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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Das Atelier eines französischen Bildhauers.


Willst Du den Dichter wohl verstehn, mußt Du in Dichters Lande
gehn -- sagt Meister Göthe, ein Spruch der nicht nur vom Dichter allein,
sondern auch vom Künstler gilt. Um einen Künstler vollständig aufzufassen,
trachte man in das Heiligthum seines Ateliers eindringen zu können. Nicht
das vollendete Kunstwerk gibt den ganzen Aufschluß über den Geist des
Künstlers, die verlassene, abgebrochene Idee, die vielfachen embryonischen
Versuche, welche fragmentarisch in seiner Werkstätte umherstehen oder um¬
herhangen, werfen oft weit hellere Blitze über das Dunkel seiner geistigen
Kraft als das Ausgeführte, für Welt und Nachwelt Hingestellte. Ich habe
Gelegenheit gehabt, die hohen Schöpfungen eines Thorwaldsen, Dannecker,
Schwanthaler u. A. in den Werkstätten der Meister zu bewundern; durch
die Vermittlung eines Freundes gelang es mir, Zutritt zu finden, zu den
geistreichen Scherzbildern des Carricaturisten Dantan und überall überzeugte
ich mich von der Wahrheit jenes Götheschen Spruchs.

Ich will diesesmal nur von Dantan sprechen, von dem bildhauerischen
Juvenal der Pariser. Wie sehr steht doch die Kunst gegen die Literatur
im Nachtheil! Alle Welt weiß in Deutschland von Jules Janin; wie viele
aber wissen etwas Näheres von Dantan? Und wahrlich, der gemeißelte Witz
der Dantanischen Carricaturen wiegt zehnfach den flüchtigen Geist des Mon-
tagsjournalisten auf! Aber dieser wickelt seine Gedanken in Papier, und
jener in Stein; das Papier fliegt wie ein Vogel durch die ganze Welt,
indeß der Stein an die Scholle gebunden ist. Doch der Stein überdauert
das Papier!

Wir waren auf eilf Uhr bestellt, wir ließen keinen Augenblick auf
uns warten und traten in einen kleinen Salon von reizendem orientalischen
Geschmacke. Das Zimmer mit seinen Wandgemälden in Arabesken, Fon¬
tänen und Früchten, stellte ein Zelt vor, eine lange Ottomane mit Tabou-
rets von demselben Stoffe und ein Piano bildeten das ganze Ameuble-
ment, gegenüber einem hohen Fenster, reichlich beschattet von seltenen Ge-

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Das Atelier eines französischen Bildhauers.


Willst Du den Dichter wohl verstehn, mußt Du in Dichters Lande
gehn — sagt Meister Göthe, ein Spruch der nicht nur vom Dichter allein,
sondern auch vom Künstler gilt. Um einen Künstler vollständig aufzufassen,
trachte man in das Heiligthum seines Ateliers eindringen zu können. Nicht
das vollendete Kunstwerk gibt den ganzen Aufschluß über den Geist des
Künstlers, die verlassene, abgebrochene Idee, die vielfachen embryonischen
Versuche, welche fragmentarisch in seiner Werkstätte umherstehen oder um¬
herhangen, werfen oft weit hellere Blitze über das Dunkel seiner geistigen
Kraft als das Ausgeführte, für Welt und Nachwelt Hingestellte. Ich habe
Gelegenheit gehabt, die hohen Schöpfungen eines Thorwaldsen, Dannecker,
Schwanthaler u. A. in den Werkstätten der Meister zu bewundern; durch
die Vermittlung eines Freundes gelang es mir, Zutritt zu finden, zu den
geistreichen Scherzbildern des Carricaturisten Dantan und überall überzeugte
ich mich von der Wahrheit jenes Götheschen Spruchs.

Ich will diesesmal nur von Dantan sprechen, von dem bildhauerischen
Juvenal der Pariser. Wie sehr steht doch die Kunst gegen die Literatur
im Nachtheil! Alle Welt weiß in Deutschland von Jules Janin; wie viele
aber wissen etwas Näheres von Dantan? Und wahrlich, der gemeißelte Witz
der Dantanischen Carricaturen wiegt zehnfach den flüchtigen Geist des Mon-
tagsjournalisten auf! Aber dieser wickelt seine Gedanken in Papier, und
jener in Stein; das Papier fliegt wie ein Vogel durch die ganze Welt,
indeß der Stein an die Scholle gebunden ist. Doch der Stein überdauert
das Papier!

Wir waren auf eilf Uhr bestellt, wir ließen keinen Augenblick auf
uns warten und traten in einen kleinen Salon von reizendem orientalischen
Geschmacke. Das Zimmer mit seinen Wandgemälden in Arabesken, Fon¬
tänen und Früchten, stellte ein Zelt vor, eine lange Ottomane mit Tabou-
rets von demselben Stoffe und ein Piano bildeten das ganze Ameuble-
ment, gegenüber einem hohen Fenster, reichlich beschattet von seltenen Ge-

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[225/0233] Das Atelier eines französischen Bildhauers. Willst Du den Dichter wohl verstehn, mußt Du in Dichters Lande gehn — sagt Meister Göthe, ein Spruch der nicht nur vom Dichter allein, sondern auch vom Künstler gilt. Um einen Künstler vollständig aufzufassen, trachte man in das Heiligthum seines Ateliers eindringen zu können. Nicht das vollendete Kunstwerk gibt den ganzen Aufschluß über den Geist des Künstlers, die verlassene, abgebrochene Idee, die vielfachen embryonischen Versuche, welche fragmentarisch in seiner Werkstätte umherstehen oder um¬ herhangen, werfen oft weit hellere Blitze über das Dunkel seiner geistigen Kraft als das Ausgeführte, für Welt und Nachwelt Hingestellte. Ich habe Gelegenheit gehabt, die hohen Schöpfungen eines Thorwaldsen, Dannecker, Schwanthaler u. A. in den Werkstätten der Meister zu bewundern; durch die Vermittlung eines Freundes gelang es mir, Zutritt zu finden, zu den geistreichen Scherzbildern des Carricaturisten Dantan und überall überzeugte ich mich von der Wahrheit jenes Götheschen Spruchs. Ich will diesesmal nur von Dantan sprechen, von dem bildhauerischen Juvenal der Pariser. Wie sehr steht doch die Kunst gegen die Literatur im Nachtheil! Alle Welt weiß in Deutschland von Jules Janin; wie viele aber wissen etwas Näheres von Dantan? Und wahrlich, der gemeißelte Witz der Dantanischen Carricaturen wiegt zehnfach den flüchtigen Geist des Mon- tagsjournalisten auf! Aber dieser wickelt seine Gedanken in Papier, und jener in Stein; das Papier fliegt wie ein Vogel durch die ganze Welt, indeß der Stein an die Scholle gebunden ist. Doch der Stein überdauert das Papier! Wir waren auf eilf Uhr bestellt, wir ließen keinen Augenblick auf uns warten und traten in einen kleinen Salon von reizendem orientalischen Geschmacke. Das Zimmer mit seinen Wandgemälden in Arabesken, Fon¬ tänen und Früchten, stellte ein Zelt vor, eine lange Ottomane mit Tabou- rets von demselben Stoffe und ein Piano bildeten das ganze Ameuble- ment, gegenüber einem hohen Fenster, reichlich beschattet von seltenen Ge- 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/233>, abgerufen am 28.03.2024.