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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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III.
Die sich selbst malenden Belgier. - Baron Friedberg.

Les Belges peints par eux-memes. - Diese Publikation, von der bereits mehr
als zwanzig Hefte erschienen sind, verdient wirklich die freundliche Theilnahme, die ihr
geworden. In der Regel sind wir kein Freund von derlei Nachahmungen. Was ist
nicht alles geschrieben und geschmiert worden, seitdem ein Pariser Buchhändler die al¬
lerdings glückliche Idee hatte les Francais peints par eux-memes herauszugeben. Seit jener
Zeit malt sich alles selbst. Les enfants peints etc., les Anglais peints etc., les
Hollandais peints, les animaux peints. Aber es geht mit diesem Sich-selbst-malen
wie es mit dem sich selbst rasiren geht. Man stellt sich gegen den Spiegel und schnei¬
det sich selbst Gesichter -- Man seift sich zwar ein Bischen ein, aber man hütet sich
wohl -- sich zu schneiden. Eine Nation kann sich eben so wenig selbst beurtheilen, wie
ein Mensch sich selbst beurtheilen kann. Wenn man noch so strenge ist -- man hat sich
doch zu lieb, um sich wehe zu thun.

Die Belges peints par eux-memes machen in dieser Selbstliebe keine Ausnahme,
und es würde dem Pinsel dieser Maler gar nicht schaden, wenn die Farben etwas
ätzender wären. Aber diese Publikation hat das voraus, daß der Gegenstand, das
Stoffliche reicher ist , als bei vielen ähnlichen. Wo gibt es in der That noch ein Land
wie dieses Belgien, wo auf so engem Raume so viele eigenthümliche und verschieden¬
artige Charactere sich drängen - nicht nur der Flamänder und Wallone in ihren Ge¬
gensätzen, sondern auch der deutsche und französische Gränzer, im Luxemburg und im
Hennegau mit ihren ausgesprochenen Nationaltypus, der Steinkohlenbauer, der wurm¬
artig in der Erde wühlt, und der Küstenfahrer, der wie ein Seefisch auf den Wellen
lebt, der Priester und der Freimaurer, der Maler und der Blumist u. s.w., u. s. w.

Alle diese Charactere treten hier schärfer und entschiedener hervor, als anderswo,
weil sie gedrängt sich einander gegenüberstehen. Hier hat der Sittenschilderer reiches
Material, er braucht mir mit vollen Händen hineinzugreifen, und das Bild gestaltet
sich von selbst. Wir machen auf die mit vollem flamändischen Pinsel gezeichneten Cha¬
rakteristiken: der Estaminet-Politiker von Victor Joly, der Löwener Student von Le-
brün, sowie auf die werthvollen Artikel von Lebroussart, Van Hasselt und Reiffen-
berg aufmerksam. Allerliebste Holzschnitte geben diesen Blättern einen erhöhten Reiz. Son¬
derbar genug ist der Herausgeber dieser in gewisser Beziehung nationalen Lieferungen,
kein Belgier. Herr Baron von Friedberg ist ein Pole (aus Krakau) der in Belgien sich
niedergelassen. Es ist dieß derselbe, der auch mit seltener Munifizenz und vielen Ko¬
sten eine Buchdruckerei in Brüssel angelegt hat, deren Zweck es sein sollte, diejenigen
Polen, die von der Unterstützung, die der belgische Staat ihnen großmüthig angewie¬
sen, sich nicht erhalten können, als Setzer und Drucker zu beschäftigen. Leiber hat die¬
ses schöne Unternehmen nicht lange Bestand haben können, da der Dilettantismus nicht

III.
Die sich selbst malenden Belgier. - Baron Friedberg.

Les Belges peints par eux-mêmes. - Diese Publikation, von der bereits mehr
als zwanzig Hefte erschienen sind, verdient wirklich die freundliche Theilnahme, die ihr
geworden. In der Regel sind wir kein Freund von derlei Nachahmungen. Was ist
nicht alles geschrieben und geschmiert worden, seitdem ein Pariser Buchhändler die al¬
lerdings glückliche Idee hatte les Français peints par eux-mêmes herauszugeben. Seit jener
Zeit malt sich alles selbst. Les enfants peints etc., les Anglais peints etc., les
Hollandais peints, les animaux peints. Aber es geht mit diesem Sich-selbst-malen
wie es mit dem sich selbst rasiren geht. Man stellt sich gegen den Spiegel und schnei¬
det sich selbst Gesichter — Man seift sich zwar ein Bischen ein, aber man hütet sich
wohl — sich zu schneiden. Eine Nation kann sich eben so wenig selbst beurtheilen, wie
ein Mensch sich selbst beurtheilen kann. Wenn man noch so strenge ist — man hat sich
doch zu lieb, um sich wehe zu thun.

Die Belges peints par eux-mêmes machen in dieser Selbstliebe keine Ausnahme,
und es würde dem Pinsel dieser Maler gar nicht schaden, wenn die Farben etwas
ätzender wären. Aber diese Publikation hat das voraus, daß der Gegenstand, das
Stoffliche reicher ist , als bei vielen ähnlichen. Wo gibt es in der That noch ein Land
wie dieses Belgien, wo auf so engem Raume so viele eigenthümliche und verschieden¬
artige Charactere sich drängen - nicht nur der Flamänder und Wallone in ihren Ge¬
gensätzen, sondern auch der deutsche und französische Gränzer, im Luxemburg und im
Hennegau mit ihren ausgesprochenen Nationaltypus, der Steinkohlenbauer, der wurm¬
artig in der Erde wühlt, und der Küstenfahrer, der wie ein Seefisch auf den Wellen
lebt, der Priester und der Freimaurer, der Maler und der Blumist u. s.w., u. s. w.

