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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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sale sprachen für die Berliner Vermuthung. Er ist es und will sich
rehabilitiren, dachten wir, theils bei den oberen Machten, denen er
seine Brauchbarkeit demonstriren, theils bei der öffentlichen Meinung,
der er sich als einen zu voreilig Verurtheilten, als einen Geprüften
und endlich Geläuterten darstellen will. Mit welcher lächelnden Ruhe,
mit welcher Miene sicherer Überlegenheit vertheidigte er sich gegen die
zuweilen erhobene Beschuldigung, daß er jesuitische Tendenzen verfolge!
Neuerdings aber erweckt er wirklich die Vermuthung, daß er keinen
Posten suche, sondern sich schon von Anfang an auf seinem Posten
befunden habe und eine Mission erfülle, die sehr gut im Sinne des
modernsten preußischen "Genius", aber vielleicht noch mehr im Sinne
ganz anderer "Parrien" und "Strömungen" sein kann. Etwas klü¬
ger sollte er dabei zu Werke gehen, nicht blos um seinetwillen, son¬
dern um des Blattes willen, welches sich zu seinem Organ hergibt. Es
klingt gar zu häßlich, wenn Joel Jacoby in der Brockhaus'schen
Zeitung sich rühmt, der Revolution in den Abgrund geblickt zu ha¬
ben, und gleich darauf selbstverhöhnend ruft, wie Deutschland auf¬
lachen würde, wenn man ihn einen Revolutionär nennte! Will er
etwa sagen, daß bei ihm wahrhafte Mystvres de la Revolution zu
haben sind? -- Die Anbetung des Trierer Gottesrockes vergleicht er
mit dem Interesse, das man für Schiller's, Göthe's und anderer
großen Männer Reliquien hat. Auch dies ist eine Unvorsichtigkeit,
die ein so kluger Kopf hätte vermeiden können. Eclatant aber sind
seine Berichte über das Thebens'sche Attentat. Dies Ereigniß hat ihn
auf die Entdeckung gebracht, daß die Geschichte seit 1830 ein ver-
hängnißvolles Antlitz trage (erst seit 1830!) und daß die Politik, "des
Verstandes Kind", Nichts mehr schaffen und zu Stande bringen, son¬
dern daß die Religion allein noch die Staaten zusammenhalten könne!
-- So seltsam die Stimmen und Stimmungen sind, welche die ganz
gewöhnliche, in allen Ländern und zu allen Zeiten vorgekommene Ver¬
rücktheit oder Bosheit eines Meuchelmörders hervorgerufen hat, so
weit sind wir doch noch nicht. Joel sollte sich hüten, voreilig seine
letzten Pfeile zu versenden.


V.
Notizen.

Die Theilung des Fisches. Der Gustav-Adolph-Verein in Danzig und die
deutsche Toleranz. -- Josef Rank und die Polizei. -- Adleraugen und Men-
schcnaugen. -- Russische Bilder. -- Iuliopser.

-- Lord Rochester speiste einst in Gesellschaft von drei Geist¬
lichen verschiedenen Glaubens; der eine war Katholik, der andere Pro¬
testant, der dritte ein Presbyterianer. Es wurde ein Lachs mit einer
Sauce von Hummern aufgetragen. Der Katholik nahm den Kopf


sale sprachen für die Berliner Vermuthung. Er ist es und will sich
rehabilitiren, dachten wir, theils bei den oberen Machten, denen er
seine Brauchbarkeit demonstriren, theils bei der öffentlichen Meinung,
der er sich als einen zu voreilig Verurtheilten, als einen Geprüften
und endlich Geläuterten darstellen will. Mit welcher lächelnden Ruhe,
mit welcher Miene sicherer Überlegenheit vertheidigte er sich gegen die
zuweilen erhobene Beschuldigung, daß er jesuitische Tendenzen verfolge!
Neuerdings aber erweckt er wirklich die Vermuthung, daß er keinen
Posten suche, sondern sich schon von Anfang an auf seinem Posten
befunden habe und eine Mission erfülle, die sehr gut im Sinne des
modernsten preußischen „Genius", aber vielleicht noch mehr im Sinne
ganz anderer „Parrien" und „Strömungen" sein kann. Etwas klü¬
ger sollte er dabei zu Werke gehen, nicht blos um seinetwillen, son¬
dern um des Blattes willen, welches sich zu seinem Organ hergibt. Es
klingt gar zu häßlich, wenn Joel Jacoby in der Brockhaus'schen
Zeitung sich rühmt, der Revolution in den Abgrund geblickt zu ha¬
ben, und gleich darauf selbstverhöhnend ruft, wie Deutschland auf¬
lachen würde, wenn man ihn einen Revolutionär nennte! Will er
etwa sagen, daß bei ihm wahrhafte Mystvres de la Revolution zu
haben sind? — Die Anbetung des Trierer Gottesrockes vergleicht er
mit dem Interesse, das man für Schiller's, Göthe's und anderer
großen Männer Reliquien hat. Auch dies ist eine Unvorsichtigkeit,
die ein so kluger Kopf hätte vermeiden können. Eclatant aber sind
seine Berichte über das Thebens'sche Attentat. Dies Ereigniß hat ihn
auf die Entdeckung gebracht, daß die Geschichte seit 1830 ein ver-
hängnißvolles Antlitz trage (erst seit 1830!) und daß die Politik, „des
Verstandes Kind", Nichts mehr schaffen und zu Stande bringen, son¬
dern daß die Religion allein noch die Staaten zusammenhalten könne!
— So seltsam die Stimmen und Stimmungen sind, welche die ganz
gewöhnliche, in allen Ländern und zu allen Zeiten vorgekommene Ver¬
rücktheit oder Bosheit eines Meuchelmörders hervorgerufen hat, so
weit sind wir doch noch nicht. Joel sollte sich hüten, voreilig seine
letzten Pfeile zu versenden.


V.
Notizen.

Die Theilung des Fisches. Der Gustav-Adolph-Verein in Danzig und die
deutsche Toleranz. — Josef Rank und die Polizei. — Adleraugen und Men-
schcnaugen. — Russische Bilder. — Iuliopser.

— Lord Rochester speiste einst in Gesellschaft von drei Geist¬
lichen verschiedenen Glaubens; der eine war Katholik, der andere Pro¬
testant, der dritte ein Presbyterianer. Es wurde ein Lachs mit einer
Sauce von Hummern aufgetragen. Der Katholik nahm den Kopf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/341>, abgerufen am 06.05.2024.