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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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der bedeutendsten modernen Dichter sagte: Das Gedicht komme ihm
vor wie ein Wald, durch den man eine Heerde Böcke getrieben hat,
es duftete nur wollüstig, ohne gesundes, frisches Leben zu haben. --
I. N. Vogt balladet weiter, d. h. er vomirt Wilhelm Müller, Gustav
Schwab und erscheint, da diese Dichter in Oesterreich nicht populär
sind, daselbst als originell. Die juridische Literatur, wenn Gesetz¬
sammlungen und Compilationen so genannt werden dürfen, liegt
brach, einige Artieelschreiber in den hiesigen juridischen Zeitschriften
möchten jedoch gerne berühmt werden. -- Die medizinische Jour¬
nalistik wurde um einige Zeitungen (die homöopathische) vermehrt.
Die Naturwissenschaften in Oesterreich stellen leider den schlagendsten
Beweis heraus, daß es uns an bedeutenden Talenten (nur Skoda und
Rokitanski, als Popularisirer französischer Ideen und Erfindungen, sind
anerkennungswerth) fehlt, denn hier greift die Censur, auf welche
Manche ihre Unfruchtbarkeit oder die halbe Talentlostgkeit schieben, gar
nicht ein. Der Gelehrte Endlicher muß sich von den Herren Högl
und Fladunk Herr College nennen lassen. -- Für Juristen wurde
eine neue Kanzel creirt; ein Herr Doctor Beer, ein der Literatur völlig
fremder Mann, wird gerichtliche Medizin vortragen. Meißner's Schrift
gegen Justus Liebig ist wahr und grob und dürfte durch den Umstand
anderseitig interessant sein, als sie von einem k. k. Professor herrührt, der
das no" ilciinittitiir der Censur darauf erhalten hat, und sie dennoch
drucken ließ. Meißner aber ist berühmt und ein siebzigjähriger Greis
und dürste den Abschluß der Verhandlungen über seinen illegitimen
Schritt im Jenseits vernehmen. -- Die historische Wissenschaft liegt
völlig brach, einige Sammler, die niemals Garben binden, wie z. B.
Kaltenbaek, glauben uns hierin zu vertreten. Frommer Glaube das!


' 2. ' '

Politische Rebus. -- Jfthler Fahrten. -- Die Wiener über das preußische At¬
tentat. -- Die Börse und die Julitage. -- Die böhmischen Wirren und die
Mäßigung der Regierung. -- Ein Rococo-Staatsmann.

Die Charaden und Räthsel sind in letzterer Zeit von den soge¬
nannten Rebus verdrängt worden. Es ist wirklich wunderbar, mit
welchem Aufwands von christlich-germanischer Geduld und Ausdauer
das deutsche Publicum die Tiefe dieser großen Tagesfragen zu ent¬
ziffern sucht. Wenn kein Krieg diese neue Phase der Entwickelung
unseres Nationalcharakters unterbricht, so wird man bald zu den gro߬
artigen Eigenschaften, welche die deutsche Nation bereits charakterisiren,
auch noch die fügen können, daß sie die geschicktesten Nebusentzifferer
besitzt.

Vielleicht könnte einer dieser Geschickten auch folgendes Rebus
lösen: Im Monate Februar trifft hier der Vertraute des Kaisers von


der bedeutendsten modernen Dichter sagte: Das Gedicht komme ihm
vor wie ein Wald, durch den man eine Heerde Böcke getrieben hat,
es duftete nur wollüstig, ohne gesundes, frisches Leben zu haben. —
I. N. Vogt balladet weiter, d. h. er vomirt Wilhelm Müller, Gustav
Schwab und erscheint, da diese Dichter in Oesterreich nicht populär
sind, daselbst als originell. Die juridische Literatur, wenn Gesetz¬
sammlungen und Compilationen so genannt werden dürfen, liegt
brach, einige Artieelschreiber in den hiesigen juridischen Zeitschriften
möchten jedoch gerne berühmt werden. — Die medizinische Jour¬
nalistik wurde um einige Zeitungen (die homöopathische) vermehrt.
Die Naturwissenschaften in Oesterreich stellen leider den schlagendsten
Beweis heraus, daß es uns an bedeutenden Talenten (nur Skoda und
Rokitanski, als Popularisirer französischer Ideen und Erfindungen, sind
anerkennungswerth) fehlt, denn hier greift die Censur, auf welche
Manche ihre Unfruchtbarkeit oder die halbe Talentlostgkeit schieben, gar
nicht ein. Der Gelehrte Endlicher muß sich von den Herren Högl
und Fladunk Herr College nennen lassen. — Für Juristen wurde
eine neue Kanzel creirt; ein Herr Doctor Beer, ein der Literatur völlig
fremder Mann, wird gerichtliche Medizin vortragen. Meißner's Schrift
gegen Justus Liebig ist wahr und grob und dürfte durch den Umstand
anderseitig interessant sein, als sie von einem k. k. Professor herrührt, der
das no» ilciinittitiir der Censur darauf erhalten hat, und sie dennoch
drucken ließ. Meißner aber ist berühmt und ein siebzigjähriger Greis
und dürste den Abschluß der Verhandlungen über seinen illegitimen
Schritt im Jenseits vernehmen. — Die historische Wissenschaft liegt
völlig brach, einige Sammler, die niemals Garben binden, wie z. B.
Kaltenbaek, glauben uns hierin zu vertreten. Frommer Glaube das!


