Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
Musikalische Charakteristiken.


Karl Maria von Weber.



Man würde das Verdienst eines Künstlers unrichtig beurtheilen, wenn
man es allein nach seinen Werken bemessen wollte, ohne auf die Umstände
Acht zu haben, unter denen er gelebt hat, ohne den Zweck, den er vor
Augen hatte, und den Geschmack seiner Zeit zu berücksichtigen. Der Ma¬
ler, der Tonkünstler, alle die bevorzugten Geister, welchen die Vorsehung,
als sie das Licht der Welt erblickten, die unschätzbare Gabe der Erfindung
verlieh, können von ihren Nachahmern erreicht, ja selbst übertroffen wer¬
den, durch eine größere Vollendung ihrer Arbeiten, durch kühne und glück¬
liche Benutzung der Kunstmittel; immer aber bleibt ihnen jener höhere Ruhm,
welcher nur dem schöpferischen Talente zukommt. Mit Unrecht haben die
enthusiastischen Anhänger einiger neuen Schule, in den jüngsten Zeiten sich
gegen David erklärt. Der Grund weshalb wir David über die
unmittelbar nach ihm folgenden Maler stellen müssen, ist kein an¬
derer, als daß er der französischen Schule aus der Ausartung, in die der
schlechte Geschmack der Zeiten sie geworfen, wieder emporgeholfen, daß er
sie, durch eine gründliche Umwandlung, auf eine gedeihliche Bahn gebracht
hat. Wie viele Componisten sind nicht in Rossini's Fußtapfen getreten,
wie viele haben sich nicht des neuen Verfahrens bedient, womit er die Kunst
bereichert hatte, und die Ideen sich anzueignen gestrebt, für die er den Ton
angegeben! Durch die Fülle seiner Einbildungskraft, durch den Reichthum
an Gedanken, worin er fast seines Gleichen nicht hat, steht Rossini bei
Weitem höher als seine Nachahmer; nichtsdestoweniger finden sich unter den
Werken derselben einige, die großes Glück gemacht haben würden, wenn
man es hätte vergessen können, daß sie Erzeugnisse der Nachahmung sind.

39
Musikalische Charakteristiken.


Karl Maria von Weber.



Man würde das Verdienst eines Künstlers unrichtig beurtheilen, wenn
man es allein nach seinen Werken bemessen wollte, ohne auf die Umstände
Acht zu haben, unter denen er gelebt hat, ohne den Zweck, den er vor
Augen hatte, und den Geschmack seiner Zeit zu berücksichtigen. Der Ma¬
ler, der Tonkünstler, alle die bevorzugten Geister, welchen die Vorsehung,
als sie das Licht der Welt erblickten, die unschätzbare Gabe der Erfindung
verlieh, können von ihren Nachahmern erreicht, ja selbst übertroffen wer¬
den, durch eine größere Vollendung ihrer Arbeiten, durch kühne und glück¬
liche Benutzung der Kunstmittel; immer aber bleibt ihnen jener höhere Ruhm,
welcher nur dem schöpferischen Talente zukommt. Mit Unrecht haben die
enthusiastischen Anhänger einiger neuen Schule, in den jüngsten Zeiten sich
gegen David erklärt. Der Grund weshalb wir David über die
unmittelbar nach ihm folgenden Maler stellen müssen, ist kein an¬
derer, als daß er der französischen Schule aus der Ausartung, in die der
schlechte Geschmack der Zeiten sie geworfen, wieder emporgeholfen, daß er
sie, durch eine gründliche Umwandlung, auf eine gedeihliche Bahn gebracht
hat. Wie viele Componisten sind nicht in Rossini's Fußtapfen getreten,
wie viele haben sich nicht des neuen Verfahrens bedient, womit er die Kunst
bereichert hatte, und die Ideen sich anzueignen gestrebt, für die er den Ton
angegeben! Durch die Fülle seiner Einbildungskraft, durch den Reichthum
an Gedanken, worin er fast seines Gleichen nicht hat, steht Rossini bei
Weitem höher als seine Nachahmer; nichtsdestoweniger finden sich unter den
Werken derselben einige, die großes Glück gemacht haben würden, wenn
man es hätte vergessen können, daß sie Erzeugnisse der Nachahmung sind.

