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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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ZeiSler schnell, "es fehlt just noch/eine Person; steigend auf, so fahre ich gleich
fort." Man läßt sich verführen und steigt ein ; aber der ZeiSler fährt dennoch nicht
fort: ein zweiter Vorübergehender wird auf ähnliche Art angerufen. ,-Aber es ist
ja kein Platz mehr," schreit der Erste dein Führer zu. "Wird schon Platz sein,"
antwortet einer der Reisegefährten, indem er lachend absteigt. Die ganze Gesell¬
schaft, die da sitzt, besteht nämlich aus der Sippschaft des ZciSlcrS; sie hat schein¬
bar den Platz eingenommen, damit die Vorübergehenden glauben mögen, der Wa¬
gen sei schon bis auf den letzten Mann voll. Wie nun ein Fremder sich täuschen
läßt, seinen Pürtz bezahlt und aufsteigt, so steigt hinten immer verstohlen Einer
herunter, und der der Letzte zu sein glaubt, ist vielleicht der Erste gewesen, und
muß nun da so lange in der Sonne sitzen und braten, bis der Wagen seine volle
Ladung hat. Wird man ungeduldig, so heißt es immer: "Jetzt, Euer Gnaden,
kommt wirklich die letzte Person;" und man läßt sich wieder täuschen, denn man
weiß ja nicht, wer von den Nrbenmeuschcn ein wirklicher oder ein scheinbarer Pas¬
sagier ist. ..."

Wenn derlei Scenen Ihre Leser amüsiren, so will ich Ihnen Hunderte erzäh¬
len! Der Volkswitz ist hier nicht so raffuiirt wie >n Paris, aber gesunder und
vor Allein gutmüthiger -- selbst wenn er zu Gaunereien gebraucht wird.




F> ScevaiK in Pra>i.

Ueber ScrvaiS, den belgischen Violoncellisten, spricht sich Tvmasche?, ei¬
ner der gelehrtesten Musiker und Componisten Deutschlands, in der Zeitschrift "Ost
und West" in folgender Weise aus".

Der ausgezeichnete, und unserm Prag noch wohlbekannte Virtuose auf dein
Violoncell, Herr Merk, hatte mich vor Kurzem auf Gervais in einem Schrei¬
ben aufmerksam gemacht, in welchem er ihn für den König aller Violoncel¬
listen erklärte. -- Diese neidlose, echt künstlerische Anerkennung lehrte mich in
Merk nicht allein den wahren Künstler, sondern auch den Biedermann achten; und
in der von ScrvaiS am 2i>. April im PlattciSsaalc gegebenen Akademie erkannte
ich Merk'S richtigen Blick, und fand sein kühn scheinendes Urtheil bestätigt. Auch
ich glaube, daß, wenn Violoncellisten, den Schützen gleich, sich einen König wähl¬
ten, die Wahl auf keinen ander" als auf ScrvaiS fallen würde. Denn man höre
nur, ohne vergleichen zu wollen, auf den reinen klangvollen Ton des Instruments,
der unter ScrvaiS vollendet meisterhafter Bogenführung den Saiten entschwebt,
und auf die stets richtige, 'von-dramatischem Feuer belebte Deklamation, mit der
die Nüancirung des Fortissimo bis zum leisesten Piano jedesmal übereinstimmt,


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ZeiSler schnell, »es fehlt just noch/eine Person; steigend auf, so fahre ich gleich
fort." Man läßt sich verführen und steigt ein ; aber der ZeiSler fährt dennoch nicht
fort: ein zweiter Vorübergehender wird auf ähnliche Art angerufen. ,-Aber es ist
ja kein Platz mehr,» schreit der Erste dein Führer zu. »Wird schon Platz sein,"
antwortet einer der Reisegefährten, indem er lachend absteigt. Die ganze Gesell¬
schaft, die da sitzt, besteht nämlich aus der Sippschaft des ZciSlcrS; sie hat schein¬
bar den Platz eingenommen, damit die Vorübergehenden glauben mögen, der Wa¬
gen sei schon bis auf den letzten Mann voll. Wie nun ein Fremder sich täuschen
läßt, seinen Pürtz bezahlt und aufsteigt, so steigt hinten immer verstohlen Einer
herunter, und der der Letzte zu sein glaubt, ist vielleicht der Erste gewesen, und
muß nun da so lange in der Sonne sitzen und braten, bis der Wagen seine volle
Ladung hat. Wird man ungeduldig, so heißt es immer: «Jetzt, Euer Gnaden,
kommt wirklich die letzte Person;" und man läßt sich wieder täuschen, denn man
weiß ja nicht, wer von den Nrbenmeuschcn ein wirklicher oder ein scheinbarer Pas¬
sagier ist. ..."

Wenn derlei Scenen Ihre Leser amüsiren, so will ich Ihnen Hunderte erzäh¬
len! Der Volkswitz ist hier nicht so raffuiirt wie >n Paris, aber gesunder und
vor Allein gutmüthiger — selbst wenn er zu Gaunereien gebraucht wird.




F> ScevaiK in Pra>i.

Ueber ScrvaiS, den belgischen Violoncellisten, spricht sich Tvmasche?, ei¬
ner der gelehrtesten Musiker und Componisten Deutschlands, in der Zeitschrift »Ost
und West" in folgender Weise aus".

Der ausgezeichnete, und unserm Prag noch wohlbekannte Virtuose auf dein
Violoncell, Herr Merk, hatte mich vor Kurzem auf Gervais in einem Schrei¬
ben aufmerksam gemacht, in welchem er ihn für den König aller Violoncel¬
listen erklärte. — Diese neidlose, echt künstlerische Anerkennung lehrte mich in
Merk nicht allein den wahren Künstler, sondern auch den Biedermann achten; und
in der von ScrvaiS am 2i>. April im PlattciSsaalc gegebenen Akademie erkannte
ich Merk'S richtigen Blick, und fand sein kühn scheinendes Urtheil bestätigt. Auch
ich glaube, daß, wenn Violoncellisten, den Schützen gleich, sich einen König wähl¬
ten, die Wahl auf keinen ander» als auf ScrvaiS fallen würde. Denn man höre
nur, ohne vergleichen zu wollen, auf den reinen klangvollen Ton des Instruments,
der unter ScrvaiS vollendet meisterhafter Bogenführung den Saiten entschwebt,
und auf die stets richtige, 'von-dramatischem Feuer belebte Deklamation, mit der
die Nüancirung des Fortissimo bis zum leisesten Piano jedesmal übereinstimmt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/607>, abgerufen am 04.05.2024.