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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Literarische Uebersichten vom Standpuncte der
Gesellschaft.


2.
Fürst Lichnowsky und seine Erinnerungen.*)

Die adelige Literatur unserer Epoche verdient eine ganze eigene Aufmerk¬
samkeit. Es hat in Deutschland nie an adeligen Federn gefehlt. Der Palm¬
orden heitern Angedenkens der in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts
seine zum Theil komischen zum Theil wirklich "furchtbringenden" Sitzungen
zu Cöthen und Weimar und Halle hielt, zählte nicht weniger als fünf Hun¬
dert adelige Schrifsteller, darunter 1 König, 3 Churfürsten, 49 Herzöge,
4 Markgrafen, 10 Landgrafen, 8 Pfalzgrafen und 60 gewöhnliche Grafen,
19 Fürsten, 35 Freiherrn u. s. w.

Aber zwischen jener Zeit und der unsrigen liegt ein breiter Unterschied.
Jene adelige Literatur gleicht einem aristokratischen Liebhabertheater; die hohen
Herrschaften vermummten sich zu ihrem Vergnügen, um sich untereinander einen
Privatspaß, eine gegenseitige Unterhaltung zu verschaffen; das Publikum,
die Masse, stand tief unten in ehrfurchtsvoller Ferne vor den Schranken
und hatte die Erlaubniß zuzuschauen; die Herrschaften fragten wenig da¬
nach, sie waren sicher, daß man jede ihrer Tiraden, jede ihrer Gesten re¬
spektvoll beklatschen und in devoter Bewunderung, des gnädigen Spaßes sich
würdig zeigen werde. Windet sich doch Opitz, der beste Mann jener Zeit, in
unterthänigster Begeisterung für die herrschaftliche Poeterei.

Ein ganz entgegengesetztes Bild bietet unsere Zeit. Der aristokratische
Schriftsteller, weit entfernt durch seinen Namen zu imponiren, hat im Ge¬
gentheile, sogar ein Vorurtheil zu bekämpfen. Die Masse ist von vorn herein
in einer oppositionellen Stimmung gegen ihn und er muß ihr manches Opfer
bringen, um sie zu gewinnen. Hier ist nicht mehr von einem Privatspaße die

*) Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838, 1839. Erster Theil. Frankfurt
a. M. 1841.
Literarische Uebersichten vom Standpuncte der
Gesellschaft.


2.
Fürst Lichnowsky und seine Erinnerungen.*)

Die adelige Literatur unserer Epoche verdient eine ganze eigene Aufmerk¬
samkeit. Es hat in Deutschland nie an adeligen Federn gefehlt. Der Palm¬
orden heitern Angedenkens der in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts
seine zum Theil komischen zum Theil wirklich „furchtbringenden“ Sitzungen
zu Cöthen und Weimar und Halle hielt, zählte nicht weniger als fünf Hun¬
dert adelige Schrifsteller, darunter 1 König, 3 Churfürsten, 49 Herzöge,
4 Markgrafen, 10 Landgrafen, 8 Pfalzgrafen und 60 gewöhnliche Grafen,
19 Fürsten, 35 Freiherrn u. s. w.

Aber zwischen jener Zeit und der unsrigen liegt ein breiter Unterschied.
Jene adelige Literatur gleicht einem aristokratischen Liebhabertheater; die hohen
Herrschaften vermummten sich zu ihrem Vergnügen, um sich untereinander einen
Privatspaß, eine gegenseitige Unterhaltung zu verschaffen; das Publikum,
die Masse, stand tief unten in ehrfurchtsvoller Ferne vor den Schranken
und hatte die Erlaubniß zuzuschauen; die Herrschaften fragten wenig da¬
nach, sie waren sicher, daß man jede ihrer Tiraden, jede ihrer Gesten re¬
spektvoll beklatschen und in devoter Bewunderung, des gnädigen Spaßes sich
würdig zeigen werde. Windet sich doch Opitz, der beste Mann jener Zeit, in
unterthänigster Begeisterung für die herrschaftliche Poeterei.

Ein ganz entgegengesetztes Bild bietet unsere Zeit. Der aristokratische
Schriftsteller, weit entfernt durch seinen Namen zu imponiren, hat im Ge¬
gentheile, sogar ein Vorurtheil zu bekämpfen. Die Masse ist von vorn herein
in einer oppositionellen Stimmung gegen ihn und er muß ihr manches Opfer
bringen, um sie zu gewinnen. Hier ist nicht mehr von einem Privatspaße die

*) Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838, 1839. Erster Theil. Frankfurt
a. M. 1841.
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[118/0126] Literarische Uebersichten vom Standpuncte der Gesellschaft. 2. Fürst Lichnowsky und seine Erinnerungen. *) Die adelige Literatur unserer Epoche verdient eine ganze eigene Aufmerk¬ samkeit. Es hat in Deutschland nie an adeligen Federn gefehlt. Der Palm¬ orden heitern Angedenkens der in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts seine zum Theil komischen zum Theil wirklich „furchtbringenden“ Sitzungen zu Cöthen und Weimar und Halle hielt, zählte nicht weniger als fünf Hun¬ dert adelige Schrifsteller, darunter 1 König, 3 Churfürsten, 49 Herzöge, 4 Markgrafen, 10 Landgrafen, 8 Pfalzgrafen und 60 gewöhnliche Grafen, 19 Fürsten, 35 Freiherrn u. s. w. Aber zwischen jener Zeit und der unsrigen liegt ein breiter Unterschied. Jene adelige Literatur gleicht einem aristokratischen Liebhabertheater; die hohen Herrschaften vermummten sich zu ihrem Vergnügen, um sich untereinander einen Privatspaß, eine gegenseitige Unterhaltung zu verschaffen; das Publikum, die Masse, stand tief unten in ehrfurchtsvoller Ferne vor den Schranken und hatte die Erlaubniß zuzuschauen; die Herrschaften fragten wenig da¬ nach, sie waren sicher, daß man jede ihrer Tiraden, jede ihrer Gesten re¬ spektvoll beklatschen und in devoter Bewunderung, des gnädigen Spaßes sich würdig zeigen werde. Windet sich doch Opitz, der beste Mann jener Zeit, in unterthänigster Begeisterung für die herrschaftliche Poeterei. Ein ganz entgegengesetztes Bild bietet unsere Zeit. Der aristokratische Schriftsteller, weit entfernt durch seinen Namen zu imponiren, hat im Ge¬ gentheile, sogar ein Vorurtheil zu bekämpfen. Die Masse ist von vorn herein in einer oppositionellen Stimmung gegen ihn und er muß ihr manches Opfer bringen, um sie zu gewinnen. Hier ist nicht mehr von einem Privatspaße die *) Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838, 1839. Erster Theil. Frankfurt a. M. 1841.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/126>, abgerufen am 18.04.2024.