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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Eine Kritik des Buches zu geben, kommt uns nicht in den Sinn, weil man
nie Kritiken über Kritiken schreiben muß. Worüber wir ein Beifallsgeschrei
erheben möchten, das werden Andere verdammen, was wir tadeln würden, erregt
bei Anderen vielleicht Enthusiasmus. Wir bewahren uns unsere Kritik für den
Dramatiker Gutzkow, von dessen gesammelten Dramen der erste Band gleich¬
falls vor uns liegt.




' ', ' . 7 2.
Die Prejwcrhciltuissc in Mcklcnbm'g - Schwerin.

Meklenburg hat einen Schritt rückwärts gethan. Es ist Schade, daß sich
sein bisher schwach geäußertes Streben nach Schritthalten mit, seinen Nach¬
barstaaten so wenig bewähren kann. In dem Zustande eines scheinbaren äu¬
ßeren Weiterstrebens und materieller Cultivirung praktischer Verhältnisse bleibt
seine interne Schwungfeder matt und kraftlos, wie sie immer gewesen. Ge¬
wöhnliche Interessen, die sich meist nur im Bereich' der Oekonomie äußern,
sind allein fähig, den Meklenburger wenigstens zu begeistern. Aber was ist
das für ein Geist? der aus der niedern Zone der Habsucht und Gcwinnes-
wuth; der Krämergeist, der, angekettet an den unbehauenen Pfahl seiner Un-
gebildetheit, ohne Streben nach äußerlicher Gewandtheit und einem glänzen¬
deren Standpunkt, um Pfennige seinen Kram verhandelt, oder sich auf den
Ladentisch wirst und, mit beiden Fäusten im Gesicht, in allen Ecken und Kanten
seiner umgekehrten Speculationskammcr nachkramt, wo er einen Lappen finde,
den er für einen Seidenflickcn verhandeln könnte.

An dieser compakten Spekulationsmateric laborirt nun leider, angesteckt,
auch die Blüthe der ganzen modernen Welt. Interesse am Reellen schiebt
den immer weiter poussirenden Trieb einer Charaktcrvevedclung, oder wenigstens
Verfeinerung der Gewerbsreagcnzien mehr und mehr in den Hintergrund einer
vermeintlich zu großen Idealität; nur was da ist, in seiner Allgemeinsaßlich-
keit, ist werthvoll; die Idee, vor ihrer Verkörperung schon manchmal die
Mutter des Glücks, ist verketzert. -- Was soll nun aber in diesem zierdchas-
scnden Austand unsrer künstigen Welt die Literatur, doch ihre Zierde, für einen
Standpunkt gewinnen? -- Sie trägt Fesseln und blüht; man peitscht sie,
und sie legt sich wie ein treuer Hund nieder zu den Füßen des schlagenden.
Die Literatur ist verkannt und eingesperrt, leider. Sie strebt nach Vervoll¬
kommnung, nach der möglichsten Unübcrtrefflichkeit, trotz dem, daß man sie


Eine Kritik des Buches zu geben, kommt uns nicht in den Sinn, weil man
nie Kritiken über Kritiken schreiben muß. Worüber wir ein Beifallsgeschrei
erheben möchten, das werden Andere verdammen, was wir tadeln würden, erregt
bei Anderen vielleicht Enthusiasmus. Wir bewahren uns unsere Kritik für den
Dramatiker Gutzkow, von dessen gesammelten Dramen der erste Band gleich¬
falls vor uns liegt.




' ', ' . 7 2.
Die Prejwcrhciltuissc in Mcklcnbm'g - Schwerin.

Meklenburg hat einen Schritt rückwärts gethan. Es ist Schade, daß sich
sein bisher schwach geäußertes Streben nach Schritthalten mit, seinen Nach¬
barstaaten so wenig bewähren kann. In dem Zustande eines scheinbaren äu¬
ßeren Weiterstrebens und materieller Cultivirung praktischer Verhältnisse bleibt
seine interne Schwungfeder matt und kraftlos, wie sie immer gewesen. Ge¬
wöhnliche Interessen, die sich meist nur im Bereich' der Oekonomie äußern,
sind allein fähig, den Meklenburger wenigstens zu begeistern. Aber was ist
das für ein Geist? der aus der niedern Zone der Habsucht und Gcwinnes-
wuth; der Krämergeist, der, angekettet an den unbehauenen Pfahl seiner Un-
gebildetheit, ohne Streben nach äußerlicher Gewandtheit und einem glänzen¬
deren Standpunkt, um Pfennige seinen Kram verhandelt, oder sich auf den
Ladentisch wirst und, mit beiden Fäusten im Gesicht, in allen Ecken und Kanten
seiner umgekehrten Speculationskammcr nachkramt, wo er einen Lappen finde,
den er für einen Seidenflickcn verhandeln könnte.

