken; Die naͤhrte ſchon Auguſt in ſeiner Mauren Schooß, Und ward dadurch ſowohl als durch ſein Herrſchen groß: Doch fand er, wenn ſein Blick die Kuͤnſtler uͤberzehlte, Daß ihm die Meiſterin, die Wernerin noch fehlte. Der Mangel that ihm weh. Er rief dich aus Berlin, Und hieß dich von der Spree an ſeinen Elbſtrom ziehn, Dort liebte dich der Hoff, der Printz, die Prinzeßinnen; Hier ſuchte Dreßden dich durch Wohlthun zu gewinnen. Allein der Winck Auguſts und deiner Eltern Wort War ein zu ſtarcker Zug; ſo gieng der Abzug fort. Dein F f 2

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/479>, abgerufen am 19.04.2024.