Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite
Persönlichkeiten der französischen Kammer.



in.
Dupill der Aeltere.

Wissen Sie vielleicht, schrieb Voltaire 1766 an d'Alembert,
was in dreißig Jahren die Revolution, welche jetzt von Neapel bis
Moskau in den Geistern vor sich geht, hervorbringen wird? Ich bin
zu alt, um noch hoffen zu können, Etwas davon zu erleben; aber
ich empfehle Ihnen die Zeit, welche jetzt ihren Anfang nimmt.

Wenn Voltaire gleich Epimenides plötzlich aus dem Grabe stiege
und sich an den Eingang der Galerie stellte, durch welche Dupin in
den Kammcrpalast geht, würde der Philosoph von Ferney eine ge¬
nügende Antwort auf seinen Brief finden und in dieser festen, stark
ausgesprochenen, sarkastischen und bis zu einem gewissen Grad geist¬
reichen Physiognomie eine ganze Revolution lesen können.

In der That erscheint uns auch Dupin in seinem ganzen kör¬
perlichen und geistigen Sein als der vollständigste Typus jenes 1°ier8-
"5t-it, welcher, nachdem er acht Jahrhunderte lang seine Beschwerden
mit gebeugten Knieen und in voller Demuth zu den Füßen des Thro¬
nes niedergelegt hatte, eines Tages plötzlich aufstand und mit einem
Schlag Geistlichkeit, Aristokratie und Königthum niederwarf, einen
Augenblick im Jahre 1793 hinter seinem fürchterlichen Bundesgenos¬
sen, dem Volke, verschwand, im Verborgenen gegen den Militärdes-
potismus des Kaiserreichs kämpfte, offen gegen die retrograden Ten¬
denzen der Restauration stritt, in den Julitagen wieder zur Herrschaft
kam und sich jetzt gezwungen sieht, sich gegen den Ansturm der De¬
mokratie zu vertheidigen.

Dupin war unter der Restauration sehr populär und in den
ersten Jahren nach der Julirevolution sehr unpopulär; in diesem An-


Persönlichkeiten der französischen Kammer.



in.
Dupill der Aeltere.

Wissen Sie vielleicht, schrieb Voltaire 1766 an d'Alembert,
was in dreißig Jahren die Revolution, welche jetzt von Neapel bis
Moskau in den Geistern vor sich geht, hervorbringen wird? Ich bin
zu alt, um noch hoffen zu können, Etwas davon zu erleben; aber
ich empfehle Ihnen die Zeit, welche jetzt ihren Anfang nimmt.

Wenn Voltaire gleich Epimenides plötzlich aus dem Grabe stiege
und sich an den Eingang der Galerie stellte, durch welche Dupin in
den Kammcrpalast geht, würde der Philosoph von Ferney eine ge¬
nügende Antwort auf seinen Brief finden und in dieser festen, stark
ausgesprochenen, sarkastischen und bis zu einem gewissen Grad geist¬
reichen Physiognomie eine ganze Revolution lesen können.

In der That erscheint uns auch Dupin in seinem ganzen kör¬
perlichen und geistigen Sein als der vollständigste Typus jenes 1°ier8-
«5t-it, welcher, nachdem er acht Jahrhunderte lang seine Beschwerden
mit gebeugten Knieen und in voller Demuth zu den Füßen des Thro¬
nes niedergelegt hatte, eines Tages plötzlich aufstand und mit einem
Schlag Geistlichkeit, Aristokratie und Königthum niederwarf, einen
Augenblick im Jahre 1793 hinter seinem fürchterlichen Bundesgenos¬
sen, dem Volke, verschwand, im Verborgenen gegen den Militärdes-
potismus des Kaiserreichs kämpfte, offen gegen die retrograden Ten¬
denzen der Restauration stritt, in den Julitagen wieder zur Herrschaft
kam und sich jetzt gezwungen sieht, sich gegen den Ansturm der De¬
mokratie zu vertheidigen.

