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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Wien und Berlin.
Parallelen von I. Kuranda.



Wie kommt es, daß die Überschrift dieses Aussatzes noch immer
im Meßkataloge fehlt? Paris und London -- Brüssel und Paris --
Rom und Neapel haben ihre vergleichende Darstellung durch unsere
Schriftsteller gefunden; aber die beiden Großstädte Deutschlands stehen
noch auf keinem deutschen Buchtitel schwesterlich nebeneinander. Die deut¬
schen Lyriker spinnen seit undenklichen Zeiten das Thema von den
blauen und den schwarzen Augen ab; unsere Romandichter werden
nicht müde, die Gegensatze einer blonden und einer brünetten Heldin
zu schildern; unsere Bühnenstücke spielen noch immer mit einer pathe¬
tischen und einer naiven Liebhaberin; unsere Geschichtschreiber und
Publicisten wiegen alle Dinge mit den Waagschalen des Protestantis¬
mus und Katholicismus ab; nun denn: Wien und Berlin, schwarze
und blaue Augen, pathetisch und naiv, protestantisch und katholisch
-- welche Quadrille von hüpfenden Antithesen; tour <Z" unus, !>"-
I-tneve, etain,; -- spielt auf, wackere Musikanten, warum sind Euere
Geigen so stumm?

Vielleicht hat das Tonstück mehr Schwierigkeiten, als man glaubt;
vielleicht sind die Griffe delicater, als daß jede Hand sie treffen könnte.
Wir sind nicht in Verlegenheit, uns dies zu erklären.

Man spricht stets von dem Mangel an deutscher Einheit im Ge¬
gensatz zu der französischen Centralisation. Aeußerlich, was die Regie-
rungs- und Gesetzesform betrifft, ist dieser Gegensatz leider nur zu


Grenzboten 5 844. l. 59
Wien und Berlin.
Parallelen von I. Kuranda.



Wie kommt es, daß die Überschrift dieses Aussatzes noch immer
im Meßkataloge fehlt? Paris und London — Brüssel und Paris —
Rom und Neapel haben ihre vergleichende Darstellung durch unsere
Schriftsteller gefunden; aber die beiden Großstädte Deutschlands stehen
noch auf keinem deutschen Buchtitel schwesterlich nebeneinander. Die deut¬
schen Lyriker spinnen seit undenklichen Zeiten das Thema von den
blauen und den schwarzen Augen ab; unsere Romandichter werden
nicht müde, die Gegensatze einer blonden und einer brünetten Heldin
zu schildern; unsere Bühnenstücke spielen noch immer mit einer pathe¬
tischen und einer naiven Liebhaberin; unsere Geschichtschreiber und
Publicisten wiegen alle Dinge mit den Waagschalen des Protestantis¬
mus und Katholicismus ab; nun denn: Wien und Berlin, schwarze
und blaue Augen, pathetisch und naiv, protestantisch und katholisch
— welche Quadrille von hüpfenden Antithesen; tour <Z« unus, !>»-
I-tneve, etain,; — spielt auf, wackere Musikanten, warum sind Euere
Geigen so stumm?

Vielleicht hat das Tonstück mehr Schwierigkeiten, als man glaubt;
vielleicht sind die Griffe delicater, als daß jede Hand sie treffen könnte.
Wir sind nicht in Verlegenheit, uns dies zu erklären.

Man spricht stets von dem Mangel an deutscher Einheit im Ge¬
gensatz zu der französischen Centralisation. Aeußerlich, was die Regie-
rungs- und Gesetzesform betrifft, ist dieser Gegensatz leider nur zu


Grenzboten 5 844. l. 59
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[0457] Wien und Berlin. Parallelen von I. Kuranda. Wie kommt es, daß die Überschrift dieses Aussatzes noch immer im Meßkataloge fehlt? Paris und London — Brüssel und Paris — Rom und Neapel haben ihre vergleichende Darstellung durch unsere Schriftsteller gefunden; aber die beiden Großstädte Deutschlands stehen noch auf keinem deutschen Buchtitel schwesterlich nebeneinander. Die deut¬ schen Lyriker spinnen seit undenklichen Zeiten das Thema von den blauen und den schwarzen Augen ab; unsere Romandichter werden nicht müde, die Gegensatze einer blonden und einer brünetten Heldin zu schildern; unsere Bühnenstücke spielen noch immer mit einer pathe¬ tischen und einer naiven Liebhaberin; unsere Geschichtschreiber und Publicisten wiegen alle Dinge mit den Waagschalen des Protestantis¬ mus und Katholicismus ab; nun denn: Wien und Berlin, schwarze und blaue Augen, pathetisch und naiv, protestantisch und katholisch — welche Quadrille von hüpfenden Antithesen; tour <Z« unus, !>»- I-tneve, etain,; — spielt auf, wackere Musikanten, warum sind Euere Geigen so stumm? Vielleicht hat das Tonstück mehr Schwierigkeiten, als man glaubt; vielleicht sind die Griffe delicater, als daß jede Hand sie treffen könnte. Wir sind nicht in Verlegenheit, uns dies zu erklären. Man spricht stets von dem Mangel an deutscher Einheit im Ge¬ gensatz zu der französischen Centralisation. Aeußerlich, was die Regie- rungs- und Gesetzesform betrifft, ist dieser Gegensatz leider nur zu Grenzboten 5 844. l. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/457>, abgerufen am 06.05.2024.