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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Der Wale.
Bon
Gustav Mosen.



Erste A l, t l> c i 1 u n 9.

Nicht weit von dem Städtlein Elsterberg im Voigtlande steht
auf einem Berge die Ruine des Schlosses Liebau, deren Thurm gar
ernsthaft hinunterschaut auf die geschwätzige Elster, die drunten den
Steinen lauter Wundergeschichten erzählt von badenden Nymphen, vom
Wassermenk, vom Liebesleid und anderen Geheimnissen; aber kein
ungeweihtes Ohr versteht ihr Schluchzen und Jauchzen durcheinander.
Der Thurm droben weiß auch Geschichten zu erzählen, er bleibt aber
immer schweigsam, und nur, wenn sein alter, rauher Kumpan, der
Sturm, um ihn hersaust, fängt er an zu stöhnen und beginnt einen
lanen Sermon, der von vergangener Große handelt.

gEs ist schon lange her, als dort auf Schloß Liebau die schöne
Geliebte des starken August wohnte und dem von der Jagd ermü¬
deten Fürsten Freuden schaffte, aber früher noch hausten da meine
Väter. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ihnen am Ende vom Schloß
Nichts übrig blieb als der Name. Mein Urururgroßvater war noch
ein junger, frischer Mensch und mochte mit diesem Erbtheil allein
nicht zufrieden sein. Da dachte er drüber nach, wie er es wohl zu
einer großen Herrschaft bringen könnte. Er hatte sich in der Welt
umgesehen, harte Viel gelernt, verstand Latein, konnte brav hauen
und stechen und meinte nun, es könne ihm nicht fehlen. Aber seine
Eroberungspläne scheiterten alle, und deshalb ward er mißmuthig,
und ging sogar einmal in die Kirche nach Elsterberg, um vom hei¬
ligen Geor, seinem Schutzpatron, sich einen guten Rath zu holen.


Gr""zbot"n 184". II. 66
Der Wale.
Bon
Gustav Mosen.



Erste A l, t l> c i 1 u n 9.

Nicht weit von dem Städtlein Elsterberg im Voigtlande steht
auf einem Berge die Ruine des Schlosses Liebau, deren Thurm gar
ernsthaft hinunterschaut auf die geschwätzige Elster, die drunten den
Steinen lauter Wundergeschichten erzählt von badenden Nymphen, vom
Wassermenk, vom Liebesleid und anderen Geheimnissen; aber kein
ungeweihtes Ohr versteht ihr Schluchzen und Jauchzen durcheinander.
Der Thurm droben weiß auch Geschichten zu erzählen, er bleibt aber
immer schweigsam, und nur, wenn sein alter, rauher Kumpan, der
Sturm, um ihn hersaust, fängt er an zu stöhnen und beginnt einen
lanen Sermon, der von vergangener Große handelt.

gEs ist schon lange her, als dort auf Schloß Liebau die schöne
Geliebte des starken August wohnte und dem von der Jagd ermü¬
deten Fürsten Freuden schaffte, aber früher noch hausten da meine
Väter. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ihnen am Ende vom Schloß
Nichts übrig blieb als der Name. Mein Urururgroßvater war noch
ein junger, frischer Mensch und mochte mit diesem Erbtheil allein
nicht zufrieden sein. Da dachte er drüber nach, wie er es wohl zu
einer großen Herrschaft bringen könnte. Er hatte sich in der Welt
umgesehen, harte Viel gelernt, verstand Latein, konnte brav hauen
und stechen und meinte nun, es könne ihm nicht fehlen. Aber seine
Eroberungspläne scheiterten alle, und deshalb ward er mißmuthig,
und ging sogar einmal in die Kirche nach Elsterberg, um vom hei¬
ligen Geor, seinem Schutzpatron, sich einen guten Rath zu holen.


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[0529] Der Wale. Bon Gustav Mosen. Erste A l, t l> c i 1 u n 9. Nicht weit von dem Städtlein Elsterberg im Voigtlande steht auf einem Berge die Ruine des Schlosses Liebau, deren Thurm gar ernsthaft hinunterschaut auf die geschwätzige Elster, die drunten den Steinen lauter Wundergeschichten erzählt von badenden Nymphen, vom Wassermenk, vom Liebesleid und anderen Geheimnissen; aber kein ungeweihtes Ohr versteht ihr Schluchzen und Jauchzen durcheinander. Der Thurm droben weiß auch Geschichten zu erzählen, er bleibt aber immer schweigsam, und nur, wenn sein alter, rauher Kumpan, der Sturm, um ihn hersaust, fängt er an zu stöhnen und beginnt einen lanen Sermon, der von vergangener Große handelt. gEs ist schon lange her, als dort auf Schloß Liebau die schöne Geliebte des starken August wohnte und dem von der Jagd ermü¬ deten Fürsten Freuden schaffte, aber früher noch hausten da meine Väter. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ihnen am Ende vom Schloß Nichts übrig blieb als der Name. Mein Urururgroßvater war noch ein junger, frischer Mensch und mochte mit diesem Erbtheil allein nicht zufrieden sein. Da dachte er drüber nach, wie er es wohl zu einer großen Herrschaft bringen könnte. Er hatte sich in der Welt umgesehen, harte Viel gelernt, verstand Latein, konnte brav hauen und stechen und meinte nun, es könne ihm nicht fehlen. Aber seine Eroberungspläne scheiterten alle, und deshalb ward er mißmuthig, und ging sogar einmal in die Kirche nach Elsterberg, um vom hei¬ ligen Geor, seinem Schutzpatron, sich einen guten Rath zu holen. Gr«»zbot«n 184». II. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/529>, abgerufen am 06.05.2024.