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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Auch ein Deutscher, (wenn man einen Preußisch-Polen so nennen darf), Na¬
mens Stanislas Roczinski, figurirt in diesem tollen Unternehmen. Er scheint
eine gute Erziehung genossen zu haben, schreibt das Französische sehr gut,
hatte an dem polnischen Aufstande Theil genommen, und kam 1833 als
Flüchtling nach Frankreich. Nachdem er sich einige Wochen in Lyon aufge¬
halten hatte, schiffte er sich nach Egypten ein, und diente etwa sechs Mo¬
nate unter den Truppen Mehemed Ali's. Da er das dortige Klima nicht
vertragen konnte, so kehrte er, nachdem er mit vieler Mühe seinen Ab¬
schied erhalten hatte, wieder nach Frankreich zurück. Kaum war er in
Lyon angekommen, so hört er von einem Straßengefechte; einer seiner
Kameraden, der ihm früher öfters aus der Noth geholfen, soll unter
den Insurgenten sein; er glaubt an seiner Seite kämpfen zu müssen. Sein
Freund wird tödtlich verwundet; er selbst wird gefangen genommen, vor
den Pairshof gestellt, und zu zehnjähriger Einsperrung verurtheilt. Die
Amnestie öffnet ihm wieder die Thüre des Gefängnisses; er begibt sich nach
Belgien, wo er sich mit Unterrichtsstunden im Deutschen, in der Mathe¬
matik und im Aquarellmalen ernährte. Er zeichnet sehr gut, und es wird
versichert, daß er seine Bilder sehr theuer einem reichen Kunstfreunde ver¬
kauft, der der bestehenden Ordnung der Dinge gar nicht hold ist. Aus
Brodteig modellirt er kleine Statuen, die der Liebhaber in der Gefängniß-
Kanzlei besehen kann.



Der deutsche Münchhausen in Frankreich.

Unser hochberühmter Nationallügner, der edle Freiherr von Münchhausen, dessen
großartige Abentheuer und Heldenthaten zum Volksbuche geworden sind, hat einen treff¬
lichen Uebersetzer an dem bekannten belgischen Schriftsteller, Van Hasselt, gefunden.
Diese französische Uebersetzung ist, mit allerliebsten Holzschnitten geziert, im Verlage
der Deutschen Buchhandlung des Herrn C. Muquart in Brüssel erschienen. Zwei Pa¬
riser Buchhandlungen, wahrscheinlich eifersüchtig auf den Ruhm, den Brüssel, als die
Heimath der Nachdrucker, besitzt, machten sich darüber her, mit diesen Ruhmeslorbeer
auch ihr Haupt zu zieren, und der Van Hasselt-Bürgersche Münchhausen erschien somit
vor wenigen Wochen in zwei verschiedenen Pariser Ausgaben. Das Komische bei der
Sache ist aber, daß eine dieser Ausgaben eine Abtheilung der bekannten Publikation:
Les francais peints par eux memes bildet, wodurch unser berühmter Lügenheld und
Aufschneider von den Franzosen als ein Typus ihres Nationalcharakters in Anspruch
genommen wird!--



Druck und Verlag des deutschen Verlagscomptoirs in Brüssel.

Auch ein Deutscher, (wenn man einen Preußisch-Polen so nennen darf), Na¬
mens Stanislas Roczinski, figurirt in diesem tollen Unternehmen. Er scheint
eine gute Erziehung genossen zu haben, schreibt das Französische sehr gut,
hatte an dem polnischen Aufstande Theil genommen, und kam 1833 als
Flüchtling nach Frankreich. Nachdem er sich einige Wochen in Lyon aufge¬
halten hatte, schiffte er sich nach Egypten ein, und diente etwa sechs Mo¬
nate unter den Truppen Mehemed Ali's. Da er das dortige Klima nicht
vertragen konnte, so kehrte er, nachdem er mit vieler Mühe seinen Ab¬
schied erhalten hatte, wieder nach Frankreich zurück. Kaum war er in
Lyon angekommen, so hört er von einem Straßengefechte; einer seiner
Kameraden, der ihm früher öfters aus der Noth geholfen, soll unter
den Insurgenten sein; er glaubt an seiner Seite kämpfen zu müssen. Sein
Freund wird tödtlich verwundet; er selbst wird gefangen genommen, vor
den Pairshof gestellt, und zu zehnjähriger Einsperrung verurtheilt. Die
Amnestie öffnet ihm wieder die Thüre des Gefängnisses; er begibt sich nach
Belgien, wo er sich mit Unterrichtsstunden im Deutschen, in der Mathe¬
matik und im Aquarellmalen ernährte. Er zeichnet sehr gut, und es wird
versichert, daß er seine Bilder sehr theuer einem reichen Kunstfreunde ver¬
kauft, der der bestehenden Ordnung der Dinge gar nicht hold ist. Aus
Brodteig modellirt er kleine Statuen, die der Liebhaber in der Gefängniß-
Kanzlei besehen kann.



