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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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V.
Aus Kiel.

Thätigkeit der Schleswig'schen Stände. -- Verfassung, Wehrpflichtgesetz, die
neue Städte- und Gewerbeordnung. -- Die Holstein'schen Stände. -- Jour¬
nalistische Unternehmungen. -- Verluste der Universität. -- Theater. -- Die
Ostsecvahn. -- Peter von Kobbe.

Die diesjährige Diät der Schleswig'schen Stände ist am 9. Sep¬
tember geschlossen und somit ein Ueberblick über die gesammte Thä¬
tigkeit derselben möglich. Sehr wichtige Gegenstände sind diesmal
zur Berathung gekommen, andere nicht minder wichtige unerledigt ge¬
blieben. Zu erstern gehören die Antrage auf eine gemeinsame Ver¬
fassung für die beiden Herzogthümer, auf ein allgemeines Civilgesetz¬
buch, auf Trennung der Finanzen von denen des Königreichs, auf
Vereinigung der beiden Ständeversammlungen, die Berathung über
das von der Regierung vorgelegte neue Wehrpflichtgesetz, über eine
neue Städte- und Gewerbeordnung u. s. w., zu den letzteren leider
die Anträge aufGeschwornengcrichte, Preßfreiheit u. A. Im Ganzen
ging es in dieser Diät, im Vergleich mit der vor zwei Jahren, wo
der famose Sprachstreit so gewaltige Wirren anregte, sehr friedlich zu.
Da es keinem der diesmaligen Mitglieder eingefallen war, Dänisch zu
sprechen, so kam die Sprachsache gar nicht wieder in Erwähnung,
und will man also die kleinen beiläufigen Anzapfungen, die bei der
jetzt so allgemein im Herzogthum Schleswig herrschenden Stimmung ge¬
gen die Dänen, nicht ausbleiben konnten, so wie die in der Schlu߬
sitzung vom Präsidenten abgegebene energische Erklärung, worin der¬
selbe im Namen der schleswigschen Stände gegen alle und jede un¬
befugte Einmischung der Dänischen Stände in die Angelegenheiten
der Herzogthümer protestirte, abrechnen, so trat der Antidanismus
dieses Mal in sehr gelinder Weise auf. Am deutlichsten zeigte sich
übrigens das in diesen Ständen herrschende Princip bei der Schlu߬
berathung über eine neue Verfassung; der von der Majorität ange¬
nommene Entwurf ist eine entschiedene Ausgeburt der hier zu Lande
dominirenden historischen Schule, die vergilbten Pergamente von 1460
bilden für denselben die breite Unterlage, und daher das hvperaristo-
kratische Princip das bedeutendste Uebergewicht. Glücklicherweise wird
an der Verwirklichung solcher Pläne, nach denen die Herzogthümer
mit einem Male in die für unsere ritterlichen Junker so herrliche Zeit
des Mittelalters zurück versetzt werden würden, wohl nicht ernstlich
zu denken sein. Bei der Berathung über die neue Städteordnung
zeigte es sich leider deutlich, daß die Schleswig'schen Stände es sich
nicht besonders hatten angelegen sein lassen, ihre Befähigung für
die von ihnen so oft erbetene Erweiterung ihrer ständischen Befugnis;


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V.
Aus Kiel.

Thätigkeit der Schleswig'schen Stände. — Verfassung, Wehrpflichtgesetz, die
neue Städte- und Gewerbeordnung. — Die Holstein'schen Stände. — Jour¬
nalistische Unternehmungen. — Verluste der Universität. — Theater. — Die
Ostsecvahn. — Peter von Kobbe.

