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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Herr und Knecht.

.Mit welcher Stadt will man Wien vergleichen?, Matt kann
ganz Deutschland durchreist haben, man kann in Berlin Und in Ham¬
burg alle Nuancen des deutschen Charakters studirt haben -- man
kömmt nach Wien, und alle gesammelten Erfahrungen sind unbrauch¬
bar. Wien hat einen ganz eigenthümlichen Charakter --so wie Pa¬
ris, wie London, wie Neapel ihn hat. Dieser Charakter geht durch
die höhern,-wie durch die niedrigsten Klassen; er ist auf der Straße
wie in den Häusern allen Blicken leicht erkennbar bloßgestellt. Es
gibt wenige Wiener, dienicht wienerisch sprechen, aber selbst vonDemje-
gen, der seine Sprache vollständig von dem Accent des wiener-Dia¬
lekts emancipirt hat -- wird man nach dem dritten, Satze, den er
.spricht, sogleich sagen: Das ist ein Wiener. -

)- ,,Zwei Tage erst war ich in Wien, unbekannt mit,seinen Eigen¬
thümlichkeiten wie mit seinen Straßen, der Landjunker zum ersten Mal
in der-Residenz in'-leibhaftiger Gestalt; es war die erste große Stadt,
die mir/zu-Gesichte, kam. -- - '-">'.' '

, M'der'-Table -d!t)öde möchte,.ich-die Bekanntschaft eines'jener
Menschen, welche, der Himmel offenbar nur zu dem Zwecke erschaffen
hat,,Fremden als Wegweiser zu,dienen, eines jener/gurmü'rdig ge¬
schäftigen Müßiggänger, wie man sie in jeder großen Stadt 'über¬
haupt,'in Paris und Wien aber ganz insbesondere findet, Menschen,
die kein angenehmeres Geschäft kennen/ als den Fremden tagelang mit
allen Straßen/ Palästen, Statuen, Bibliotheken, Wachtparaden, Kunst-
gallerien, Weinhäusern ,, Schauspielern,-jPoetm' und Modeschneidem
bekannt zu machen, und in der - Pietät> -mit welcher gewöhnliche Reffende


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Herr und Knecht.

.Mit welcher Stadt will man Wien vergleichen?, Matt kann
ganz Deutschland durchreist haben, man kann in Berlin Und in Ham¬
burg alle Nuancen des deutschen Charakters studirt haben — man
kömmt nach Wien, und alle gesammelten Erfahrungen sind unbrauch¬
bar. Wien hat einen ganz eigenthümlichen Charakter —so wie Pa¬
ris, wie London, wie Neapel ihn hat. Dieser Charakter geht durch
die höhern,-wie durch die niedrigsten Klassen; er ist auf der Straße
wie in den Häusern allen Blicken leicht erkennbar bloßgestellt. Es
gibt wenige Wiener, dienicht wienerisch sprechen, aber selbst vonDemje-
gen, der seine Sprache vollständig von dem Accent des wiener-Dia¬
lekts emancipirt hat — wird man nach dem dritten, Satze, den er
.spricht, sogleich sagen: Das ist ein Wiener. -

)- ,,Zwei Tage erst war ich in Wien, unbekannt mit,seinen Eigen¬
thümlichkeiten wie mit seinen Straßen, der Landjunker zum ersten Mal
in der-Residenz in'-leibhaftiger Gestalt; es war die erste große Stadt,
die mir/zu-Gesichte, kam. -- - '-">'.' '

, M'der'-Table -d!t)öde möchte,.ich-die Bekanntschaft eines'jener
Menschen, welche, der Himmel offenbar nur zu dem Zwecke erschaffen
hat,,Fremden als Wegweiser zu,dienen, eines jener/gurmü'rdig ge¬
schäftigen Müßiggänger, wie man sie in jeder großen Stadt 'über¬
haupt,'in Paris und Wien aber ganz insbesondere findet, Menschen,
die kein angenehmeres Geschäft kennen/ als den Fremden tagelang mit
allen Straßen/ Palästen, Statuen, Bibliotheken, Wachtparaden, Kunst-
gallerien, Weinhäusern ,, Schauspielern,-jPoetm' und Modeschneidem
bekannt zu machen, und in der - Pietät> -mit welcher gewöhnliche Reffende


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[0703] Wtemee N e d e n s t e ^ Herr und Knecht. .Mit welcher Stadt will man Wien vergleichen?, Matt kann ganz Deutschland durchreist haben, man kann in Berlin Und in Ham¬ burg alle Nuancen des deutschen Charakters studirt haben — man kömmt nach Wien, und alle gesammelten Erfahrungen sind unbrauch¬ bar. Wien hat einen ganz eigenthümlichen Charakter —so wie Pa¬ ris, wie London, wie Neapel ihn hat. Dieser Charakter geht durch die höhern,-wie durch die niedrigsten Klassen; er ist auf der Straße wie in den Häusern allen Blicken leicht erkennbar bloßgestellt. Es gibt wenige Wiener, dienicht wienerisch sprechen, aber selbst vonDemje- gen, der seine Sprache vollständig von dem Accent des wiener-Dia¬ lekts emancipirt hat — wird man nach dem dritten, Satze, den er .spricht, sogleich sagen: Das ist ein Wiener. - )- ,,Zwei Tage erst war ich in Wien, unbekannt mit,seinen Eigen¬ thümlichkeiten wie mit seinen Straßen, der Landjunker zum ersten Mal in der-Residenz in'-leibhaftiger Gestalt; es war die erste große Stadt, die mir/zu-Gesichte, kam. -- - '-">'.' ' , M'der'-Table -d!t)öde möchte,.ich-die Bekanntschaft eines'jener Menschen, welche, der Himmel offenbar nur zu dem Zwecke erschaffen hat,,Fremden als Wegweiser zu,dienen, eines jener/gurmü'rdig ge¬ schäftigen Müßiggänger, wie man sie in jeder großen Stadt 'über¬ haupt,'in Paris und Wien aber ganz insbesondere findet, Menschen, die kein angenehmeres Geschäft kennen/ als den Fremden tagelang mit allen Straßen/ Palästen, Statuen, Bibliotheken, Wachtparaden, Kunst- gallerien, Weinhäusern ,, Schauspielern,-jPoetm' und Modeschneidem bekannt zu machen, und in der - Pietät> -mit welcher gewöhnliche Reffende 93

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/703>, abgerufen am 04.05.2024.