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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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niedergelegt zu werden, hat mannichfache Nebenbuhler erhalten. Die deutsche
Industrie hat tausend kleine Bijouterien erfunden, welche der galante Ehemann,
der zärtliche Liebhaber nur mit vielem Aufwande aus Paris herbeischaffen
konnte. Die deutsche Artigkeit hat nun nicht mehr nöthig, in der monotonen
Form eines Taschenbuchs "für Liebe und Freundschaft" ihre Reujahrs- und
Wcihnachtsgrüße dem zarten Geschlechte zu übersenden. Andrerseits haben die
illustrirten Bücher in Quart und Großoctav die kleinen liliputanischen Schwärme
aus ihren Niederlassungen verdrängt. So muß denn die fliegende Literatur
der kleinen Novellen, Balladen und Sonnette einen andern Bienenkorb suchen,
um ihren Honig, der leider oft allzusüß ist, zu bereiten. Die bei Meyer in
Cottbus erscheinenden "Weltgegenden" scheinen aus einem solchen Motiv her¬
vorgegangen zu sein. Der Titel ist ungeschickt gewählt und steht zu dem In¬
halt in gar keiner Beziehung. Allein es findet hier der nicht gewöhnliche Um¬
stand statt, daß der Inhalt besser als der Titel ist. Die literarische Gesell¬
schaft, die man hier trifft, ist eine gute: die meisten unserer besten Erzähler
und einige achtbare Lyriker liefern das Material. Das letzte Heft, welches
uns in die Hände gekommen, enthält werthvolle Beiträge von Wilibold Alexis
und Robert Heller, eine humoristische Epistel von Adolph Peters, Schilderun¬
gen aus München von Heinrich Scheerer, Gedickte von Dingelstedt, Friedrich
von Sattel und Richard Morning. Letzterer hat auch eine Charakteristik von
Anastasius Grün geliefert, die werthvoller wäre, wenn sie kürzer sein möchte.
Die bescheidene Aufgabe, "eine Sammlung schöngeistiger Produkte der beliebte¬
sten und berühmtesten Schriftsteller Deutschlands zu liefern," erfüllte der Her¬
ausgeber auf eine ehrenvolle Weise: ob jedoch eine solche Aufgabe, die ohne alle
Tendenz, ohne irgend einen bestimmten Literatur- und Culturzweck in'6 Auge zu
fassen, die Materialien zufällig aneinanderreiht, an der Zeit ist? Ob ein Un¬
ternehmen, das mit nicht unbedeutendem Aufwand von materiellen Mitteln und
mit so tüchtiger Unterstützung literarischer Capacitäten in's Leben gesetzt wird,
nicht tiefere Spuren zu graben hätte? Dies ist eine Frage, die wir nicht zu
Gunsten dieser literarischen Erscheinung beantworten können.'


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S <h e l I i n g.

Bisher haben wir gar oft über viele unserer deutschen politischen und
diplomatischen Persönlichkeiten die besten Aufschlüsse in französischen und eng¬
lischen Büchern und Journalen suchen müssen. Jetzt scheint es, daß wir auch


niedergelegt zu werden, hat mannichfache Nebenbuhler erhalten. Die deutsche
Industrie hat tausend kleine Bijouterien erfunden, welche der galante Ehemann,
der zärtliche Liebhaber nur mit vielem Aufwande aus Paris herbeischaffen
konnte. Die deutsche Artigkeit hat nun nicht mehr nöthig, in der monotonen
Form eines Taschenbuchs „für Liebe und Freundschaft" ihre Reujahrs- und
Wcihnachtsgrüße dem zarten Geschlechte zu übersenden. Andrerseits haben die
illustrirten Bücher in Quart und Großoctav die kleinen liliputanischen Schwärme
aus ihren Niederlassungen verdrängt. So muß denn die fliegende Literatur
der kleinen Novellen, Balladen und Sonnette einen andern Bienenkorb suchen,
um ihren Honig, der leider oft allzusüß ist, zu bereiten. Die bei Meyer in
Cottbus erscheinenden „Weltgegenden" scheinen aus einem solchen Motiv her¬
vorgegangen zu sein. Der Titel ist ungeschickt gewählt und steht zu dem In¬
halt in gar keiner Beziehung. Allein es findet hier der nicht gewöhnliche Um¬
stand statt, daß der Inhalt besser als der Titel ist. Die literarische Gesell¬
schaft, die man hier trifft, ist eine gute: die meisten unserer besten Erzähler
und einige achtbare Lyriker liefern das Material. Das letzte Heft, welches
uns in die Hände gekommen, enthält werthvolle Beiträge von Wilibold Alexis
und Robert Heller, eine humoristische Epistel von Adolph Peters, Schilderun¬
gen aus München von Heinrich Scheerer, Gedickte von Dingelstedt, Friedrich
von Sattel und Richard Morning. Letzterer hat auch eine Charakteristik von
Anastasius Grün geliefert, die werthvoller wäre, wenn sie kürzer sein möchte.
Die bescheidene Aufgabe, „eine Sammlung schöngeistiger Produkte der beliebte¬
sten und berühmtesten Schriftsteller Deutschlands zu liefern," erfüllte der Her¬
ausgeber auf eine ehrenvolle Weise: ob jedoch eine solche Aufgabe, die ohne alle
Tendenz, ohne irgend einen bestimmten Literatur- und Culturzweck in'6 Auge zu
fassen, die Materialien zufällig aneinanderreiht, an der Zeit ist? Ob ein Un¬
ternehmen, das mit nicht unbedeutendem Aufwand von materiellen Mitteln und
mit so tüchtiger Unterstützung literarischer Capacitäten in's Leben gesetzt wird,
nicht tiefere Spuren zu graben hätte? Dies ist eine Frage, die wir nicht zu
Gunsten dieser literarischen Erscheinung beantworten können.'


