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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Klerisei, wie er sich ausdrückt, lastete eine Zeitlang darauf, es wurde
confiscire, später erst wieder freigegeben.

Noch fehlte es ihm an einem festen Grund und Boden unter
sich; die Stadtlust war ihm einmal zuwider. So suchte und fand
er denn einen Ort") ländlicher Muße, von ganz vortrefflicher Qua-
lität. "Reine, gesunde Luft weht hier, aber wie wichtig ist für
das wichtigste Organ des Menschen, das Denkorgan, die reine,
frische Luft! Die speculative Philosophie Deutschlands, wie sie sich
bisher entwickelt hat, ist ein Beispiel von den schädlichen Ein¬
flüssen der verpesteten Stadtluft. Wer kann leugnen, daß ihr Denk¬
organ, namentlich in Hegel, vortrefflich organisirt war, aber wer
auch übersehen, daß die Funktion des Central - Organs von den
Sinnenfunktionen zu sehr abgesondert, daß namentlich der Kanal bei
ihm verstopft war, durch welchen die Natur ihren heilbringenden Odem
uns zuströmt? Ich selbst weiß es aus Erfahrung. Stets dachte
ich frei und hell; aber ich hatte doch immer Anflug von Schnupfen,
der den Zudrang der freien Naturluft hemmte. O, vortrefflich ist
der stsws u-dem-aus für den Denker! Wie vielen Illusionen der
Menschheit bin ich erst hier auf die Spur gekommen! Und wie
viele Lücken meines Wissens habe ich in sileotio ausgefüllt! wie
viele werde ich noch ausfüllen!--Gut, daß Du kein Hexenmeister bist
-- schrieb er"") seinem Freunde Riedel auf die Skizze in dem Gutz-
kow'schen Jahrbuch der Literatur hin, worin Riedel einige Worte
über Feuerbach und Danaer mittheilte, und für erstem bedauerte, daß
er in abgelegenem Orte, wo er aller fremden Anregung entbehre, dem
Kreise deö Lebens und der Bewegung entzogen werde, verkümmern
müsse, so daß es gar sehr zu wünschen wäre, er träte recht bald in eine
bestimmte Wirksamkeit ein.-- "Deine Wünsche könnten mich sonst in
dem, mir wenigstens noch mehrere Jahre unentbehrlichen Frieden meiner
sehr verschiedenartigen Studien stören und auch einem Boden entziehen,
wo ich mich geistig und leiblich wohler, als je, unendlich wohler befinde,
als an irgend einer Universität, wo auFer dem Kartoffelbau der Brod-
Wissenschaften nur noch die fromme Schafszucht im Flor ist."




1

*) Auf dem Gute eines Freundes, dessen Schwägerin er heirathete, in
Bruckbcrg bei Ansbach.
") Im Athenäum für Wissenschaft, Kunst und Leben. Nürnberg, März
1839. püx. 52.

Klerisei, wie er sich ausdrückt, lastete eine Zeitlang darauf, es wurde
confiscire, später erst wieder freigegeben.

Noch fehlte es ihm an einem festen Grund und Boden unter
sich; die Stadtlust war ihm einmal zuwider. So suchte und fand
er denn einen Ort») ländlicher Muße, von ganz vortrefflicher Qua-
lität. „Reine, gesunde Luft weht hier, aber wie wichtig ist für
das wichtigste Organ des Menschen, das Denkorgan, die reine,
frische Luft! Die speculative Philosophie Deutschlands, wie sie sich
bisher entwickelt hat, ist ein Beispiel von den schädlichen Ein¬
flüssen der verpesteten Stadtluft. Wer kann leugnen, daß ihr Denk¬
organ, namentlich in Hegel, vortrefflich organisirt war, aber wer
auch übersehen, daß die Funktion des Central - Organs von den
Sinnenfunktionen zu sehr abgesondert, daß namentlich der Kanal bei
ihm verstopft war, durch welchen die Natur ihren heilbringenden Odem
uns zuströmt? Ich selbst weiß es aus Erfahrung. Stets dachte
ich frei und hell; aber ich hatte doch immer Anflug von Schnupfen,
der den Zudrang der freien Naturluft hemmte. O, vortrefflich ist
der stsws u-dem-aus für den Denker! Wie vielen Illusionen der
Menschheit bin ich erst hier auf die Spur gekommen! Und wie
viele Lücken meines Wissens habe ich in sileotio ausgefüllt! wie
viele werde ich noch ausfüllen!—Gut, daß Du kein Hexenmeister bist
— schrieb er»») seinem Freunde Riedel auf die Skizze in dem Gutz-
kow'schen Jahrbuch der Literatur hin, worin Riedel einige Worte
über Feuerbach und Danaer mittheilte, und für erstem bedauerte, daß
er in abgelegenem Orte, wo er aller fremden Anregung entbehre, dem
Kreise deö Lebens und der Bewegung entzogen werde, verkümmern
müsse, so daß es gar sehr zu wünschen wäre, er träte recht bald in eine
bestimmte Wirksamkeit ein.— „Deine Wünsche könnten mich sonst in
dem, mir wenigstens noch mehrere Jahre unentbehrlichen Frieden meiner
sehr verschiedenartigen Studien stören und auch einem Boden entziehen,
wo ich mich geistig und leiblich wohler, als je, unendlich wohler befinde,
als an irgend einer Universität, wo auFer dem Kartoffelbau der Brod-
Wissenschaften nur noch die fromme Schafszucht im Flor ist."




1

*) Auf dem Gute eines Freundes, dessen Schwägerin er heirathete, in
Bruckbcrg bei Ansbach.
") Im Athenäum für Wissenschaft, Kunst und Leben. Nürnberg, März
1839. püx. 52.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/14>, abgerufen am 03.05.2024.