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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Eine Begegnung mit Paganini in Genua.
Reise-Erinnerung von Ludwig August Frankl.


Die schöne Oper in Genua war um 11 Uhr zu Ende und ich folgte
der Einladung des Marchese Negro auf seine Villa. Diese liegt auf
einer Anhöhe in der Stadt und beherrscht den Hafen und das Meer. Die
Orangenbüsche, der Citronenwald, den sie einschließen, verwandeln daselbst
die Luft in einen duftigen Aether. Oft bewegte die Wipfel ein frischer
Seewind und schüttelte Blüthen und Glühwürmer herab, daß sie wie ein
leuchtender Staubregen zur Erde sanken. Aus den weißen Lilien, die in
schönster offener Blüthe standen, stiegen elektrische, bleiche Funken empor, wie
Elfenseelen. Nachtigallen schlugen und die Sterne glänzten aus einem so
tiefblauen Himmel, wie ihn Canaletto malt. Von ferne donnerte es in
regelmäßigen Pausen; es waren die Pulsschläge des mittelländischen Meeres.
Ich zögerte in den glänzend erleuchteten Saal der Villa zu treten, die wie
ein Pallast Alladins aus dem blühenden und glühenden Frühling des Gar¬
tens empor stieg. Ich suchte die dunkleren Gänge, da standen in einzelnen
Laubnischen bleiche, marmorne Büsten. Unter manchen andern zwei Helden,
welche allein Genua unsterblich machen: Colombo und Paganini. Jetzt
wurde im Hafen durch Kanonenschüsse Mitternacht angekündigt, und diese weck¬
ten mich aus dem süßen Banne der zaubervollen Umgebung, die mich eine
volle Stunde, ohne daß ich es bemerkte, fesselte. Ich trat in den Saal
und befand mich in einem glänzenden Kreise von Damen und Herren, die
in verschiedenen Gruppen zerstreut einem Neapolitanischen Schifferliede
lauschten, das eine junge Dame am Claviere vortrug. Der Marchese trat
mir grüßend entgegen, er schien mich schon lange erwartet zu haben.

Der Marchese ist der Stolz seiner Vaterstadt. Reich und unabhän¬
gig, ein phantasiereicher Improvisator, ein tiefer Kenner der Musik, ein
Freund der Wissenschaften und ihrer Jünger, versammelt er stets einen Kreis
von Gelehrten und Künstlern und solcher Menschen, die an diesen Theil
nehmen, um sich. Er ist die Axe, um die sich die geistig geselligen Pole
Genua's bewegen.

Die Napolitana war zu Ende, der Marchese faßte meine Hand und
in meiner erröthendsten Überraschung stellt er mich der zahlreichen Ge¬

Eine Begegnung mit Paganini in Genua.
Reise-Erinnerung von Ludwig August Frankl.


Die schöne Oper in Genua war um 11 Uhr zu Ende und ich folgte
der Einladung des Marchese Negro auf seine Villa. Diese liegt auf
einer Anhöhe in der Stadt und beherrscht den Hafen und das Meer. Die
Orangenbüsche, der Citronenwald, den sie einschließen, verwandeln daselbst
die Luft in einen duftigen Aether. Oft bewegte die Wipfel ein frischer
Seewind und schüttelte Blüthen und Glühwürmer herab, daß sie wie ein
leuchtender Staubregen zur Erde sanken. Aus den weißen Lilien, die in
schönster offener Blüthe standen, stiegen elektrische, bleiche Funken empor, wie
Elfenseelen. Nachtigallen schlugen und die Sterne glänzten aus einem so
tiefblauen Himmel, wie ihn Canaletto malt. Von ferne donnerte es in
regelmäßigen Pausen; es waren die Pulsschläge des mittelländischen Meeres.
Ich zögerte in den glänzend erleuchteten Saal der Villa zu treten, die wie
ein Pallast Alladins aus dem blühenden und glühenden Frühling des Gar¬
tens empor stieg. Ich suchte die dunkleren Gänge, da standen in einzelnen
Laubnischen bleiche, marmorne Büsten. Unter manchen andern zwei Helden,
welche allein Genua unsterblich machen: Colombo und Paganini. Jetzt
wurde im Hafen durch Kanonenschüsse Mitternacht angekündigt, und diese weck¬
ten mich aus dem süßen Banne der zaubervollen Umgebung, die mich eine
volle Stunde, ohne daß ich es bemerkte, fesselte. Ich trat in den Saal
und befand mich in einem glänzenden Kreise von Damen und Herren, die
in verschiedenen Gruppen zerstreut einem Neapolitanischen Schifferliede
lauschten, das eine junge Dame am Claviere vortrug. Der Marchese trat
mir grüßend entgegen, er schien mich schon lange erwartet zu haben.

