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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Theater - Notizen.

Dramcntitel. -- Da.' letzt- König. -- schadest, Fra Diavolo und David Strauß. --
Dem. Rachel in Brüssel. -- Sir Wer" zu 8 Franc". -- Gaunerei I" I^ilipul.

Wenn man das Gedränge von neuen Stücken sieht, mit welchen der letzte
Meßkatalog vollgestopft ist, so sollte man glauben, ein neues dramatisches
Jahrhundert sei für Deutschland angebrochen, und unsre Dichter haben nicht
bloß unsre Bühne, sondern alle Theater von ganz Europa zu versehen. Und
welche Titel! Wenn unsre deutschen Regisseure nicht gar so lescfaul und zähe
wären, -- hier müßten sie anbeißen. Da ist z. B. bei Brockhaus ein Drama
erschienen: Der letzte König! Das ist ein Bissen, Ihr casselustigen Direk¬
toren, der zieht! Republikaner und Royalisten, Konstitutionelle und Absolutisten,
-- wenn Ihr ihnen den letzten König beim Lampenlichte zeigt, so müßt Ihr
Wachen vor die Thür stellen, um den Andrang zu hemmen. Wie er nur
aussehen mag, der arme Mann? fragt man unter einander. Bleich mit
sceptermüden Händen und gramgeblcichtem Gesicht oder mit neronisch funkeln¬
den Augen? Oder wirft er selbst die Krone vom Haupte und springt hinab
von seiner Höhe, um ein Gleicher zu sein mit Gleichen?

Der rheinischen Journale machen einen gewaltigen Lärm, weil die Erhe¬
best in Aachen den Fra Diavolo gesungen "und dabei mit der Lorgnette in die
Logen hineinsah." Seit wann sind denn die Rheinländer so prüde? Wäh¬
rend die Schebest in Aachen spielte, blieb David Strauß in Cöln. Hätte eS
den rheinischen Zeitungen nicht besser angestanden, wenn sie aus Rücksicht
für einen gefeierten Schriftsteller, der als Gast unter ihnen weilt, auf einige
boshafte Bemerkungen verzichtet hätten.

Die Rachel ist von London zurück, wo sie dies Mal nicht die reiche Erndte
gemacht hat, welche sie erwartete. Um so zufriedener kann sie mit Brüssel sein,
wo sie bei erhöhten Preisen spielte. In jeder Borstellung eine Einnahme von
2000 Thalern! Ein lustiger Kopf hat ausgerechnet, daß jeder Bers in den
Horaces der Rachel i>"-r Vorstellung 8 Francs eintrug, darunter findet sich
auch ein Bers, der aus einem einzigen Iielas! besteht.

Einer neuen Art Diebstahl geben die französischen Theater das Leben.
Bei außergewöhnlichen Borstellungen wird die Casse bekanntlich schon vom
frühen Morgen an belagert und die Spätkommenden kaufen Leuten, die hier¬
aus eine Industrie machen, entweder ihren Platz ab, um selbst sich dahin zu
pflanzen, oder, was noch häusiger der Fall ist, sie werfen ihnen das Geld zu,
um einen Platz für Loge oder Sperrsitz nehmen zu lassen. Dadurch ergiebt
sich nun eine Art Gaunerei, die Z" w I.ilixut genannt wird. Man wirft einem


Theater - Notizen.

Dramcntitel. — Da.' letzt- König. — schadest, Fra Diavolo und David Strauß. —
Dem. Rachel in Brüssel. — Sir Wer» zu 8 Franc». — Gaunerei I» I^ilipul.

Wenn man das Gedränge von neuen Stücken sieht, mit welchen der letzte
Meßkatalog vollgestopft ist, so sollte man glauben, ein neues dramatisches
Jahrhundert sei für Deutschland angebrochen, und unsre Dichter haben nicht
bloß unsre Bühne, sondern alle Theater von ganz Europa zu versehen. Und
welche Titel! Wenn unsre deutschen Regisseure nicht gar so lescfaul und zähe
wären, — hier müßten sie anbeißen. Da ist z. B. bei Brockhaus ein Drama
erschienen: Der letzte König! Das ist ein Bissen, Ihr casselustigen Direk¬
toren, der zieht! Republikaner und Royalisten, Konstitutionelle und Absolutisten,
— wenn Ihr ihnen den letzten König beim Lampenlichte zeigt, so müßt Ihr
Wachen vor die Thür stellen, um den Andrang zu hemmen. Wie er nur
aussehen mag, der arme Mann? fragt man unter einander. Bleich mit
sceptermüden Händen und gramgeblcichtem Gesicht oder mit neronisch funkeln¬
den Augen? Oder wirft er selbst die Krone vom Haupte und springt hinab
von seiner Höhe, um ein Gleicher zu sein mit Gleichen?