Die diesjährige Diät der Schleswig'schen Stände ist am 9. Sep¬
tember geschlossen und somit ein Ueberblick über die gesammte Thä¬
tigkeit derselben möglich. Sehr wichtige Gegenstände sind diesmal
zur Berathung gekommen, andere nicht minder wichtige unerledigt ge¬
blieben. Zu erstern gehören die Antrage auf eine gemeinsame Ver¬
fassung für die beiden Herzogthümer, auf ein allgemeines Civilgesetz¬
buch, auf Trennung der Finanzen von denen des Königreichs, auf
Vereinigung der beiden Ständeversammlungen, die Berathung über
das von der Regierung vorgelegte neue Wehrpflichtgesetz, über eine
neue Städte- und Gewerbeordnung u. s. w., zu den letzteren leider
die Anträge aufGeschwornengcrichte, Preßfreiheit u. A. Im Ganzen
ging es in dieser Diät, im Vergleich mit der vor zwei Jahren, wo
der famose Sprachstreit so gewaltige Wirren anregte, sehr friedlich zu.
Da es keinem der diesmaligen Mitglieder eingefallen war, Dänisch zu
sprechen, so kam die Sprachsache gar nicht wieder in Erwähnung,
und will man also die kleinen beiläufigen Anzapfungen, die bei der
jetzt so allgemein im Herzogthum Schleswig herrschenden Stimmung ge¬
gen die Dänen, nicht ausbleiben konnten, so wie die in der Schlu߬
sitzung vom Präsidenten abgegebene energische Erklärung, worin der¬
selbe im Namen der schleswigschen Stände gegen alle und jede un¬
befugte Einmischung der Dänischen Stände in die Angelegenheiten
der Herzogthümer protestirte, abrechnen, so trat der Antidanismus
dieses Mal in sehr gelinder Weise auf. Am deutlichsten zeigte sich
übrigens das in diesen Ständen herrschende Princip bei der Schlu߬
berathung über eine neue Verfassung; der von der Majorität ange¬
nommene Entwurf ist eine entschiedene Ausgeburt der hier zu Lande
dominirenden historischen Schule, die vergilbten Pergamente von 1460
bilden für denselben die breite Unterlage, und daher das hvperaristo-
kratische Princip das bedeutendste Uebergewicht. Glücklicherweise wird
an der Verwirklichung solcher Pläne, nach denen die Herzogthümer
mit einem Male in die für unsere ritterlichen Junker so herrliche Zeit
des Mittelalters zurück versetzt werden würden, wohl nicht ernstlich
zu denken sein. Bei der Berathung über die neue Städteordnung
zeigte es sich leider deutlich, daß die Schleswig'schen Stände es sich
nicht besonders hatten angelegen sein lassen, ihre Befähigung für
die von ihnen so oft erbetene Erweiterung ihrer ständischen Befugnis;


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[0143] V. Aus Kiel. Thätigkeit der Schleswig'schen Stände. — Verfassung, Wehrpflichtgesetz, die neue Städte- und Gewerbeordnung. — Die Holstein'schen Stände. — Jour¬ nalistische Unternehmungen. — Verluste der Universität. — Theater. — Die Ostsecvahn. — Peter von Kobbe. Die diesjährige Diät der Schleswig'schen Stände ist am 9. Sep¬ tember geschlossen und somit ein Ueberblick über die gesammte Thä¬ tigkeit derselben möglich. Sehr wichtige Gegenstände sind diesmal zur Berathung gekommen, andere nicht minder wichtige unerledigt ge¬ blieben. Zu erstern gehören die Antrage auf eine gemeinsame Ver¬ fassung für die beiden Herzogthümer, auf ein allgemeines Civilgesetz¬ buch, auf Trennung der Finanzen von denen des Königreichs, auf Vereinigung der beiden Ständeversammlungen, die Berathung über das von der Regierung vorgelegte neue Wehrpflichtgesetz, über eine neue Städte- und Gewerbeordnung u. s. w., zu den letzteren leider die Anträge aufGeschwornengcrichte, Preßfreiheit u. A. Im Ganzen ging es in dieser Diät, im Vergleich mit der vor zwei Jahren, wo der famose Sprachstreit so gewaltige Wirren anregte, sehr friedlich zu. Da es keinem der diesmaligen Mitglieder eingefallen war, Dänisch zu sprechen, so kam die Sprachsache gar nicht wieder in Erwähnung, und will man also die kleinen beiläufigen Anzapfungen, die bei der jetzt so allgemein im Herzogthum Schleswig herrschenden Stimmung ge¬ gen die Dänen, nicht ausbleiben konnten, so wie die in der Schlu߬ sitzung vom Präsidenten abgegebene energische Erklärung, worin der¬ selbe im Namen der schleswigschen Stände gegen alle und jede un¬ befugte Einmischung der Dänischen Stände in die Angelegenheiten der Herzogthümer protestirte, abrechnen, so trat der Antidanismus dieses Mal in sehr gelinder Weise auf. Am deutlichsten zeigte sich übrigens das in diesen Ständen herrschende Princip bei der Schlu߬ berathung über eine neue Verfassung; der von der Majorität ange¬ nommene Entwurf ist eine entschiedene Ausgeburt der hier zu Lande dominirenden historischen Schule, die vergilbten Pergamente von 1460 bilden für denselben die breite Unterlage, und daher das hvperaristo- kratische Princip das bedeutendste Uebergewicht. Glücklicherweise wird an der Verwirklichung solcher Pläne, nach denen die Herzogthümer mit einem Male in die für unsere ritterlichen Junker so herrliche Zeit des Mittelalters zurück versetzt werden würden, wohl nicht ernstlich zu denken sein. Bei der Berathung über die neue Städteordnung zeigte es sich leider deutlich, daß die Schleswig'schen Stände es sich nicht besonders hatten angelegen sein lassen, ihre Befähigung für die von ihnen so oft erbetene Erweiterung ihrer ständischen Befugnis; 18-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/143>, abgerufen am 02.05.2024.