39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179680" facs="#f0297" n="289"/>
      <div n="1">
        <head>Musikalische Charakteristiken.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p> <hi rendition="#c">Karl Maria von Weber.</hi> </p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Man würde das Verdienst eines Künstlers unrichtig beurtheilen, wenn<lb/>
man es allein nach seinen Werken bemessen wollte, ohne auf die Umstände<lb/>
Acht zu haben, unter denen er gelebt hat, ohne den Zweck, den er vor<lb/>
Augen hatte, und den Geschmack seiner Zeit zu berücksichtigen. Der Ma¬<lb/>
ler, der Tonkünstler, alle die bevorzugten Geister, welchen die Vorsehung,<lb/>
als sie das Licht der Welt erblickten, die unschätzbare Gabe der Erfindung<lb/>
verlieh, können von ihren Nachahmern erreicht, ja selbst übertroffen wer¬<lb/>
den, durch eine größere Vollendung ihrer Arbeiten, durch kühne und glück¬<lb/>
liche Benutzung der Kunstmittel; immer aber bleibt ihnen jener höhere Ruhm,<lb/>
welcher nur dem schöpferischen Talente zukommt.  Mit Unrecht haben die<lb/>
enthusiastischen Anhänger einiger neuen Schule, in den jüngsten Zeiten sich<lb/>
gegen  David  erklärt.    Der  Grund weshalb  wir  David  über die<lb/>
unmittelbar  nach  ihm folgenden Maler stellen  müssen,  ist  kein an¬<lb/>
derer, als daß er der französischen Schule aus der Ausartung, in die der<lb/>
schlechte Geschmack der Zeiten sie geworfen, wieder emporgeholfen, daß er<lb/>
sie, durch eine gründliche Umwandlung, auf eine gedeihliche Bahn gebracht<lb/>
hat. Wie viele Componisten sind nicht in Rossini's Fußtapfen getreten,<lb/>
wie viele haben sich nicht des neuen Verfahrens bedient, womit er die Kunst<lb/>
bereichert hatte, und die Ideen sich anzueignen gestrebt, für die er den Ton<lb/>
angegeben!  Durch die Fülle seiner Einbildungskraft, durch den Reichthum<lb/>
an Gedanken, worin er fast seines Gleichen nicht hat, steht Rossini bei<lb/>
Weitem höher als seine Nachahmer; nichtsdestoweniger finden sich unter den<lb/>
Werken derselben einige, die großes Glück gemacht haben würden, wenn<lb/>
man es hätte vergessen können, daß sie Erzeugnisse der Nachahmung sind.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">39</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0297] Musikalische Charakteristiken. Karl Maria von Weber. Man würde das Verdienst eines Künstlers unrichtig beurtheilen, wenn man es allein nach seinen Werken bemessen wollte, ohne auf die Umstände Acht zu haben, unter denen er gelebt hat, ohne den Zweck, den er vor Augen hatte, und den Geschmack seiner Zeit zu berücksichtigen. Der Ma¬ ler, der Tonkünstler, alle die bevorzugten Geister, welchen die Vorsehung, als sie das Licht der Welt erblickten, die unschätzbare Gabe der Erfindung verlieh, können von ihren Nachahmern erreicht, ja selbst übertroffen wer¬ den, durch eine größere Vollendung ihrer Arbeiten, durch kühne und glück¬ liche Benutzung der Kunstmittel; immer aber bleibt ihnen jener höhere Ruhm, welcher nur dem schöpferischen Talente zukommt. Mit Unrecht haben die enthusiastischen Anhänger einiger neuen Schule, in den jüngsten Zeiten sich gegen David erklärt. Der Grund weshalb wir David über die unmittelbar nach ihm folgenden Maler stellen müssen, ist kein an¬ derer, als daß er der französischen Schule aus der Ausartung, in die der schlechte Geschmack der Zeiten sie geworfen, wieder emporgeholfen, daß er sie, durch eine gründliche Umwandlung, auf eine gedeihliche Bahn gebracht hat. Wie viele Componisten sind nicht in Rossini's Fußtapfen getreten, wie viele haben sich nicht des neuen Verfahrens bedient, womit er die Kunst bereichert hatte, und die Ideen sich anzueignen gestrebt, für die er den Ton angegeben! Durch die Fülle seiner Einbildungskraft, durch den Reichthum an Gedanken, worin er fast seines Gleichen nicht hat, steht Rossini bei Weitem höher als seine Nachahmer; nichtsdestoweniger finden sich unter den Werken derselben einige, die großes Glück gemacht haben würden, wenn man es hätte vergessen können, daß sie Erzeugnisse der Nachahmung sind. 39

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/297>, abgerufen am 29.03.2024.