' 2. ' '

Politische Rebus. — Jfthler Fahrten. — Die Wiener über das preußische At¬
tentat. — Die Börse und die Julitage. — Die böhmischen Wirren und die
Mäßigung der Regierung. — Ein Rococo-Staatsmann.

Die Charaden und Räthsel sind in letzterer Zeit von den soge¬
nannten Rebus verdrängt worden. Es ist wirklich wunderbar, mit
welchem Aufwands von christlich-germanischer Geduld und Ausdauer
das deutsche Publicum die Tiefe dieser großen Tagesfragen zu ent¬
ziffern sucht. Wenn kein Krieg diese neue Phase der Entwickelung
unseres Nationalcharakters unterbricht, so wird man bald zu den gro߬
artigen Eigenschaften, welche die deutsche Nation bereits charakterisiren,
auch noch die fügen können, daß sie die geschicktesten Nebusentzifferer
besitzt.

Vielleicht könnte einer dieser Geschickten auch folgendes Rebus
lösen: Im Monate Februar trifft hier der Vertraute des Kaisers von


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[0381] der bedeutendsten modernen Dichter sagte: Das Gedicht komme ihm vor wie ein Wald, durch den man eine Heerde Böcke getrieben hat, es duftete nur wollüstig, ohne gesundes, frisches Leben zu haben. — I. N. Vogt balladet weiter, d. h. er vomirt Wilhelm Müller, Gustav Schwab und erscheint, da diese Dichter in Oesterreich nicht populär sind, daselbst als originell. Die juridische Literatur, wenn Gesetz¬ sammlungen und Compilationen so genannt werden dürfen, liegt brach, einige Artieelschreiber in den hiesigen juridischen Zeitschriften möchten jedoch gerne berühmt werden. — Die medizinische Jour¬ nalistik wurde um einige Zeitungen (die homöopathische) vermehrt. Die Naturwissenschaften in Oesterreich stellen leider den schlagendsten Beweis heraus, daß es uns an bedeutenden Talenten (nur Skoda und Rokitanski, als Popularisirer französischer Ideen und Erfindungen, sind anerkennungswerth) fehlt, denn hier greift die Censur, auf welche Manche ihre Unfruchtbarkeit oder die halbe Talentlostgkeit schieben, gar nicht ein. Der Gelehrte Endlicher muß sich von den Herren Högl und Fladunk Herr College nennen lassen. — Für Juristen wurde eine neue Kanzel creirt; ein Herr Doctor Beer, ein der Literatur völlig fremder Mann, wird gerichtliche Medizin vortragen. Meißner's Schrift gegen Justus Liebig ist wahr und grob und dürfte durch den Umstand anderseitig interessant sein, als sie von einem k. k. Professor herrührt, der das no» ilciinittitiir der Censur darauf erhalten hat, und sie dennoch drucken ließ. Meißner aber ist berühmt und ein siebzigjähriger Greis und dürste den Abschluß der Verhandlungen über seinen illegitimen Schritt im Jenseits vernehmen. — Die historische Wissenschaft liegt völlig brach, einige Sammler, die niemals Garben binden, wie z. B. Kaltenbaek, glauben uns hierin zu vertreten. Frommer Glaube das! ' 2. ' ' Politische Rebus. — Jfthler Fahrten. — Die Wiener über das preußische At¬ tentat. — Die Börse und die Julitage. — Die böhmischen Wirren und die Mäßigung der Regierung. — Ein Rococo-Staatsmann. Die Charaden und Räthsel sind in letzterer Zeit von den soge¬ nannten Rebus verdrängt worden. Es ist wirklich wunderbar, mit welchem Aufwands von christlich-germanischer Geduld und Ausdauer das deutsche Publicum die Tiefe dieser großen Tagesfragen zu ent¬ ziffern sucht. Wenn kein Krieg diese neue Phase der Entwickelung unseres Nationalcharakters unterbricht, so wird man bald zu den gro߬ artigen Eigenschaften, welche die deutsche Nation bereits charakterisiren, auch noch die fügen können, daß sie die geschicktesten Nebusentzifferer besitzt. Vielleicht könnte einer dieser Geschickten auch folgendes Rebus lösen: Im Monate Februar trifft hier der Vertraute des Kaisers von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/381>, abgerufen am 07.05.2024.