Dupin war unter der Restauration sehr populär und in den
ersten Jahren nach der Julirevolution sehr unpopulär; in diesem An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0654" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180367"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Persönlichkeiten der französischen Kammer.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> in.<lb/>
Dupill der Aeltere.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1696"> Wissen Sie vielleicht, schrieb Voltaire 1766 an d'Alembert,<lb/>
was in dreißig Jahren die Revolution, welche jetzt von Neapel bis<lb/>
Moskau in den Geistern vor sich geht, hervorbringen wird? Ich bin<lb/>
zu alt, um noch hoffen zu können, Etwas davon zu erleben; aber<lb/>
ich empfehle Ihnen die Zeit, welche jetzt ihren Anfang nimmt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1697"> Wenn Voltaire gleich Epimenides plötzlich aus dem Grabe stiege<lb/>
und sich an den Eingang der Galerie stellte, durch welche Dupin in<lb/>
den Kammcrpalast geht, würde der Philosoph von Ferney eine ge¬<lb/>
nügende Antwort auf seinen Brief finden und in dieser festen, stark<lb/>
ausgesprochenen, sarkastischen und bis zu einem gewissen Grad geist¬<lb/>
reichen Physiognomie eine ganze Revolution lesen können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1698"> In der That erscheint uns auch Dupin in seinem ganzen kör¬<lb/>
perlichen und geistigen Sein als der vollständigste Typus jenes 1°ier8-<lb/>
«5t-it, welcher, nachdem er acht Jahrhunderte lang seine Beschwerden<lb/>
mit gebeugten Knieen und in voller Demuth zu den Füßen des Thro¬<lb/>
nes niedergelegt hatte, eines Tages plötzlich aufstand und mit einem<lb/>
Schlag Geistlichkeit, Aristokratie und Königthum niederwarf, einen<lb/>
Augenblick im Jahre 1793 hinter seinem fürchterlichen Bundesgenos¬<lb/>
sen, dem Volke, verschwand, im Verborgenen gegen den Militärdes-<lb/>
potismus des Kaiserreichs kämpfte, offen gegen die retrograden Ten¬<lb/>
denzen der Restauration stritt, in den Julitagen wieder zur Herrschaft<lb/>
kam und sich jetzt gezwungen sieht, sich gegen den Ansturm der De¬<lb/>
mokratie zu vertheidigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1699" next="#ID_1700"> Dupin war unter der Restauration sehr populär und in den<lb/>
ersten Jahren nach der Julirevolution sehr unpopulär; in diesem An-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0654] Persönlichkeiten der französischen Kammer. in. Dupill der Aeltere. Wissen Sie vielleicht, schrieb Voltaire 1766 an d'Alembert, was in dreißig Jahren die Revolution, welche jetzt von Neapel bis Moskau in den Geistern vor sich geht, hervorbringen wird? Ich bin zu alt, um noch hoffen zu können, Etwas davon zu erleben; aber ich empfehle Ihnen die Zeit, welche jetzt ihren Anfang nimmt. Wenn Voltaire gleich Epimenides plötzlich aus dem Grabe stiege und sich an den Eingang der Galerie stellte, durch welche Dupin in den Kammcrpalast geht, würde der Philosoph von Ferney eine ge¬ nügende Antwort auf seinen Brief finden und in dieser festen, stark ausgesprochenen, sarkastischen und bis zu einem gewissen Grad geist¬ reichen Physiognomie eine ganze Revolution lesen können. In der That erscheint uns auch Dupin in seinem ganzen kör¬ perlichen und geistigen Sein als der vollständigste Typus jenes 1°ier8- «5t-it, welcher, nachdem er acht Jahrhunderte lang seine Beschwerden mit gebeugten Knieen und in voller Demuth zu den Füßen des Thro¬ nes niedergelegt hatte, eines Tages plötzlich aufstand und mit einem Schlag Geistlichkeit, Aristokratie und Königthum niederwarf, einen Augenblick im Jahre 1793 hinter seinem fürchterlichen Bundesgenos¬ sen, dem Volke, verschwand, im Verborgenen gegen den Militärdes- potismus des Kaiserreichs kämpfte, offen gegen die retrograden Ten¬ denzen der Restauration stritt, in den Julitagen wieder zur Herrschaft kam und sich jetzt gezwungen sieht, sich gegen den Ansturm der De¬ mokratie zu vertheidigen. Dupin war unter der Restauration sehr populär und in den ersten Jahren nach der Julirevolution sehr unpopulär; in diesem An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/654
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/654>, abgerufen am 05.05.2024.