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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils VII Capitel

Thalia, sey vergnügt. Silvander weichet dir,

Dein Wille zwinget mich. Wohlan Horatz ist hier,
Hier ist auch Juvenal. Auch Boileau konnte lachen.
Von diesem will ich denn zuerst den Anfang machen.

NB. Einige Uebersetzungen und Nachahmungen aus dem Boileau
und Horatz von meiner Arbeit, kan man im VIIten Theile der
Hoffmannswaldauischen Gedichte nachschlagen.



Das siebende Capitel
Von Sinn- und Schertzgedichten.

GEhr viel Verwandschafft mit den Satiren haben oh-
ne Zweifel die Sinn- und Schertz-Gedichte; daher
können dieselben füglich in diesem Capitel ihren Platz
finden. Einige Arten derselben sind alt, die meisten aber von
neuer Erfindung. Martialis hat sich in den erstern vor
andern hervorgethan, und unter den Neuern ist ihm Owenus
gefolget. Unter uns Deutschen hat uns Opitz viel Proben
gewiesen. Jn den Hofmannswaldauischen Gedichten steht
eine grosse Menge, darunter einige recht hübsch sind. Logau
hat eine kleine Sammlung sinnreicher Ueberschrifften und
Grabschrifften unter dem Titel: Von Golaus auferweck-
ter Gedichte, herausgegeben; darinne auch sehr viel artige
vorkommen. Unzehlicher altfränckischer kleiner Samm-
lungen zu geschweigen, die wir von dieser Art haben, die aber
gröstentheils ins Vergessen gerathen.

Kurtz zu sagen, eine Ueberschrifft ist der poetische kurtzge-
faßte Ausdruck eines guten scharfsinnigen Einfalles, der
entweder jemanden zum Lobe oder zum Tadel gereichet. So
beschreibt sie Boileau im II. Chant. Art. Poet.

L' Epigramme plus Libre, en son tour plus borne,
N' est souvent qu'un bon mot de deux rimes orne.

Jch nehme das Wort scharfsinnig im ordentlichen Verstan-
de, vor die Wahrnehmung eines Umstandes an einer Sa-
che, so nicht ein jeder würde gesehen haben. Zu dieser

Scharf-

Des II Theils VII Capitel

Thalia, ſey vergnuͤgt. Silvander weichet dir,

Dein Wille zwinget mich. Wohlan Horatz iſt hier,
Hier iſt auch Juvenal. Auch Boileau konnte lachen.
Von dieſem will ich denn zuerſt den Anfang machen.

NB. Einige Ueberſetzungen und Nachahmungen aus dem Boileau
und Horatz von meiner Arbeit, kan man im VIIten Theile der
Hoffmannswaldauiſchen Gedichte nachſchlagen.



Das ſiebende Capitel
Von Sinn- und Schertzgedichten.

GEhr viel Verwandſchafft mit den Satiren haben oh-
ne Zweifel die Sinn- und Schertz-Gedichte; daher
koͤnnen dieſelben fuͤglich in dieſem Capitel ihren Platz
finden. Einige Arten derſelben ſind alt, die meiſten aber von
neuer Erfindung. Martialis hat ſich in den erſtern vor
andern hervorgethan, und unter den Neuern iſt ihm Owenus
gefolget. Unter uns Deutſchen hat uns Opitz viel Proben
gewieſen. Jn den Hofmannswaldauiſchen Gedichten ſteht
eine groſſe Menge, darunter einige recht huͤbſch ſind. Logau
hat eine kleine Sammlung ſinnreicher Ueberſchrifften und
Grabſchrifften unter dem Titel: Von Golaus auferweck-
ter Gedichte, herausgegeben; darinne auch ſehr viel artige
vorkommen. Unzehlicher altfraͤnckiſcher kleiner Samm-
lungen zu geſchweigen, die wir von dieſer Art haben, die aber
groͤſtentheils ins Vergeſſen gerathen.

Kurtz zu ſagen, eine Ueberſchrifft iſt der poetiſche kurtzge-
faßte Ausdruck eines guten ſcharfſinnigen Einfalles, der
entweder jemanden zum Lobe oder zum Tadel gereichet. So
beſchreibt ſie Boileau im II. Chant. Art. Poet.

L’ Epigramme plus Libre, en ſon tour plus borné,
N’ eſt ſouvent qu’un bon mot de deux rimes orné.

Jch nehme das Wort ſcharfſinnig im ordentlichen Verſtan-
de, vor die Wahrnehmung eines Umſtandes an einer Sa-
che, ſo nicht ein jeder wuͤrde geſehen haben. Zu dieſer

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[482/0510] Des II Theils VII Capitel Thalia, ſey vergnuͤgt. Silvander weichet dir, Dein Wille zwinget mich. Wohlan Horatz iſt hier, Hier iſt auch Juvenal. Auch Boileau konnte lachen. Von dieſem will ich denn zuerſt den Anfang machen. NB. Einige Ueberſetzungen und Nachahmungen aus dem Boileau und Horatz von meiner Arbeit, kan man im VIIten Theile der Hoffmannswaldauiſchen Gedichte nachſchlagen. Das ſiebende Capitel Von Sinn- und Schertzgedichten. GEhr viel Verwandſchafft mit den Satiren haben oh- ne Zweifel die Sinn- und Schertz-Gedichte; daher koͤnnen dieſelben fuͤglich in dieſem Capitel ihren Platz finden. Einige Arten derſelben ſind alt, die meiſten aber von neuer Erfindung. Martialis hat ſich in den erſtern vor andern hervorgethan, und unter den Neuern iſt ihm Owenus gefolget. Unter uns Deutſchen hat uns Opitz viel Proben gewieſen. Jn den Hofmannswaldauiſchen Gedichten ſteht eine groſſe Menge, darunter einige recht huͤbſch ſind. Logau hat eine kleine Sammlung ſinnreicher Ueberſchrifften und Grabſchrifften unter dem Titel: Von Golaus auferweck- ter Gedichte, herausgegeben; darinne auch ſehr viel artige vorkommen. Unzehlicher altfraͤnckiſcher kleiner Samm- lungen zu geſchweigen, die wir von dieſer Art haben, die aber groͤſtentheils ins Vergeſſen gerathen. Kurtz zu ſagen, eine Ueberſchrifft iſt der poetiſche kurtzge- faßte Ausdruck eines guten ſcharfſinnigen Einfalles, der entweder jemanden zum Lobe oder zum Tadel gereichet. So beſchreibt ſie Boileau im II. Chant. Art. Poet. L’ Epigramme plus Libre, en ſon tour plus borné, N’ eſt ſouvent qu’un bon mot de deux rimes orné. Jch nehme das Wort ſcharfſinnig im ordentlichen Verſtan- de, vor die Wahrnehmung eines Umſtandes an einer Sa- che, ſo nicht ein jeder wuͤrde geſehen haben. Zu dieſer Scharf-

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/510>, abgerufen am 29.03.2024.