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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Ein englisch kr Censor.

Ich weiß nicht, ob ein englisches Werk, betitelt Mvmoirs ot eilt- Oulmuu
^-unilz- Iix K. ". I'e-tKv, in Deutschland bekannt ist; es verdiente es aber
jedenfalls zu sein, schon um des folgenden köstlichen Zuges halber, den wir
ihm entlehnen. George Colmar, ein jüngst verstorbener Verfasser von mehr
als zwanzig unmoralischen, aber unterhaltenden Possen, ein Mann, der seine
Jugend in Ausschweifungen aller Art verbracht hatte, war in seinen alten
Tagen Bühnencensor geworden und zeigte sich nun eben so streng gegen Andere
als er gegen sich selbst nachsichtig gewesen. Seine Strenge aber hatte durch¬
aus keine Beimischung von Heuchelei. Er trieb sein Gewerbe, wie er sich aus¬
drückte, ohne es zu achten und ohne daran zu glauben. Da die Functionen
eines Bühncncensors (exmuiner of xls^s) in England dem damit Beauftragten
kein festes Gehalt einbringen, sondern seine Einkünfte nach Anzahl der ccnsirten
Stücke steigen oder fallen, so hatte sich Colmar mit außerordentlicher Hartnäckig¬
keit darauf verlegt, auch nicht ein Manuscript, mochte es auch nur ein Liedchen
oder eine Strophe, oder eine kleine Aenderung in einem Gespräche sein, vor¬
beigehen zu lassen, ohne daß seine Feder daran thätig war und ihn zur
Erhebung seiner Gebühren berechtigte. Mit der einen Hand schrieb er unzüch¬
tige Lieder, während die andre, nur um zu streichen wie Geld einzustreichen,
die unschuldigsten Scherze der dramatischen Dichter aufstrich,: so forderte er
dann von dem Einen einen Shilling für eine Strophe, der er eine neue Form
gegeben, von dem Andern eine Guinee für die Unstttlichkeit einer Situation,
die er verbessert hatte, während er selbst, unerschütterlich in diesem doppelten
Benehmen, komischer geworden war, als alle Personen seiner eigenen Stücke.
Man muß es in dem englischen Werke selbst nachlesen, mit welcher leichten
und oberflächlichen Unverschämtheit dieser fröhliche und sorglose Beamte an
ein und demselben Tage puritanisch strenger Sittenrichter war, um seine Ccn-
sorgebührcn zu verdienen und ein Cyniker, um sein Honorar als Dichter zu
erhalten. So strich er das Wort Engel unter dem Vorwande, die Engel
seien in der Bibel geheiligt worden und man könnte daher einem Theatcrlicb-
habcr nicht erlauben, seine Geliebte so zu nennen. Er wollte nicht leiden, daß
man aus der Bühne "o Himmel!" ausrufe, weil dies, wie er sagte, eine Pro-
fanirung sei. Uebrigens war er unverschämt, tollkühn, ein Schmeichler, dem
es weder an Geistesgegenwart, noch an Gewandtheit fehlte, lauter große
Eigenschaften für das praktische Leben und bei ihm ein Ersatz für alle Tugen¬
den, auf die er keinen Anspruch machte.




Ein englisch kr Censor.