An dieser compakten Spekulationsmateric laborirt nun leider, angesteckt,
auch die Blüthe der ganzen modernen Welt. Interesse am Reellen schiebt
den immer weiter poussirenden Trieb einer Charaktcrvevedclung, oder wenigstens
Verfeinerung der Gewerbsreagcnzien mehr und mehr in den Hintergrund einer
vermeintlich zu großen Idealität; nur was da ist, in seiner Allgemeinsaßlich-
keit, ist werthvoll; die Idee, vor ihrer Verkörperung schon manchmal die
Mutter des Glücks, ist verketzert. — Was soll nun aber in diesem zierdchas-
scnden Austand unsrer künstigen Welt die Literatur, doch ihre Zierde, für einen
Standpunkt gewinnen? — Sie trägt Fesseln und blüht; man peitscht sie,
und sie legt sich wie ein treuer Hund nieder zu den Füßen des schlagenden.
Die Literatur ist verkannt und eingesperrt, leider. Sie strebt nach Vervoll¬
kommnung, nach der möglichsten Unübcrtrefflichkeit, trotz dem, daß man sie


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[0356] Eine Kritik des Buches zu geben, kommt uns nicht in den Sinn, weil man nie Kritiken über Kritiken schreiben muß. Worüber wir ein Beifallsgeschrei erheben möchten, das werden Andere verdammen, was wir tadeln würden, erregt bei Anderen vielleicht Enthusiasmus. Wir bewahren uns unsere Kritik für den Dramatiker Gutzkow, von dessen gesammelten Dramen der erste Band gleich¬ falls vor uns liegt. ' ', ' . 7 2. Die Prejwcrhciltuissc in Mcklcnbm'g - Schwerin. Meklenburg hat einen Schritt rückwärts gethan. Es ist Schade, daß sich sein bisher schwach geäußertes Streben nach Schritthalten mit, seinen Nach¬ barstaaten so wenig bewähren kann. In dem Zustande eines scheinbaren äu¬ ßeren Weiterstrebens und materieller Cultivirung praktischer Verhältnisse bleibt seine interne Schwungfeder matt und kraftlos, wie sie immer gewesen. Ge¬ wöhnliche Interessen, die sich meist nur im Bereich' der Oekonomie äußern, sind allein fähig, den Meklenburger wenigstens zu begeistern. Aber was ist das für ein Geist? der aus der niedern Zone der Habsucht und Gcwinnes- wuth; der Krämergeist, der, angekettet an den unbehauenen Pfahl seiner Un- gebildetheit, ohne Streben nach äußerlicher Gewandtheit und einem glänzen¬ deren Standpunkt, um Pfennige seinen Kram verhandelt, oder sich auf den Ladentisch wirst und, mit beiden Fäusten im Gesicht, in allen Ecken und Kanten seiner umgekehrten Speculationskammcr nachkramt, wo er einen Lappen finde, den er für einen Seidenflickcn verhandeln könnte. An dieser compakten Spekulationsmateric laborirt nun leider, angesteckt, auch die Blüthe der ganzen modernen Welt. Interesse am Reellen schiebt den immer weiter poussirenden Trieb einer Charaktcrvevedclung, oder wenigstens Verfeinerung der Gewerbsreagcnzien mehr und mehr in den Hintergrund einer vermeintlich zu großen Idealität; nur was da ist, in seiner Allgemeinsaßlich- keit, ist werthvoll; die Idee, vor ihrer Verkörperung schon manchmal die Mutter des Glücks, ist verketzert. — Was soll nun aber in diesem zierdchas- scnden Austand unsrer künstigen Welt die Literatur, doch ihre Zierde, für einen Standpunkt gewinnen? — Sie trägt Fesseln und blüht; man peitscht sie, und sie legt sich wie ein treuer Hund nieder zu den Füßen des schlagenden. Die Literatur ist verkannt und eingesperrt, leider. Sie strebt nach Vervoll¬ kommnung, nach der möglichsten Unübcrtrefflichkeit, trotz dem, daß man sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/356>, abgerufen am 03.05.2024.