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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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det, welcher der Stolz des Jahrhunderts wurde und als Maßstab gelten wird,
wenn die Werke der künstigen Zeiten werden gemessen werden. Wie Janus
schaut er gleich klar in zwei Welten, in die antike und christliche, beide, antike
Ruhe und Kraft, christliche Sehnsucht und Milde, feiern in seinen Werken
die geheimnißreiche Hochzeit, und noch späte Tage werden von den Riesenkin¬
dern sagen und singen, die aus dieser Ehe entsprossen sind.

Nicht leicht kann es ungeschehen bleiben, daß man in Italien in den
Streit verwickelt wird, wer größer, Canova oder Thorwaldsen? Er ist
dort eben so stationär geworden wie in Deutschland der Vergleich zwischen
Schiller und Goethe; während aber hier die Nationalität sich beider He¬
roen erfreuen darf, tritt sie dort in gewaltigen Widerspruch. Der Italiener
ist eifersüchtig auf den Ruhm seines Baterlandes und den seiner Künstler, und
so geschieht es, daß er nur nach langem Streite innerlich knirschend zugibt:
Thorwaldsen ist der größte Meister der Neueren im Basrelif, für Ca¬
nova behalt er die größere Meisterschaft in freistehenden Gruppen vor- Wohl
hat der Letztere mehr als seine Vorgänger, z. B. Bernini, die Antike
verstanden, reiner und edler nachgeahmt; frei geworden ist er nie, am meisten
genähert hat sich ihr aber Thorwaldsen, und da, wo er christliche Gegen¬
stände darstellt, und so den Vergleich mit den übrig gebliebenen Gestalten des
Alterthums ausschließt, steht er als außerordentlicher Schöpfer eben so hoch
durch Kraft, Einfachheit und Schönheit der Form da, wie die besseren Mei¬
ster der Griechen. "Christus und die Apostel" in Kopenhagen aufgestellt, in
Thorwaldsens Atelier zu Rom im Gipsabgüsse, werden ihn in Jahrtausenden
eben so nennen machen, wie den Phidias sein "Zeus;" er wird den Kunst¬
gipfel unseres Jahrhunderts darstellen. Wie durch den Namen, mahnt Thor¬
waldsen auch durch Gestalt und Vaterland, und Kraft der Kunst an den ham-
mcrschwingenden Thor der nordischen Götterwelt, er erscheint gewaltig in
Erscheinung und Kunst; Canova weicher, lieblich und selbst in seinen He¬
roengestalten, z. B. seinem Theseus in Wien, nicht stämmig und kräftig ge¬
nug. Canova- Thorwaldsen-Rossini- Mozart.




Die königliche Bibliothek in Paris.

Die große königliche Bibliothek in Paris, dieses Institut, das mehr als
Acht mal hundert Tausend Bänden zu Katakomben dient, in denen die Werke
so vieler durch Geist, Gefühl und Sprachgewandtheit ausgezeichneter Schrift¬
steller, aber auch keiner geringen Anzahl von Dummköpfe", ihren Todeöschlum-


det, welcher der Stolz des Jahrhunderts wurde und als Maßstab gelten wird,
wenn die Werke der künstigen Zeiten werden gemessen werden. Wie Janus
schaut er gleich klar in zwei Welten, in die antike und christliche, beide, antike
Ruhe und Kraft, christliche Sehnsucht und Milde, feiern in seinen Werken
die geheimnißreiche Hochzeit, und noch späte Tage werden von den Riesenkin¬
dern sagen und singen, die aus dieser Ehe entsprossen sind.

Nicht leicht kann es ungeschehen bleiben, daß man in Italien in den
Streit verwickelt wird, wer größer, Canova oder Thorwaldsen? Er ist
dort eben so stationär geworden wie in Deutschland der Vergleich zwischen
Schiller und Goethe; während aber hier die Nationalität sich beider He¬
roen erfreuen darf, tritt sie dort in gewaltigen Widerspruch. Der Italiener
ist eifersüchtig auf den Ruhm seines Baterlandes und den seiner Künstler, und
so geschieht es, daß er nur nach langem Streite innerlich knirschend zugibt:
Thorwaldsen ist der größte Meister der Neueren im Basrelif, für Ca¬
nova behalt er die größere Meisterschaft in freistehenden Gruppen vor- Wohl
hat der Letztere mehr als seine Vorgänger, z. B. Bernini, die Antike
verstanden, reiner und edler nachgeahmt; frei geworden ist er nie, am meisten
genähert hat sich ihr aber Thorwaldsen, und da, wo er christliche Gegen¬
stände darstellt, und so den Vergleich mit den übrig gebliebenen Gestalten des
Alterthums ausschließt, steht er als außerordentlicher Schöpfer eben so hoch
durch Kraft, Einfachheit und Schönheit der Form da, wie die besseren Mei¬
ster der Griechen. „Christus und die Apostel" in Kopenhagen aufgestellt, in
Thorwaldsens Atelier zu Rom im Gipsabgüsse, werden ihn in Jahrtausenden
eben so nennen machen, wie den Phidias sein „Zeus;" er wird den Kunst¬
gipfel unseres Jahrhunderts darstellen. Wie durch den Namen, mahnt Thor¬
waldsen auch durch Gestalt und Vaterland, und Kraft der Kunst an den ham-
mcrschwingenden Thor der nordischen Götterwelt, er erscheint gewaltig in
Erscheinung und Kunst; Canova weicher, lieblich und selbst in seinen He¬
roengestalten, z. B. seinem Theseus in Wien, nicht stämmig und kräftig ge¬
nug. Canova- Thorwaldsen-Rossini- Mozart.




Die königliche Bibliothek in Paris.

Die große königliche Bibliothek in Paris, dieses Institut, das mehr als
Acht mal hundert Tausend Bänden zu Katakomben dient, in denen die Werke
so vieler durch Geist, Gefühl und Sprachgewandtheit ausgezeichneter Schrift¬
steller, aber auch keiner geringen Anzahl von Dummköpfe», ihren Todeöschlum-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/539>, abgerufen am 04.05.2024.