Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Des II Theils VII Capitel

Und hast ein redliches Gemüth,
Das bloß auf wahre Tugend sieht,
Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht,
Auch nicht am Joch der Wollust zieht.
Du bist kein Freund der Eitelkeit,
Du wünschest dir kein prächtig Kleid,
Kein eignes Haus, kein reiches Weib,
Und bist vergnügt, wenn Geist und Leib
Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß,
Wiewohl auch denn verdienst du Preis,
Jndem auch mitten in dem Schmertz
Dein starckes Philosophen-Hertz,
Ein festgesetztes Wesen zeigt,
So sich vor keinem Zufall beugt.
Freund, dieser kurtzgefaßte Ruhm,
Jst in der That dein Eigenthum,
Der Grund, das zwischen uns der Ord'n,
Der Freundschafft ist gestifftet word'n.
Vier Jahre sinds, da sahst du mich,
Und liebtst mich eher, als ich dich,
Darüber ich in meinem Sinn,
Mir selber noch gehäßig bin.
Allein der Fehler ist ersetzt,
Du weist wie hoch ich dich geschätzt,
Wie deine Liebe mich ergetzt,
Daß Leipzig ohne sie allein,
Mir fast kein Leipzig würde seyn,
Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius?
Vors höchste Gut erkennen muß,
Wenn man ohn allen Heuchelschein,
Mit Freuden kan vertraulich seyn.

Genug davon, das Blatt wird voll,
Darauf mein Wunsch noch stehen soll.
Doch, Werthester, was wünsch ich dir?
Jch gönne dir so viel als mir,
Das ist, so manches Gut und Glück,
Als dir das himmlische Geschick,
Nach seiner Weisheit zugedacht,
Bevor es dich und mich gemacht.
Jch weiß, du hast daran genug,
Drum wär es wohl gewiß nicht klug,
Wenn ich noch sonst was wünschen sollt,
Was GOtt dir doch nicht geben wollt.
Wohl-

Des II Theils VII Capitel

Und haſt ein redliches Gemuͤth,
Das bloß auf wahre Tugend ſieht,
Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht,
Auch nicht am Joch der Wolluſt zieht.
Du biſt kein Freund der Eitelkeit,
Du wuͤnſcheſt dir kein praͤchtig Kleid,
Kein eignes Haus, kein reiches Weib,
Und biſt vergnuͤgt, wenn Geiſt und Leib
Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß,
Wiewohl auch denn verdienſt du Preis,
Jndem auch mitten in dem Schmertz
Dein ſtarckes Philoſophen-Hertz,
Ein feſtgeſetztes Weſen zeigt,
So ſich vor keinem Zufall beugt.
Freund, dieſer kurtzgefaßte Ruhm,
Jſt in der That dein Eigenthum,
Der Grund, das zwiſchen uns der Ord’n,
Der Freundſchafft iſt geſtifftet word’n.
Vier Jahre ſinds, da ſahſt du mich,
Und liebtſt mich eher, als ich dich,
Daruͤber ich in meinem Sinn,
Mir ſelber noch gehaͤßig bin.
Allein der Fehler iſt erſetzt,
Du weiſt wie hoch ich dich geſchaͤtzt,
Wie deine Liebe mich ergetzt,
Daß Leipzig ohne ſie allein,
Mir faſt kein Leipzig wuͤrde ſeyn,
Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius?
Vors hoͤchſte Gut erkennen muß,
Wenn man ohn allen Heuchelſchein,
Mit Freuden kan vertraulich ſeyn.