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Bisher haben wir gar oft über viele unserer deutschen politischen und
diplomatischen Persönlichkeiten die besten Aufschlüsse in französischen und eng¬
lischen Büchern und Journalen suchen müssen. Jetzt scheint es, daß wir auch


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[0250] niedergelegt zu werden, hat mannichfache Nebenbuhler erhalten. Die deutsche Industrie hat tausend kleine Bijouterien erfunden, welche der galante Ehemann, der zärtliche Liebhaber nur mit vielem Aufwande aus Paris herbeischaffen konnte. Die deutsche Artigkeit hat nun nicht mehr nöthig, in der monotonen Form eines Taschenbuchs „für Liebe und Freundschaft" ihre Reujahrs- und Wcihnachtsgrüße dem zarten Geschlechte zu übersenden. Andrerseits haben die illustrirten Bücher in Quart und Großoctav die kleinen liliputanischen Schwärme aus ihren Niederlassungen verdrängt. So muß denn die fliegende Literatur der kleinen Novellen, Balladen und Sonnette einen andern Bienenkorb suchen, um ihren Honig, der leider oft allzusüß ist, zu bereiten. Die bei Meyer in Cottbus erscheinenden „Weltgegenden" scheinen aus einem solchen Motiv her¬ vorgegangen zu sein. Der Titel ist ungeschickt gewählt und steht zu dem In¬ halt in gar keiner Beziehung. Allein es findet hier der nicht gewöhnliche Um¬ stand statt, daß der Inhalt besser als der Titel ist. Die literarische Gesell¬ schaft, die man hier trifft, ist eine gute: die meisten unserer besten Erzähler und einige achtbare Lyriker liefern das Material. Das letzte Heft, welches uns in die Hände gekommen, enthält werthvolle Beiträge von Wilibold Alexis und Robert Heller, eine humoristische Epistel von Adolph Peters, Schilderun¬ gen aus München von Heinrich Scheerer, Gedickte von Dingelstedt, Friedrich von Sattel und Richard Morning. Letzterer hat auch eine Charakteristik von Anastasius Grün geliefert, die werthvoller wäre, wenn sie kürzer sein möchte. Die bescheidene Aufgabe, „eine Sammlung schöngeistiger Produkte der beliebte¬ sten und berühmtesten Schriftsteller Deutschlands zu liefern," erfüllte der Her¬ ausgeber auf eine ehrenvolle Weise: ob jedoch eine solche Aufgabe, die ohne alle Tendenz, ohne irgend einen bestimmten Literatur- und Culturzweck in'6 Auge zu fassen, die Materialien zufällig aneinanderreiht, an der Zeit ist? Ob ein Un¬ ternehmen, das mit nicht unbedeutendem Aufwand von materiellen Mitteln und mit so tüchtiger Unterstützung literarischer Capacitäten in's Leben gesetzt wird, nicht tiefere Spuren zu graben hätte? Dies ist eine Frage, die wir nicht zu Gunsten dieser literarischen Erscheinung beantworten können.' I' 5> S <h e l I i n g. Bisher haben wir gar oft über viele unserer deutschen politischen und diplomatischen Persönlichkeiten die besten Aufschlüsse in französischen und eng¬ lischen Büchern und Journalen suchen müssen. Jetzt scheint es, daß wir auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/250>, abgerufen am 03.05.2024.