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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Theodor Rosen,co über Deutschland.



Die deutschen Publizisten gleichen nicht selten jenem Bauernjun-
gen in der Fabel, der einen Topf Milch auf den Markt bringt, und
in Gedanken aufrechnet, wie er für den Erlöß sich eine Gans, und
von dem Nutzen der Gans ein Lamm, und von dem Erlöst des Lam¬
mes ein Schaf, später eine Kuh, noch später ein Feld, und endlich
Weib und Kinder erhalten werde; mittlerweile vergißt er auf den
Weg zu sehen, und stolpert, und der Milchtopf mit aller Zukunft
liegt auf dem Boden in Scherben. Seitdem die deutsche Presse aus
der jahrelangen Noch sich ein wenig erholt, Und ihreil Krug mit et¬
was Milch gefüllt hat/ macht sie Pläne und Luftschlösser, und ver¬
gißt den Weg zu ihren Füßen. Die deutsche Presse hat viel Enthu¬
siasmus, aber wenig Praris, und die Stimmen , die in den deutschen
Journalistenwald hineinhallen, sind so verworren, daß man seine Be¬
sinnung darüber verlieren könnte. Die deutsche Presse, die noch sich
selbst nicht von der Zwingherrschaft der Censur erobert hat, denkt schon
daran, das Elsaß von den Franzosen zurückzuverlangen, mit deut¬
schen Flotten und Nationalflaggen die Meere zu besäen, und nament¬
lich die deutsche Philosophie als die alleinige Retterin aller National-'
schaden der ganzen Welt, zu'proklamiren.' Wir wünschen keinem un¬
serer Freunde, in die Mitte des Mückenschwarmeö all der politischen
Broschüren, welche in den letzten Jahren in Deutschland erschienen
sind . Hineinzutreten -- wenn er anders -seine fünf Sinne nicht ver¬
lieren will. , , ,-

Deutschland geht unstreitig einer großen Zukunft entgegen; mäch¬
tig, und stark erhebt sich sein riesenhafter Leib aus dem jahrhundert-
langen Schlummer. Was es aber zu -thun und zu unterlassen hat,
das kann es in diesem Augenblicke eben so wenig beurtheilen, als ein
Kind, das noch,in die Knabenschule geht, über die Wahl seines zu--
künstigen Standes urtheilen kann. Jene Schriften, die daher Deutsch¬
lands Zukunft aus seiner Vergangenheit beleuchten wollen, und die
historische Erfahrung zu Hülfe ziehen, sind uns willkommen, weil sie


Theodor Rosen,co über Deutschland.



Die deutschen Publizisten gleichen nicht selten jenem Bauernjun-
gen in der Fabel, der einen Topf Milch auf den Markt bringt, und
in Gedanken aufrechnet, wie er für den Erlöß sich eine Gans, und
von dem Nutzen der Gans ein Lamm, und von dem Erlöst des Lam¬
mes ein Schaf, später eine Kuh, noch später ein Feld, und endlich
Weib und Kinder erhalten werde; mittlerweile vergißt er auf den
Weg zu sehen, und stolpert, und der Milchtopf mit aller Zukunft
liegt auf dem Boden in Scherben. Seitdem die deutsche Presse aus
der jahrelangen Noch sich ein wenig erholt, Und ihreil Krug mit et¬
was Milch gefüllt hat/ macht sie Pläne und Luftschlösser, und ver¬
gißt den Weg zu ihren Füßen. Die deutsche Presse hat viel Enthu¬
siasmus, aber wenig Praris, und die Stimmen , die in den deutschen
Journalistenwald hineinhallen, sind so verworren, daß man seine Be¬
sinnung darüber verlieren könnte. Die deutsche Presse, die noch sich
selbst nicht von der Zwingherrschaft der Censur erobert hat, denkt schon
daran, das Elsaß von den Franzosen zurückzuverlangen, mit deut¬
schen Flotten und Nationalflaggen die Meere zu besäen, und nament¬
lich die deutsche Philosophie als die alleinige Retterin aller National-'
schaden der ganzen Welt, zu'proklamiren.' Wir wünschen keinem un¬
serer Freunde, in die Mitte des Mückenschwarmeö all der politischen
Broschüren, welche in den letzten Jahren in Deutschland erschienen
sind . Hineinzutreten — wenn er anders -seine fünf Sinne nicht ver¬
lieren will. , , ,-

Deutschland geht unstreitig einer großen Zukunft entgegen; mäch¬
tig, und stark erhebt sich sein riesenhafter Leib aus dem jahrhundert-
langen Schlummer. Was es aber zu -thun und zu unterlassen hat,
das kann es in diesem Augenblicke eben so wenig beurtheilen, als ein
Kind, das noch,in die Knabenschule geht, über die Wahl seines zu--
künstigen Standes urtheilen kann. Jene Schriften, die daher Deutsch¬
lands Zukunft aus seiner Vergangenheit beleuchten wollen, und die
historische Erfahrung zu Hülfe ziehen, sind uns willkommen, weil sie


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[0633] Theodor Rosen,co über Deutschland. Die deutschen Publizisten gleichen nicht selten jenem Bauernjun- gen in der Fabel, der einen Topf Milch auf den Markt bringt, und in Gedanken aufrechnet, wie er für den Erlöß sich eine Gans, und von dem Nutzen der Gans ein Lamm, und von dem Erlöst des Lam¬ mes ein Schaf, später eine Kuh, noch später ein Feld, und endlich Weib und Kinder erhalten werde; mittlerweile vergißt er auf den Weg zu sehen, und stolpert, und der Milchtopf mit aller Zukunft liegt auf dem Boden in Scherben. Seitdem die deutsche Presse aus der jahrelangen Noch sich ein wenig erholt, Und ihreil Krug mit et¬ was Milch gefüllt hat/ macht sie Pläne und Luftschlösser, und ver¬ gißt den Weg zu ihren Füßen. Die deutsche Presse hat viel Enthu¬ siasmus, aber wenig Praris, und die Stimmen , die in den deutschen Journalistenwald hineinhallen, sind so verworren, daß man seine Be¬ sinnung darüber verlieren könnte. Die deutsche Presse, die noch sich selbst nicht von der Zwingherrschaft der Censur erobert hat, denkt schon daran, das Elsaß von den Franzosen zurückzuverlangen, mit deut¬ schen Flotten und Nationalflaggen die Meere zu besäen, und nament¬ lich die deutsche Philosophie als die alleinige Retterin aller National-' schaden der ganzen Welt, zu'proklamiren.' Wir wünschen keinem un¬ serer Freunde, in die Mitte des Mückenschwarmeö all der politischen Broschüren, welche in den letzten Jahren in Deutschland erschienen sind . Hineinzutreten — wenn er anders -seine fünf Sinne nicht ver¬ lieren will. , , ,- Deutschland geht unstreitig einer großen Zukunft entgegen; mäch¬ tig, und stark erhebt sich sein riesenhafter Leib aus dem jahrhundert- langen Schlummer. Was es aber zu -thun und zu unterlassen hat, das kann es in diesem Augenblicke eben so wenig beurtheilen, als ein Kind, das noch,in die Knabenschule geht, über die Wahl seines zu-- künstigen Standes urtheilen kann. Jene Schriften, die daher Deutsch¬ lands Zukunft aus seiner Vergangenheit beleuchten wollen, und die historische Erfahrung zu Hülfe ziehen, sind uns willkommen, weil sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/633>, abgerufen am 04.05.2024.