Alle diese Charactere treten hier schärfer und entschiedener hervor, als anderswo,
weil sie gedrängt sich einander gegenüberstehen. Hier hat der Sittenschilderer reiches
Material, er braucht mir mit vollen Händen hineinzugreifen, und das Bild gestaltet
sich von selbst. Wir machen auf die mit vollem flamändischen Pinsel gezeichneten Cha¬
rakteristiken: der Estaminet-Politiker von Victor Joly, der Löwener Student von Le-
brün, sowie auf die werthvollen Artikel von Lebroussart, Van Hasselt und Reiffen-
berg aufmerksam. Allerliebste Holzschnitte geben diesen Blättern einen erhöhten Reiz. Son¬
derbar genug ist der Herausgeber dieser in gewisser Beziehung nationalen Lieferungen,
kein Belgier. Herr Baron von Friedberg ist ein Pole (aus Krakau) der in Belgien sich
niedergelassen. Es ist dieß derselbe, der auch mit seltener Munifizenz und vielen Ko¬
sten eine Buchdruckerei in Brüssel angelegt hat, deren Zweck es sein sollte, diejenigen
Polen, die von der Unterstützung, die der belgische Staat ihnen großmüthig angewie¬
sen, sich nicht erhalten können, als Setzer und Drucker zu beschäftigen. Leiber hat die¬
ses schöne Unternehmen nicht lange Bestand haben können, da der Dilettantismus nicht

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[278/0286] III. Die sich selbst malenden Belgier. - Baron Friedberg. Les Belges peints par eux-mêmes. - Diese Publikation, von der bereits mehr als zwanzig Hefte erschienen sind, verdient wirklich die freundliche Theilnahme, die ihr geworden. In der Regel sind wir kein Freund von derlei Nachahmungen. Was ist nicht alles geschrieben und geschmiert worden, seitdem ein Pariser Buchhändler die al¬ lerdings glückliche Idee hatte les Français peints par eux-mêmes herauszugeben. Seit jener Zeit malt sich alles selbst. Les enfants peints etc., les Anglais peints etc., les Hollandais peints, les animaux peints. Aber es geht mit diesem Sich-selbst-malen wie es mit dem sich selbst rasiren geht. Man stellt sich gegen den Spiegel und schnei¬ det sich selbst Gesichter — Man seift sich zwar ein Bischen ein, aber man hütet sich wohl — sich zu schneiden. Eine Nation kann sich eben so wenig selbst beurtheilen, wie ein Mensch sich selbst beurtheilen kann. Wenn man noch so strenge ist — man hat sich doch zu lieb, um sich wehe zu thun. Die Belges peints par eux-mêmes machen in dieser Selbstliebe keine Ausnahme, und es würde dem Pinsel dieser Maler gar nicht schaden, wenn die Farben etwas ätzender wären. Aber diese Publikation hat das voraus, daß der Gegenstand, das Stoffliche reicher ist , als bei vielen ähnlichen. Wo gibt es in der That noch ein Land wie dieses Belgien, wo auf so engem Raume so viele eigenthümliche und verschieden¬ artige Charactere sich drängen - nicht nur der Flamänder und Wallone in ihren Ge¬ gensätzen, sondern auch der deutsche und französische Gränzer, im Luxemburg und im Hennegau mit ihren ausgesprochenen Nationaltypus, der Steinkohlenbauer, der wurm¬ artig in der Erde wühlt, und der Küstenfahrer, der wie ein Seefisch auf den Wellen lebt, der Priester und der Freimaurer, der Maler und der Blumist u. s.w., u. s. w. Alle diese Charactere treten hier schärfer und entschiedener hervor, als anderswo, weil sie gedrängt sich einander gegenüberstehen. Hier hat der Sittenschilderer reiches Material, er braucht mir mit vollen Händen hineinzugreifen, und das Bild gestaltet sich von selbst. Wir machen auf die mit vollem flamändischen Pinsel gezeichneten Cha¬ rakteristiken: der Estaminet-Politiker von Victor Joly, der Löwener Student von Le- brün, sowie auf die werthvollen Artikel von Lebroussart, Van Hasselt und Reiffen- berg aufmerksam. Allerliebste Holzschnitte geben diesen Blättern einen erhöhten Reiz. Son¬ derbar genug ist der Herausgeber dieser in gewisser Beziehung nationalen Lieferungen, kein Belgier. Herr Baron von Friedberg ist ein Pole (aus Krakau) der in Belgien sich niedergelassen. Es ist dieß derselbe, der auch mit seltener Munifizenz und vielen Ko¬ sten eine Buchdruckerei in Brüssel angelegt hat, deren Zweck es sein sollte, diejenigen Polen, die von der Unterstützung, die der belgische Staat ihnen großmüthig angewie¬ sen, sich nicht erhalten können, als Setzer und Drucker zu beschäftigen. Leiber hat die¬ ses schöne Unternehmen nicht lange Bestand haben können, da der Dilettantismus nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/286>, abgerufen am 18.04.2024.