Der rheinischen Journale machen einen gewaltigen Lärm, weil die Erhe¬
best in Aachen den Fra Diavolo gesungen „und dabei mit der Lorgnette in die
Logen hineinsah." Seit wann sind denn die Rheinländer so prüde? Wäh¬
rend die Schebest in Aachen spielte, blieb David Strauß in Cöln. Hätte eS
den rheinischen Zeitungen nicht besser angestanden, wenn sie aus Rücksicht
für einen gefeierten Schriftsteller, der als Gast unter ihnen weilt, auf einige
boshafte Bemerkungen verzichtet hätten.

Die Rachel ist von London zurück, wo sie dies Mal nicht die reiche Erndte
gemacht hat, welche sie erwartete. Um so zufriedener kann sie mit Brüssel sein,
wo sie bei erhöhten Preisen spielte. In jeder Borstellung eine Einnahme von
2000 Thalern! Ein lustiger Kopf hat ausgerechnet, daß jeder Bers in den
Horaces der Rachel i>«-r Vorstellung 8 Francs eintrug, darunter findet sich
auch ein Bers, der aus einem einzigen Iielas! besteht.

Einer neuen Art Diebstahl geben die französischen Theater das Leben.
Bei außergewöhnlichen Borstellungen wird die Casse bekanntlich schon vom
frühen Morgen an belagert und die Spätkommenden kaufen Leuten, die hier¬
aus eine Industrie machen, entweder ihren Platz ab, um selbst sich dahin zu
pflanzen, oder, was noch häusiger der Fall ist, sie werfen ihnen das Geld zu,
um einen Platz für Loge oder Sperrsitz nehmen zu lassen. Dadurch ergiebt
sich nun eine Art Gaunerei, die Z» w I.ilixut genannt wird. Man wirft einem


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[0252] Theater - Notizen. Dramcntitel. — Da.' letzt- König. — schadest, Fra Diavolo und David Strauß. — Dem. Rachel in Brüssel. — Sir Wer» zu 8 Franc». — Gaunerei I» I^ilipul. Wenn man das Gedränge von neuen Stücken sieht, mit welchen der letzte Meßkatalog vollgestopft ist, so sollte man glauben, ein neues dramatisches Jahrhundert sei für Deutschland angebrochen, und unsre Dichter haben nicht bloß unsre Bühne, sondern alle Theater von ganz Europa zu versehen. Und welche Titel! Wenn unsre deutschen Regisseure nicht gar so lescfaul und zähe wären, — hier müßten sie anbeißen. Da ist z. B. bei Brockhaus ein Drama erschienen: Der letzte König! Das ist ein Bissen, Ihr casselustigen Direk¬ toren, der zieht! Republikaner und Royalisten, Konstitutionelle und Absolutisten, — wenn Ihr ihnen den letzten König beim Lampenlichte zeigt, so müßt Ihr Wachen vor die Thür stellen, um den Andrang zu hemmen. Wie er nur aussehen mag, der arme Mann? fragt man unter einander. Bleich mit sceptermüden Händen und gramgeblcichtem Gesicht oder mit neronisch funkeln¬ den Augen? Oder wirft er selbst die Krone vom Haupte und springt hinab von seiner Höhe, um ein Gleicher zu sein mit Gleichen? Der rheinischen Journale machen einen gewaltigen Lärm, weil die Erhe¬ best in Aachen den Fra Diavolo gesungen „und dabei mit der Lorgnette in die Logen hineinsah." Seit wann sind denn die Rheinländer so prüde? Wäh¬ rend die Schebest in Aachen spielte, blieb David Strauß in Cöln. Hätte eS den rheinischen Zeitungen nicht besser angestanden, wenn sie aus Rücksicht für einen gefeierten Schriftsteller, der als Gast unter ihnen weilt, auf einige boshafte Bemerkungen verzichtet hätten. Die Rachel ist von London zurück, wo sie dies Mal nicht die reiche Erndte gemacht hat, welche sie erwartete. Um so zufriedener kann sie mit Brüssel sein, wo sie bei erhöhten Preisen spielte. In jeder Borstellung eine Einnahme von 2000 Thalern! Ein lustiger Kopf hat ausgerechnet, daß jeder Bers in den Horaces der Rachel i>«-r Vorstellung 8 Francs eintrug, darunter findet sich auch ein Bers, der aus einem einzigen Iielas! besteht. Einer neuen Art Diebstahl geben die französischen Theater das Leben. Bei außergewöhnlichen Borstellungen wird die Casse bekanntlich schon vom frühen Morgen an belagert und die Spätkommenden kaufen Leuten, die hier¬ aus eine Industrie machen, entweder ihren Platz ab, um selbst sich dahin zu pflanzen, oder, was noch häusiger der Fall ist, sie werfen ihnen das Geld zu, um einen Platz für Loge oder Sperrsitz nehmen zu lassen. Dadurch ergiebt sich nun eine Art Gaunerei, die Z» w I.ilixut genannt wird. Man wirft einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/252>, abgerufen am 04.05.2024.