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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Uebrigens macht die deutsche Musik hier mit jedem Tage größere Eroberungen.
So eben ist viel die Rede von einem historischen Concerte, welches in den letzten
Tagen des Monats gegeben wird, und worin nebst vier PIccen von deutschen Mei¬
stern auch Mendelsohns Paulus zum ersten Male hier gegeben werden soll. In
dem Salon der Gräfin Merlin, in welchem sonst fast ausschließlich nur italieni¬
sche Musik gemacht wurde, Hat in neuerer Zeit auch die deutsche Musik däs Bür¬
gerrecht erhalten. Die Gräfin Merlin hat aus Stuttgart, wo sie vor 2 Jahren
den Winter zugebracht, einen gewaltigen Enthusiasmus für deutsche Lieder mitge¬
bracht, und da diese Dame in musikalischer Hinsicht ein/ der tonangebenden Auto¬
ritäten von Paris ist, so wirkt ihr Beispiel erfolgreich auf die Gesellschaft. Ich
habe die Gräfin Merlin ein Lied von Lachner singen hören, und ich gestehe Ihnen
frei: Diese ganz abgelebte Frau mit ihren falschen Zähnen, falschen Haaren, ge¬
schminkten Wangen und sonstigen ErobcrungSmittcln gleicher Art, hat durch den
wunderbaren Klang ihrer unverwüstlich frischen Stimme und durch den wilden,
Schmerz ihres Vertrags, der das innerste Mark der Seele berührt, einen Eindruck
auf mich gemacht, dessen kein,junges Mädchen so leicht sich rühmen könnte. Die
Tochter der Gräfin Merlin, ein hübsches achtzehnjähriges Weibchen, hat gleichfalls
eine allerliebste Stimme. Diese beiden Damen, an welche sich noch einige andere
Dilettanten (die Montenegro, Prinz Velgiojoso)! und fast regelmäßig die beiden
Lablache, Vater und Sohn, reihen, bilden ein musikalisches Eomitü, iii welchem
man sicherest, bessere Musik zu hören, als an allen öffentlichen Orten, wo die be¬
rühmtesten Meister in Mitte Subalterner Talente sich hören lassen.


- Philipp P * ".


2.
Briefe aus Wien.

Das Buch des Herrn von Hormayer. -- Metrische Productionen. -- Die Niederungen
im Font. -- Die Lustspieldichter. -- Die Regisseure und dus Theater. ^-Fürst Estahazy.

Seit langer Zeit hat kein Buch so großes Aufsehen hier erregt, als die "Er¬
innerungen aus dem Befreiungskriege--, welche in Jena beiFromann er¬
schienen sind. Das Buch ist zwar schon mehre Monate alt, und hat in den Krei¬
sen der Diplomatie längst von Hand zu Hand circulirt; indessen wissen Sie ja:
Oesterreich verhält sich zu Deutschland, wie der Donner zum Miß; nachdem dort
der Strahl lange vorübergezuckt ist, kömmt hier erst das Geprassel hinter drein
Das Buch ist offenbar in boshafter Absicht publicirt, und wer da weiß, unter wel¬
chen Verhältnissen Herr von Hormaver (denn kein Anderer als diefer ist der
Verfasser) aus Oesterreich geschieden, der sieht den Zweck leicht durch; der Verfasser


Uebrigens macht die deutsche Musik hier mit jedem Tage größere Eroberungen.
So eben ist viel die Rede von einem historischen Concerte, welches in den letzten
Tagen des Monats gegeben wird, und worin nebst vier PIccen von deutschen Mei¬
stern auch Mendelsohns Paulus zum ersten Male hier gegeben werden soll. In
dem Salon der Gräfin Merlin, in welchem sonst fast ausschließlich nur italieni¬
sche Musik gemacht wurde, Hat in neuerer Zeit auch die deutsche Musik däs Bür¬
gerrecht erhalten. Die Gräfin Merlin hat aus Stuttgart, wo sie vor 2 Jahren
den Winter zugebracht, einen gewaltigen Enthusiasmus für deutsche Lieder mitge¬
bracht, und da diese Dame in musikalischer Hinsicht ein/ der tonangebenden Auto¬
ritäten von Paris ist, so wirkt ihr Beispiel erfolgreich auf die Gesellschaft. Ich
habe die Gräfin Merlin ein Lied von Lachner singen hören, und ich gestehe Ihnen
frei: Diese ganz abgelebte Frau mit ihren falschen Zähnen, falschen Haaren, ge¬
schminkten Wangen und sonstigen ErobcrungSmittcln gleicher Art, hat durch den
wunderbaren Klang ihrer unverwüstlich frischen Stimme und durch den wilden,
Schmerz ihres Vertrags, der das innerste Mark der Seele berührt, einen Eindruck
auf mich gemacht, dessen kein,junges Mädchen so leicht sich rühmen könnte. Die
Tochter der Gräfin Merlin, ein hübsches achtzehnjähriges Weibchen, hat gleichfalls
eine allerliebste Stimme. Diese beiden Damen, an welche sich noch einige andere
Dilettanten (die Montenegro, Prinz Velgiojoso)! und fast regelmäßig die beiden
Lablache, Vater und Sohn, reihen, bilden ein musikalisches Eomitü, iii welchem
man sicherest, bessere Musik zu hören, als an allen öffentlichen Orten, wo die be¬
rühmtesten Meister in Mitte Subalterner Talente sich hören lassen.


- Philipp P * ».


2.
Briefe aus Wien.

Das Buch des Herrn von Hormayer. — Metrische Productionen. — Die Niederungen
im Font. — Die Lustspieldichter. — Die Regisseure und dus Theater. ^-Fürst Estahazy.

Seit langer Zeit hat kein Buch so großes Aufsehen hier erregt, als die »Er¬
innerungen aus dem Befreiungskriege--, welche in Jena beiFromann er¬
schienen sind. Das Buch ist zwar schon mehre Monate alt, und hat in den Krei¬
sen der Diplomatie längst von Hand zu Hand circulirt; indessen wissen Sie ja:
Oesterreich verhält sich zu Deutschland, wie der Donner zum Miß; nachdem dort
der Strahl lange vorübergezuckt ist, kömmt hier erst das Geprassel hinter drein
Das Buch ist offenbar in boshafter Absicht publicirt, und wer da weiß, unter wel¬
chen Verhältnissen Herr von Hormaver (denn kein Anderer als diefer ist der
Verfasser) aus Oesterreich geschieden, der sieht den Zweck leicht durch; der Verfasser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/324>, abgerufen am 04.05.2024.