Der deutsche Münchhausen in Frankreich.

Unser hochberühmter Nationallügner, der edle Freiherr von Münchhausen, dessen
großartige Abentheuer und Heldenthaten zum Volksbuche geworden sind, hat einen treff¬
lichen Uebersetzer an dem bekannten belgischen Schriftsteller, Van Hasselt, gefunden.
Diese französische Uebersetzung ist, mit allerliebsten Holzschnitten geziert, im Verlage
der Deutschen Buchhandlung des Herrn C. Muquart in Brüssel erschienen. Zwei Pa¬
riser Buchhandlungen, wahrscheinlich eifersüchtig auf den Ruhm, den Brüssel, als die
Heimath der Nachdrucker, besitzt, machten sich darüber her, mit diesen Ruhmeslorbeer
auch ihr Haupt zu zieren, und der Van Hasselt-Bürgersche Münchhausen erschien somit
vor wenigen Wochen in zwei verschiedenen Pariser Ausgaben. Das Komische bei der
Sache ist aber, daß eine dieser Ausgaben eine Abtheilung der bekannten Publikation:
Les français peints par eux mèmes bildet, wodurch unser berühmter Lügenheld und
Aufschneider von den Franzosen als ein Typus ihres Nationalcharakters in Anspruch
genommen wird!--



Druck und Verlag des deutschen Verlagscomptoirs in Brüssel.

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[224/0232] Auch ein Deutscher, (wenn man einen Preußisch-Polen so nennen darf), Na¬ mens Stanislas Roczinski, figurirt in diesem tollen Unternehmen. Er scheint eine gute Erziehung genossen zu haben, schreibt das Französische sehr gut, hatte an dem polnischen Aufstande Theil genommen, und kam 1833 als Flüchtling nach Frankreich. Nachdem er sich einige Wochen in Lyon aufge¬ halten hatte, schiffte er sich nach Egypten ein, und diente etwa sechs Mo¬ nate unter den Truppen Mehemed Ali's. Da er das dortige Klima nicht vertragen konnte, so kehrte er, nachdem er mit vieler Mühe seinen Ab¬ schied erhalten hatte, wieder nach Frankreich zurück. Kaum war er in Lyon angekommen, so hört er von einem Straßengefechte; einer seiner Kameraden, der ihm früher öfters aus der Noth geholfen, soll unter den Insurgenten sein; er glaubt an seiner Seite kämpfen zu müssen. Sein Freund wird tödtlich verwundet; er selbst wird gefangen genommen, vor den Pairshof gestellt, und zu zehnjähriger Einsperrung verurtheilt. Die Amnestie öffnet ihm wieder die Thüre des Gefängnisses; er begibt sich nach Belgien, wo er sich mit Unterrichtsstunden im Deutschen, in der Mathe¬ matik und im Aquarellmalen ernährte. Er zeichnet sehr gut, und es wird versichert, daß er seine Bilder sehr theuer einem reichen Kunstfreunde ver¬ kauft, der der bestehenden Ordnung der Dinge gar nicht hold ist. Aus Brodteig modellirt er kleine Statuen, die der Liebhaber in der Gefängniß- Kanzlei besehen kann. Der deutsche Münchhausen in Frankreich. Unser hochberühmter Nationallügner, der edle Freiherr von Münchhausen, dessen großartige Abentheuer und Heldenthaten zum Volksbuche geworden sind, hat einen treff¬ lichen Uebersetzer an dem bekannten belgischen Schriftsteller, Van Hasselt, gefunden. Diese französische Uebersetzung ist, mit allerliebsten Holzschnitten geziert, im Verlage der Deutschen Buchhandlung des Herrn C. Muquart in Brüssel erschienen. Zwei Pa¬ riser Buchhandlungen, wahrscheinlich eifersüchtig auf den Ruhm, den Brüssel, als die Heimath der Nachdrucker, besitzt, machten sich darüber her, mit diesen Ruhmeslorbeer auch ihr Haupt zu zieren, und der Van Hasselt-Bürgersche Münchhausen erschien somit vor wenigen Wochen in zwei verschiedenen Pariser Ausgaben. Das Komische bei der Sache ist aber, daß eine dieser Ausgaben eine Abtheilung der bekannten Publikation: Les français peints par eux mèmes bildet, wodurch unser berühmter Lügenheld und Aufschneider von den Franzosen als ein Typus ihres Nationalcharakters in Anspruch genommen wird!-- Druck und Verlag des deutschen Verlagscomptoirs in Brüssel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/232>, abgerufen am 19.04.2024.