Ich weiß nicht, ob ein englisches Werk, betitelt Mvmoirs ot eilt- Oulmuu
^-unilz- Iix K. ». I'e-tKv, in Deutschland bekannt ist; es verdiente es aber
jedenfalls zu sein, schon um des folgenden köstlichen Zuges halber, den wir
ihm entlehnen. George Colmar, ein jüngst verstorbener Verfasser von mehr
als zwanzig unmoralischen, aber unterhaltenden Possen, ein Mann, der seine
Jugend in Ausschweifungen aller Art verbracht hatte, war in seinen alten
Tagen Bühnencensor geworden und zeigte sich nun eben so streng gegen Andere
als er gegen sich selbst nachsichtig gewesen. Seine Strenge aber hatte durch¬
aus keine Beimischung von Heuchelei. Er trieb sein Gewerbe, wie er sich aus¬
drückte, ohne es zu achten und ohne daran zu glauben. Da die Functionen
eines Bühncncensors (exmuiner of xls^s) in England dem damit Beauftragten
kein festes Gehalt einbringen, sondern seine Einkünfte nach Anzahl der ccnsirten
Stücke steigen oder fallen, so hatte sich Colmar mit außerordentlicher Hartnäckig¬
keit darauf verlegt, auch nicht ein Manuscript, mochte es auch nur ein Liedchen
oder eine Strophe, oder eine kleine Aenderung in einem Gespräche sein, vor¬
beigehen zu lassen, ohne daß seine Feder daran thätig war und ihn zur
Erhebung seiner Gebühren berechtigte. Mit der einen Hand schrieb er unzüch¬
tige Lieder, während die andre, nur um zu streichen wie Geld einzustreichen,
die unschuldigsten Scherze der dramatischen Dichter aufstrich,: so forderte er
dann von dem Einen einen Shilling für eine Strophe, der er eine neue Form
gegeben, von dem Andern eine Guinee für die Unstttlichkeit einer Situation,
die er verbessert hatte, während er selbst, unerschütterlich in diesem doppelten
Benehmen, komischer geworden war, als alle Personen seiner eigenen Stücke.
Man muß es in dem englischen Werke selbst nachlesen, mit welcher leichten
und oberflächlichen Unverschämtheit dieser fröhliche und sorglose Beamte an
ein und demselben Tage puritanisch strenger Sittenrichter war, um seine Ccn-
sorgebührcn zu verdienen und ein Cyniker, um sein Honorar als Dichter zu
erhalten. So strich er das Wort Engel unter dem Vorwande, die Engel
seien in der Bibel geheiligt worden und man könnte daher einem Theatcrlicb-
habcr nicht erlauben, seine Geliebte so zu nennen. Er wollte nicht leiden, daß
man aus der Bühne „o Himmel!" ausrufe, weil dies, wie er sagte, eine Pro-
fanirung sei. Uebrigens war er unverschämt, tollkühn, ein Schmeichler, dem
es weder an Geistesgegenwart, noch an Gewandtheit fehlte, lauter große
Eigenschaften für das praktische Leben und bei ihm ein Ersatz für alle Tugen¬
den, auf die er keinen Anspruch machte.




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[0398] Ein englisch kr Censor. Ich weiß nicht, ob ein englisches Werk, betitelt Mvmoirs ot eilt- Oulmuu ^-unilz- Iix K. ». I'e-tKv, in Deutschland bekannt ist; es verdiente es aber jedenfalls zu sein, schon um des folgenden köstlichen Zuges halber, den wir ihm entlehnen. George Colmar, ein jüngst verstorbener Verfasser von mehr als zwanzig unmoralischen, aber unterhaltenden Possen, ein Mann, der seine Jugend in Ausschweifungen aller Art verbracht hatte, war in seinen alten Tagen Bühnencensor geworden und zeigte sich nun eben so streng gegen Andere als er gegen sich selbst nachsichtig gewesen. Seine Strenge aber hatte durch¬ aus keine Beimischung von Heuchelei. Er trieb sein Gewerbe, wie er sich aus¬ drückte, ohne es zu achten und ohne daran zu glauben. Da die Functionen eines Bühncncensors (exmuiner of xls^s) in England dem damit Beauftragten kein festes Gehalt einbringen, sondern seine Einkünfte nach Anzahl der ccnsirten Stücke steigen oder fallen, so hatte sich Colmar mit außerordentlicher Hartnäckig¬ keit darauf verlegt, auch nicht ein Manuscript, mochte es auch nur ein Liedchen oder eine Strophe, oder eine kleine Aenderung in einem Gespräche sein, vor¬ beigehen zu lassen, ohne daß seine Feder daran thätig war und ihn zur Erhebung seiner Gebühren berechtigte. Mit der einen Hand schrieb er unzüch¬ tige Lieder, während die andre, nur um zu streichen wie Geld einzustreichen, die unschuldigsten Scherze der dramatischen Dichter aufstrich,: so forderte er dann von dem Einen einen Shilling für eine Strophe, der er eine neue Form gegeben, von dem Andern eine Guinee für die Unstttlichkeit einer Situation, die er verbessert hatte, während er selbst, unerschütterlich in diesem doppelten Benehmen, komischer geworden war, als alle Personen seiner eigenen Stücke. Man muß es in dem englischen Werke selbst nachlesen, mit welcher leichten und oberflächlichen Unverschämtheit dieser fröhliche und sorglose Beamte an ein und demselben Tage puritanisch strenger Sittenrichter war, um seine Ccn- sorgebührcn zu verdienen und ein Cyniker, um sein Honorar als Dichter zu erhalten. So strich er das Wort Engel unter dem Vorwande, die Engel seien in der Bibel geheiligt worden und man könnte daher einem Theatcrlicb- habcr nicht erlauben, seine Geliebte so zu nennen. Er wollte nicht leiden, daß man aus der Bühne „o Himmel!" ausrufe, weil dies, wie er sagte, eine Pro- fanirung sei. Uebrigens war er unverschämt, tollkühn, ein Schmeichler, dem es weder an Geistesgegenwart, noch an Gewandtheit fehlte, lauter große Eigenschaften für das praktische Leben und bei ihm ein Ersatz für alle Tugen¬ den, auf die er keinen Anspruch machte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/398>, abgerufen am 03.05.2024.