Der Marchese ist der Stolz seiner Vaterstadt. Reich und unabhän¬
gig, ein phantasiereicher Improvisator, ein tiefer Kenner der Musik, ein
Freund der Wissenschaften und ihrer Jünger, versammelt er stets einen Kreis
von Gelehrten und Künstlern und solcher Menschen, die an diesen Theil
nehmen, um sich. Er ist die Axe, um die sich die geistig geselligen Pole
Genua's bewegen.

Die Napolitana war zu Ende, der Marchese faßte meine Hand und
in meiner erröthendsten Überraschung stellt er mich der zahlreichen Ge¬

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[94/0102] Eine Begegnung mit Paganini in Genua. Reise-Erinnerung von Ludwig August Frankl. Die schöne Oper in Genua war um 11 Uhr zu Ende und ich folgte der Einladung des Marchese Negro auf seine Villa. Diese liegt auf einer Anhöhe in der Stadt und beherrscht den Hafen und das Meer. Die Orangenbüsche, der Citronenwald, den sie einschließen, verwandeln daselbst die Luft in einen duftigen Aether. Oft bewegte die Wipfel ein frischer Seewind und schüttelte Blüthen und Glühwürmer herab, daß sie wie ein leuchtender Staubregen zur Erde sanken. Aus den weißen Lilien, die in schönster offener Blüthe standen, stiegen elektrische, bleiche Funken empor, wie Elfenseelen. Nachtigallen schlugen und die Sterne glänzten aus einem so tiefblauen Himmel, wie ihn Canaletto malt. Von ferne donnerte es in regelmäßigen Pausen; es waren die Pulsschläge des mittelländischen Meeres. Ich zögerte in den glänzend erleuchteten Saal der Villa zu treten, die wie ein Pallast Alladins aus dem blühenden und glühenden Frühling des Gar¬ tens empor stieg. Ich suchte die dunkleren Gänge, da standen in einzelnen Laubnischen bleiche, marmorne Büsten. Unter manchen andern zwei Helden, welche allein Genua unsterblich machen: Colombo und Paganini. Jetzt wurde im Hafen durch Kanonenschüsse Mitternacht angekündigt, und diese weck¬ ten mich aus dem süßen Banne der zaubervollen Umgebung, die mich eine volle Stunde, ohne daß ich es bemerkte, fesselte. Ich trat in den Saal und befand mich in einem glänzenden Kreise von Damen und Herren, die in verschiedenen Gruppen zerstreut einem Neapolitanischen Schifferliede lauschten, das eine junge Dame am Claviere vortrug. Der Marchese trat mir grüßend entgegen, er schien mich schon lange erwartet zu haben. Der Marchese ist der Stolz seiner Vaterstadt. Reich und unabhän¬ gig, ein phantasiereicher Improvisator, ein tiefer Kenner der Musik, ein Freund der Wissenschaften und ihrer Jünger, versammelt er stets einen Kreis von Gelehrten und Künstlern und solcher Menschen, die an diesen Theil nehmen, um sich. Er ist die Axe, um die sich die geistig geselligen Pole Genua's bewegen. Die Napolitana war zu Ende, der Marchese faßte meine Hand und in meiner erröthendsten Überraschung stellt er mich der zahlreichen Ge¬

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/102>, abgerufen am 29.03.2024.