Genug davon, das Blatt wird voll,
Darauf mein Wunſch noch ſtehen ſoll.
Doch, Wertheſter, was wuͤnſch ich dir?
Jch goͤnne dir ſo viel als mir,
Das iſt, ſo manches Gut und Gluͤck,
Als dir das himmliſche Geſchick,
Nach ſeiner Weisheit zugedacht,
Bevor es dich und mich gemacht.
Jch weiß, du haſt daran genug,
Drum waͤr es wohl gewiß nicht klug,
Wenn ich noch ſonſt was wuͤnſchen ſollt,
Was GOtt dir doch nicht geben wollt.
Wohl-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="9">
                <l>
                  <pb facs="#f0530" n="502"/>
                  <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">VII</hi> Capitel</hi> </fw>
                </l><lb/>
                <l>Und ha&#x017F;t ein redliches Gemu&#x0364;th,</l><lb/>
                <l>Das bloß auf wahre Tugend &#x017F;ieht,</l><lb/>
                <l>Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht,</l><lb/>
                <l>Auch nicht am Joch der Wollu&#x017F;t zieht.</l><lb/>
                <l>Du bi&#x017F;t kein Freund der Eitelkeit,</l><lb/>
                <l>Du wu&#x0364;n&#x017F;che&#x017F;t dir kein pra&#x0364;chtig Kleid,</l><lb/>
                <l>Kein eignes Haus, kein reiches Weib,</l><lb/>
                <l>Und bi&#x017F;t vergnu&#x0364;gt, wenn Gei&#x017F;t und Leib</l><lb/>
                <l>Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß,</l><lb/>
                <l>Wiewohl auch denn verdien&#x017F;t du Preis,</l><lb/>
                <l>Jndem auch mitten in dem Schmertz</l><lb/>
                <l>Dein &#x017F;tarckes Philo&#x017F;ophen-Hertz,</l><lb/>
                <l>Ein fe&#x017F;tge&#x017F;etztes We&#x017F;en zeigt,</l><lb/>
                <l>So &#x017F;ich vor keinem Zufall beugt.</l><lb/>
                <l>Freund, die&#x017F;er kurtzgefaßte Ruhm,</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t in der That dein Eigenthum,</l><lb/>
                <l>Der Grund, das zwi&#x017F;chen uns der Ord&#x2019;n,</l><lb/>
                <l>Der Freund&#x017F;chafft i&#x017F;t ge&#x017F;tifftet word&#x2019;n.</l><lb/>
                <l>Vier Jahre &#x017F;inds, da &#x017F;ah&#x017F;t du mich,</l><lb/>
                <l>Und liebt&#x017F;t mich eher, als ich dich,</l><lb/>
                <l>Daru&#x0364;ber ich in meinem Sinn,</l><lb/>
                <l>Mir &#x017F;elber noch geha&#x0364;ßig bin.</l><lb/>
                <l>Allein der Fehler i&#x017F;t er&#x017F;etzt,</l><lb/>
                <l>Du wei&#x017F;t wie hoch ich dich ge&#x017F;cha&#x0364;tzt,</l><lb/>
                <l>Wie deine Liebe mich ergetzt,</l><lb/>
                <l>Daß Leipzig ohne &#x017F;ie allein,</l><lb/>
                <l>Mir fa&#x017F;t kein Leipzig wu&#x0364;rde &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius?</l><lb/>
                <l>Vors ho&#x0364;ch&#x017F;te Gut erkennen muß,</l><lb/>
                <l>Wenn man ohn allen Heuchel&#x017F;chein,</l><lb/>
                <l>Mit Freuden kan vertraulich &#x017F;eyn.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="10">
                <l>Genug davon, das Blatt wird voll,</l><lb/>
                <l>Darauf mein Wun&#x017F;ch noch &#x017F;tehen &#x017F;oll.</l><lb/>
                <l>Doch, Werthe&#x017F;ter, was wu&#x0364;n&#x017F;ch ich dir?</l><lb/>
                <l>Jch go&#x0364;nne dir &#x017F;o viel als mir,</l><lb/>
                <l>Das i&#x017F;t, &#x017F;o manches Gut und Glu&#x0364;ck,</l><lb/>
                <l>Als dir das himmli&#x017F;che Ge&#x017F;chick,</l><lb/>
                <l>Nach &#x017F;einer Weisheit zugedacht,</l><lb/>
                <l>Bevor es dich und mich gemacht.</l><lb/>
                <l>Jch weiß, du ha&#x017F;t daran genug,</l><lb/>
                <l>Drum wa&#x0364;r es wohl gewiß nicht klug,</l><lb/>
                <l>Wenn ich noch &#x017F;on&#x017F;t was wu&#x0364;n&#x017F;chen &#x017F;ollt,</l><lb/>
                <l>Was GOtt dir doch nicht geben wollt.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wohl-</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[502/0530] Des II Theils VII Capitel Und haſt ein redliches Gemuͤth, Das bloß auf wahre Tugend ſieht, Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht, Auch nicht am Joch der Wolluſt zieht. Du biſt kein Freund der Eitelkeit, Du wuͤnſcheſt dir kein praͤchtig Kleid, Kein eignes Haus, kein reiches Weib, Und biſt vergnuͤgt, wenn Geiſt und Leib Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß, Wiewohl auch denn verdienſt du Preis, Jndem auch mitten in dem Schmertz Dein ſtarckes Philoſophen-Hertz, Ein feſtgeſetztes Weſen zeigt, So ſich vor keinem Zufall beugt. Freund, dieſer kurtzgefaßte Ruhm, Jſt in der That dein Eigenthum, Der Grund, das zwiſchen uns der Ord’n, Der Freundſchafft iſt geſtifftet word’n. Vier Jahre ſinds, da ſahſt du mich, Und liebtſt mich eher, als ich dich, Daruͤber ich in meinem Sinn, Mir ſelber noch gehaͤßig bin. Allein der Fehler iſt erſetzt, Du weiſt wie hoch ich dich geſchaͤtzt, Wie deine Liebe mich ergetzt, Daß Leipzig ohne ſie allein, Mir faſt kein Leipzig wuͤrde ſeyn, Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius? Vors hoͤchſte Gut erkennen muß, Wenn man ohn allen Heuchelſchein, Mit Freuden kan vertraulich ſeyn. Genug davon, das Blatt wird voll, Darauf mein Wunſch noch ſtehen ſoll. Doch, Wertheſter, was wuͤnſch ich dir? Jch goͤnne dir ſo viel als mir, Das iſt, ſo manches Gut und Gluͤck, Als dir das himmliſche Geſchick, Nach ſeiner Weisheit zugedacht, Bevor es dich und mich gemacht. Jch weiß, du haſt daran genug, Drum waͤr es wohl gewiß nicht klug, Wenn ich noch ſonſt was wuͤnſchen ſollt, Was GOtt dir doch nicht geben wollt. Wohl-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/530
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/530>, abgerufen am 16.04.2024.